Ingo Hermann: "Knigge"
Die Biografie
Der
Knigge als Begriff ist wohl jedermann bekannt. Zu nahezu jedem Thema
ist ein Knigge erhältlich, ob in Form der klassischen
Benimmregeln oder
modern,
etwa der Knigge zur Handybenutzung. Doch wer
war eigentlich Knigge? Diese Frage beantwortet Ingo Hermann in seinem
Buch "Knigge - Die Biografie“, einem 370 Seiten umfassenden
gebundenen Buch, das 2007 im Propyläen-Verlag erschienen ist.
Damit hat sich Hermann einer wichtigen Aufgabe angenommen, denn die
Knigge-Forschung steckt, so verbreitet der Name auch ist, noch in den
Kinderschuhen, was unter anderem an fehlenden Originaldokumenten liegt.
Hermanns Aufgabe ist dennoch eine sehr wichtige, denn Knigge war
keineswegs der Benimmapostel, als der er bekannt ist, wie der Leser
rasch erfährt.
Das Werk, auf das sich alle
"Knigges" stützen, ist Knigges "Über
den Umgang mit den Menschen", das vielfach ergänzt
wurde, Streichungen erfuhr und überhaupt in allerlei
Richtungen umgetextet wurde, bis aus Adolph Freiherr Knigge ein
Benimmapostel geworden war. Ursprünglich träumte
dieser Mann jedoch von der Revolution. Nicht von der ihn inspirierenden
Französischen Revolution
mit allerlei gewalttätiger
Konsequenzen, sondern von der friedlichen Revolution von oben, bei der
Tugend und Anstand als höchstes Gut gegen die
höfischen Intrigen, Ungerechtigkeit und Verleumdungen gesetzt
werden würden. Er träumte von einem
grundsätzlich neuen Verständnis von Staat, Religion
und Gesellschaft und setzte Tugend und Anstand in seiner Schrift als
Schlüssel ein.
Natürlich kam Knigges Interesse an Veränderungen
nicht von ungefähr. Er selbst war sein Leben lang quasi ein
Opfer seiner Herkunft und jemand, der mehrfach schmerzhaft erfahren
musste, wie leicht man
ausgenutzt
werden kann.
Hermann schildert den Lebensweg des Mannes, der von Geburt an vom Vater
als zu schwächlich angesehen wurde und der nach dem Tod des
Vaters nicht mehr als einen riesigen Berg Schulden erbte, so dass
bestehende Güter in die Hände der Gläubiger
fielen. Von der Kindheit über das Erwachsenenalter, in dem
Knigge seine ersten Schritte nach Kassel setzte und dort den Hof und
dessen Gehabe miterlebte, bis hin zu Knigges einsamem Tod als
Mittvierziger des achtzehnten Jahrhunderts verfolgt Hermann Knigges
Spuren.
Das Buch selbst teilt sich in sechs Abschnitte mit Unterkapiteln auf,
in denen der Leser chronologisch den Erben, den Hofmann, den
Bundesgeschäftsführer, den freien Schriftsteller, den
Oberhauptmann und den Kämpfer kennen lernt.
Die letzten siebzig Seiten widmen sich einer Zusammenfassung,
Anmerkungen, einer Bibliografie, einer sehr übersichtlichen
und mit Querverweisen auf Zeitgenossen Knigges angereicherte Zeittafel
und Registern.
Es bleibt zu hoffen, dass das wirkliche Werk Knigges, das Werk eines
Aufklärers, eines Revolutionärs im Stillen, eines
Publizisten, der als solcher lange Zeit nicht anerkannt war, noch
Zugang zu vielen Menschen findet. Die vielen Zitate des Buches, teils
aus Knigges Werk selbst, zeigen auf, dass auch heute noch viele seiner
Gedankengänge und Ideen ihre Berechtigung haben und auch nach
über zweihundert Jahren noch erstaunlich aktuelle
Problematiken beschreiben.
Hermanns Biografie kann zu einer Beschäftigung mit dem
Freiherrn Knigge anregen und weiß den Leser umfassend zu
informieren, auch wenn der Stil sich stellenweise ein wenig antiquiert
zeigt, wodurch sich die Zitate des Buches zwar umso mehr in den Text
einfügen, was auf den Lesefluss allerdings manchmal etwas
hemmend wirkt.
(Tanja Elskamp; 03/2007)
Ingo
Hermann: "Knigge"
Propyläen- Verlag, 2007. 370 Seiten.
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Ingo
Hermann, geboren 1932 in Bocholt/Westfalen, leitete bis 1997 die
Programmabteilung "Kultur, Bildung und Gesellschaft" beim ZDF. In der
ZDF-Reihe "Zeugen des Jahrhunderts" sprach er u.a. mit Jean
Améry, Bruno Bettelheim, Günter de Bruyn, Hans
Jonas und Richard von Weizsäcker. Als Autor und Herausgeber
äußerte er sich in zahlreichen
Veröffentlichungen zu historischen, religionsgeschichtlichen,
theologischen, bildungspolitischen und medienkundlichen Fragen.
Ein Buchtipp:
Adolph Freiherr von Knigge: "Über den Umgang mit Menschen"
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Leseprobe aus
"Über den Umgang
mit Menschen" von Adolph Freiherr von Knigge
Zehntes Kapitel
Über das Verhältnis zwischen Schriftsteller und Leser
1.
Ich halte es für billig, bevor ich dies Werk über den
Umgang mit Menschen schließe, mit meinen Lesern auch ein paar
Worte über unsre wechselseitigen Verhältnisse
gegeneinander zu reden. Zuerst also einige Bemerkungen über
den Beruf, den ein Mann haben kann, ein Buch zu schreiben.
Es ist in der Vorrede zum ersten Teil gesagt worden, daß ich
die Schriftstellerei in unsern Zeiten für nichts mehr als
für schriftliche Unterredung mit der Lesewelt halte und
daß man es dann im freundschaftlichen Gespräche so
genau nicht nehmen dürfe, wenn auch einmal ein
unnützes Wort mit unterliefe. Man soll es also dem
Schriftsteller nicht übel ausdeuten, wenn er,
verführt von ein wenig Geschwätzigkeit, von der
Begierde, über irgendeine Materie allerlei Arten von Menschen
seine Gedanken mitzuteilen, etwas drucken läßt, das
nicht grade die Quintessenz von Weisheit, Witz, Scharfsinn und
Gelehrsamkeit enthält. Es ist überhaupt sehr viel
schwerer, als man glauben sollte, seine eignen Produkte zu beurteilen;
nicht nur weil unsre Eitelkeit da in das Spiel kommt, sondern auch weil
die Objekte, über deren Beobachtung wir lange
gebrütet, für uns eben durch das Nachdenken, welches
wir darauf verwendet, einen solchen Wert bekommen haben
können, daß wir unsre Gedanken darüber
für äußerst wichtig halten, indes einem
andern, was wir auch davon sagen mögen, unwichtig und gemein
vorkommt. Und haben wir etwa gar Sprache und Beredsamkeit nicht in
unsrer Gewalt oder sind verstimmt zu der Zeit, wenn wir unsre Gedanken
zu Papier bringen wollen, oder vergessen, daß der Gegenstand,
über welchen wir schreiben, nur durch kleine spezielle
Beziehungen auf unsre damalige Lage, die sich nicht mit
übertragen lassen, uns am Herzen liegt; oder dies Herz ist zu
voll, um, was es empfindet, nach der Reihe hererzählen zu
können; so geschieht es, daß wir etwas schreiben,
welches uns, die wir alle Nebenbegriffe daranknüpfen, die dazu
gehören, das Bild auszumalen, sehr interessant scheint, jeden
andern aber gähnen macht und mit Unwillen gegen uns
erfüllt. Indem es nun desfalls leicht geschehn kann,
daß selbst ein verständiger Mann, von Eitelkeit
geblendet oder durch jene Gefühle irregeleitet, ein Buch
schreibt, das andere Menschen für ein unnützes und
langweiliges Buch halten, so kann und darf es doch nie einem
verständigen Manne begegnen, etwas öffentlich vor dem
Publico zu reden, das gegen Moralität und gesunde Vernunft
stritte oder wodurch er einem seiner Mitmenschen Schaden
zufügte. Denn wenngleich Schriftstellerei nur Unterredung ist,
so ist sie doch eine solche Unterredung, auf welche man sich so lange
Zeit zu besinnen Muße gehabt hat, als dazu gehört,
jeden unsittlichen, ganz schiefen und boshaften Gedanken zu
unterdrücken. Ich meine daher, alles, was das Publikum von
einem Schriftsteller, der ohne zu weit getriebne Ansprüche
auftritt, fordern kann, ist, daß er durch seine Werke nichts
dazu beitrage, Korruption, Dummheit und Intoleranz zu verbreiten. Alles
übrige: Beruf zu schreiben, Wahl des Gegenstands, Einkleidung,
Ansprüche auf Ruhm,
Beifall, Lob, zu stiftender Nutzen,
einzunehmender Gewinn, Hoffnung auf Unsterblichkeit - das alles ist
seine Sache, und es geht auf seine Gefahr, wenn er sich dem Schimpfe
aussetzt, entweder in der Stille zu Fuße vom Parnasse wieder
herunterschleichen zu müssen oder von der Meute der
Rezensenten parforce gejagt zu werden.
2.
Wenn also ein Autor nichts Schädliches und nichts Unsinniges
sagt, so muß man ihm erlauben, seine Gedanken drucken zu
lassen; wenn er etwas Nützliches sagt, so macht er sich ein
Verdienst um das Publikum. - Aber wird deswegen sein Buch auch
gewiß gefallen? Das ist wieder eine ganz andre Frage.
Allgemeiner Beifall von Guten und Bösen, von Weisen und Toren,
von Hohen und Niedern? - Ei nun, wer wird so eitel sein, darauf
Anspruch zu machen? Aber um auch nur dem größten
Teile der Lesewelt zu gefallen, welche niedrige Mittel wählt
da nicht mancher Schriftsteller? - Wer sich nicht in Ansehung der Form,
der Einkleidung, des Titels seines Buchs nach dem Geschmacke des Jahres
richtet; wer keine Anekdötchen einmischt; wer nicht
dafür sorgt, daß sein Werkchen hübsch fein
gedruckt und mit Bildlein ausgeziert sei; wer herrschende Vorurteile,
Modesysteme, glänzende Torheiten, politischen, kirchlichen,
gelehrten und moralischen Despotismus angreift oder lächerlich
macht, wer sich einen Verleger wählt, auf den die andern
Buchhändler neidisch, dem sie feind sind; wer sich nicht
demütig unter den Schutz irgendeines gelehrten
Posaunenbläsers begibt; wer nicht die Schreier im Publico und
die, welche in der feinen Welt den Ton angeben, zu gewinnen sucht; wer
zu bescheiden auftritt; wer sein Buch einem Manne widmet oder in
demselben einem Manne Gerechtigkeit widerfahren
läßt, dessen Verdienste beneidet, verfolgt werden -
der wird wenigstens in dieser Generation sein Glück als Autor
nicht machen und auch sein nützlichstes Werk bald als
Makulatur behandelt sehn. Ich rate daher, die unschuldigsten unter
diesen kleinen Autorkünsten nicht gänzlich zu
vernachlässigen.
3.
Reden wir jetzt aber auch von dem Betragen, von den Pflichten des
Lesers gegen den Schriftsteller. Zuerst soll, denke ich, jener nie
vergessen, daß dieser sich nicht nach dem Geschmacke jedes
einzelnen richten kann. Was für Dich in Deiner Lage, in Deiner
Stimmung höchst interessant ist, das scheint einem andern
vielleicht äußerst langweilig und unbedeutend, und
wahrlich, der Mann müßte ein Hexenmeister sein, der
ein Buch verfassen könnte, in welchem jeder für seine
paar Groschen fände, was er suchte. Es gibt Bücher,
die man durchaus nur dann lesen muß, wenn man ebenso gestimmt
ist, als der Mann war, der sie schrieb, sowie es auch andre gibt, deren
Sinn und Schönheit man immer, in jeder Laune fassen und sich
eigen machen kann. Nicht immer sind darum jene geistvoll,
groß und erhaben von Inhalte, noch im Gegenteil
schwärmerisch und fieberhaft. Nicht immer enthalten darum
diese lauter bestimmte, ewige Wahrheiten, auf kalte, unwiderlegbare,
allein des vollkommnen Mannes würdige,
unerschütterliche Philosophie gegründet, oder, im
Gegenteile, nicht immer gemeine, ohne Mühe leicht zu
verdauende Seelenspeise. Sei also nicht zu strenge, mein gelehrtes
Leserlein, in Beurteilung eines sonst nicht schlecht geschriebnen
Buchs, oder behalte wenigstens Deine Meinung darüber in Deinem
Kopfe, in welchem oft viel leerer Raum ist, und verschreie das Buch
nicht! Am wenigsten aber laß Dich verleiten, den moralischen
Charakter des Schriftstellers auf bloße Mutmaßung
bei dieser Gelegenheit anzugreifen, ihm schädliche Absichten
beizumessen, seinen Worten einen erzwungnen Sinn zu geben und seine
Winke hämisch auszudeuten. Beurteile nicht ein Buch, wenn Du
nur einzelne Stellen daraus gelesen hast, und bete nicht das Lob und
den Tadel unwissender, boshafter oder feiler Rezensenten nach.
4.
Bei der Menge unnützer Schriften tut man übrigens
wohl, ebenso vorsichtig
im
Umgange mit Büchern als mit
Menschen zu sein. Um nicht zu viel Zeit mit Lesung unnützen
Papiers zu verschwenden, das heißt: um nicht von
Schwätzern mir die Zeit verderben zu lassen, suche ich auch
von dieser Seite nicht neue Bekanntschaften zu machen, bis der
allgemeine Ruf mich auf ein gutes oder besonders originelles Buch
aufmerksam macht. Ich bin mit einem kleinen Zirkel alter guter Freunde
zufrieden, die ich oft und immer mit neuem Vergnügen
schriftlich mit mir reden lasse. (...)