Lutz Wicke, Peter Spiegel, Inga Wicke-Thüs: "Kyoto PLUS"
So gelingt die Klimawende
"Der
Klimawandel ist eine globale Realität nicht eine Prognose
für ferne Zeiten und Regionen."
(Klaus Töpfer, ehemaliger Direktor des
UN-Umweltprogramms, im Vorwort zu "Kyoto PLUS")
Kyoto PLUS
Ist ein weltweites Klimaschutzsystem möglich, das nach
marktwirtschaftlichen Kriterien funktioniert, von allen Nationen
anerkannt wird und darüber hinaus wirksam ist? Lutz Wicke,
verantwortlich für das Gesamtkonzept des Buches, erstellte
für das Umweltministerium Baden-Württemberg drei
Gutachten, in denen er die Klimaproblematik analysierte. Auf Basis
dieser wissenschaftlichen Arbeiten ist "Kyoto PLUS" entstanden, ein
"Report an die Global Marshall Plan Initiative", die im Jahr 2003 ins
Leben gerufen wurde. Die Autoren erläutern die
naturwissenschaftlichen Grundlagen des Treibhauseffektes, beschreiben
die derzeitige verfahrene politische Lage von Kyoto I und zeigen
realisierbare Wege auf, wie die Klimakatastrophe verhindert werden kann.
Der Treibhauseffekt und seine Folgen
Die Biologin Inga Wicke -Thüs erläutert in den
Kapiteln 1 und 2 die naturwissenschaftlichen Grundlagen des
Klimawandels und dessen katastrophale Folgen. Seit Bestehen der Erde
bewirken atmosphärische Gase wie Wasserdampf, Kohlendioxid und
Methan einen Treibhauseffekt, der entscheidenden Einfluss auf das Klima
hat. Wie in einem Gewächshaus wird die Wärme durch
diese Treibhausgase in der Atmosphäre längere Zeit
gespeichert und die Temperatur auf der Erde erhöht. Im Laufe
der Erdgeschichte hat sich die mittlere Temperatur von -15 Grad Celsius
um ca. 30 Grad auf einen Wert von +15 Grad Celsius erhöht,
wodurch die Erde bewohnbar wurde. Neben dem lebensnotwendigen
natürlichen Treibhauseffekt gibt es einen anthropogenen
Treibhauseffekt. Wissenschaftliche Untersuchungen, insbesondere
Eiskernbohrungen in der Antarktis, ergeben heute eindeutig, dass das
bisherige Gleichgewicht gestört ist. Seit Beginn der
Industrialisierung liegt die Zunahme des Kohlendioxids in der
Atmosphäre signifikant außerhalb der
natürlichen Schwankungsbreite der vergangenen Jahrtausende.
Damit liegt ein durch Menschen verursachter Treibhauseffekt vor, der
bislang eine Erwärmung der Erdtemperatur um 0,6 Grad Celsius
zur Folge hatte. Die Erwärmung schreitet weiter fort. Die
Veränderung des Klimas ist unvermeidbar. Was sind die Folgen?
Extreme Wetterlagen wie Hurrikane und Taifune, Hochwasserkatastrophen
und Dürreperioden werden zunehmen. Die Gebirgsgletscher
schmelzen ebenso wie das Eis von Grönland und der Arktis. Der
Meeresspiegel wird weiter ansteigen, verbunden mit
Überschwemmungsgefahren für Küstenregionen.
Durch zunehmende Wüstenbildung und Versteppung werden
Anbaugebiete veröden und damit die Versorgung mit
Grundnahrungsmitteln gefährdet. Ob im Extremfall der Golfstrom
versiegen kann mit der Folge einer Eiszeit in Nordeuropa, bleibt auch
in der Wissenschaft umstritten. Erkennbar ist seit Jahrzehnten ein
Nachlassen des Golfstroms.
Die derzeitige politische Lage
Das bestehende Kyoto I-Klimaschutzabkommen, aus
völkerrechtlicher Sicht eine bedeutsame Vereinbarung, leistet
keinen messbaren Beitrag zum Klimaschutz. Zitat: "Auch bei voller
Umsetzung des Kyoto I-Protokolls treiben wir mit Vollgas in die
Klimakatastrophe." Das liegt nicht nur daran, dass die USA und
Australien das Abkommen nicht ratifiziert haben. Auch die OECD -
Industriestaaten werden, trotz Selbstverpflichtung zur Reduzierung der
Klimagasemissionen, ihre Kohlenstoffdioxidemissionen in der
Verpflichtungsperiode bis 2012 um ca. 25 Prozent steigern. Die USA
gehen keine Verpflichtung ein, solange die Entwicklungsländer
nicht aktiv integriert sind. Diese erwarten eine
Selbstbeschränkung des größten Emittenten
USA, bevor sie sich selbst auf Klimaschutzmaßnahmen
einlassen. Fazit: Das Ziel, die Temperatursteigerung bis 2100 auf 2
Grad Celsius zu beschränken, bleibt auf dieser Basis eine
Illusion.
Kyoto PLUS - ein wirksames Nachfolgesystem?
Seit 2005 steht die Fortschreibung des Kyoto I-Protokolls an. Unter der
Bezeichnung "Kyoto PLUS" werden Mindestbedingungen für einen
wirksamen Klimaschutz definiert. Hierzu gehören ein klares
Klimaziel, die Schaffung von weltweiten Anreizen zum klimafreundlichen
Verhalten, die Vermeidung wirtschaftlicher Überlastungen
einzelner Staaten sowie die Einbeziehung aller Länder in die
Vereinbarungen. Aus der maximal zulässigen Temperaturgrenze
von +2 Grad Celsius ergeben sich maximale Emissionswerte für
Kohlendioxid. Diese Menge lässt sich rechnerisch auf alle
Menschen verteilen. Damit ergibt sich für jedes Land der Erde
die maximal zulässige Emissionsmenge, die in Form von
Klimazertifikaten, auf dem freien Markt gehandelt werden kann. Da die
Industrienationen mit ihren Emissionen weit über dem
Durchschnitt liegen, können sie Klimazertifikate von den
Entwicklungsländern erwerben. Diese können das Geld
für den Aufbau ihrer eigenen Wirtschaft verwenden. Die
Industrieländer haben Anreize, schnellstmöglich
umweltschonende Techniken zu entwickeln und einzusetzen, da sie dann
weniger Klimazertifikate hinzukaufen müssen. Klimafreundliche
Produkte werden sich auf dieser Basis durchsetzen. Peter Spiegel
beschreibt ab Kapitel 9 ausführlich die Wirkungen der
Klimazertifizierung sowie verschiedene erfolgversprechende
Fördermaßnahmen für die
Entwicklungsländer. Deutlich wird: Ohne Gerechtigkeit keine
Klimarettung.
"Zehn gute Argumente für die internationale Durchsetzbarkeit
von Kyoto PLUS" (Kapitel 16) überzeugen auch Kritiker, dass
ein Weg aus der Sackgasse möglich ist. Die Autoren haben mit
diesem Buch zu einer Versachlichung der Klimaschutzdebatte beigetragen.
Die Themen wurden verständlich aufbereitet;
Erläuterungen zu Fachbegriffen und Abkürzungen
befinden sich im Anhang. Beeindruckt haben mich neben der
schonungslosen Analyse der heutigen Situation die konstruktiven
Vorschläge, wie ein wirksamer Klimaschutz erreicht werden
kann. Wer tiefer in das Thema einsteigen will, findet im Anhang ein
umfangreiches Literaturverzeichnis.
Lutz Wicke war Umweltstaatssekretär in Berlin und
Wissenschaftlicher Direktor am Umweltbundesamt. Er ist Verfasser
mehrerer Fachbücher zum Thema und heute als Professor
für Umweltmanagement und Wirtschaftspolitik Direktor des
Instituts für Umweltmanagement (IfUM) an der
Europäischen Wirtschaftshochschule (ESCP-EAP) Berlin.
Peter Spiegel, Publizist und Mitinitiator für einen globalen
Marshallplan, ist Leiter des Terra Instituts und Sprecher des
Bundesverbandes für Wirtschaftsförderung und
Außenwirtschaft - Global Economic Network (BWA).
Inga Wicke-Thüs unterrichtet Naturwissenschaften und
Biologie
in Berlin.
(Klemens Taplan; 09/2006)
Lutz
Wicke, Peter Spiegel, Inga Wicke-Thüs: "Kyoto PLUS. So gelingt
die Klimawende"
C.H. Beck, 2006. 251 Seiten.
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