Jens Bisky: "Kleist"

Eine Biografie


Das unstete Leben des Heinrich von Kleist

Rastlos, heimatlos und mittellos taumelte Heinrich von Kleist durch sein kurzes aber bewegtes Leben. Tischler wollte er werden und Bauer, Offizier, Wissenschaftler und Dichter. Stets mangelte es ihm an klaren Zielsetzungen, an einem festen Lebensplan. "Zeitlebens suchte er ein Geländer zum Anklammern", schrieb Ricarda Huch über ihn. Aber die einzige Tür, die ihm im Leben letztendlich offen stand, das war die Tür, die in den Tod führte, in den Freitod, präziser gesagt.

Das Kleist-Bild, das Jens Bisky in seiner hervorragenden Biografie dieses Dichters zeichnet, wird der Rastlosigkeit des Poeten voll gerecht. Bisky spricht von "einer Seele, die sich im eigenen Haus fremd und gebunden fühlte." Er bezeichnet ihn auch einmal als "Bruder Cagliostros oder Casanovas, immer bereit, alles hinter sich zu lassen und von vorn zu beginnen." Zu dieser inneren Ruhelosigkeit kamen noch diverse körperliche Gebrechen und - dadurch bedingt - eine ständige Unpässlichkeit, die ihm das Leben verleidete. Ein in sich uneiniger, zerrissener Mensch, dessen Seele in ein fremdes Haus gesperrt war. Und nirgends kommt nach Ansicht des Biografen Kleists Persönlichkeit, das Paradoxe und Zerrissene seines Wesens besser zum Ausdruck als in der Tragödie "Penthesilea". Auch Kleist selber betonte, dass alles von ihm in der "Penthesilea" liege. Beinahe alle Protagonisten in Kleists Werken durchleben Ausnahmezustände, agieren in einer Welt der verlorenen Ordnung, einer Welt der Zerrissenheit, darin ähneln sie ihrem Schöpfer und Autor. Jens Bisky zeigt dies anhand kurzer Werkbetrachtungen auf. Und er spricht auch von einer Vielfalt möglicher Deutungen, von den fast unlösbaren Schwierigkeiten, die sich der interpretierenden Kleist-Forschung stellen.

Biskys Kleist-Biografie richtet sich nicht ausschließlich an Leute vom literarischen Fach, da er nicht nur solide Informationen aus Kleists Leben und Wirken bringt, sondern auch über die Strömungen der Zeit informiert, in die der Dichter eingebunden war. Das Buch behandelt so auch ein Stück preußischer und europäischer Geschichte. Und Jens Bisky versteht es, die Vergangenheit lebendig werden zu lassen, indem ihm nämlich eine beinahe ideale Balance zwischen dem Vermitteln von Informationen und dem reinen, der Unterhaltung des Lesers dienenden Erzählen gelingt. In chronologischer Anordnung lassen sieben Hauptabschnitte das abenteuerliche Leben des Heinrich von Kleist vor den Augen des Lesers Revue passieren. Jedem dieser sieben Hauptkapitel ist eine ganzseitige Illustration vorangestellt, die meist eine Porträtzeichnung beinhaltet.

Wir erfahren von den entscheidenden Wendepunkten im Leben Heinrich von Kleists, wie beispielsweise seinem Abschied vom Militär, seiner Abwendung von der Offizierslaufbahn hin zu einer wissenschaftlichen Karriere, später dann weg von der Wissenschaft zur Dichtung. Von einer schweren Sinn- und Lebenskrise im Jahre 1801 erfahren wir, der sogenannten Kant-Krise, dann von Kleists Patriotismus und seiner Gegnerschaft zu Napoleon, Themen, die besonders Eingang gefunden haben in seine patriotische Dichtung "Die Hermannsschlacht". Dann ist natürlich die Rede von seinen zahlreichen Misserfolgen, die er Zeit seines Lebens immer wieder erleiden musste, zum Beispiel das Fiasko bei der Uraufführung seines "Zerbrochenen Kruges" 1808 im Weimarer Hoftheater. Auch seine Arbeit auf dem Feld des Journalismus war zum Scheitern verurteilt, weil er sich nicht um die Interessen der Leser scherte, sondern sich mehr einem elitären Programm verpflichtet fühlte. Sein unterkühltes Verhältnis zu Goethe wird ebenso beleuchtet wie sein Verhältnis zum anderen Geschlecht, das immer wieder Anlass zu Spekulationen gegeben hat. Gelegentlich wurde ihm auch Homosexualität unterstellt, und bis heute gibt es Stimmen, die behaupten, Kleist erscheine im Spiegel seiner Dichtungen als ein Mann mit erheblichen sexuellen Problemen. Jens Bisky steht dieser Einschätzung eher skeptisch gegenüber. Von allen Frauen, die in Kleists Leben eine Rolle spielten, war sicherlich seine Schwester Ulrike die bedeutungsvollste, was auch in dieser Biografie recht deutlich zum Ausdruck kommt.

Kleists innere Rastlosigkeit trieb ihn immer wieder zu oftmals plan- und ziellosen Reisen, die manchmal auch von Geheimnissen umwittert waren, wie die Reise nach Würzburg, vom 09. September bis zum 22. Oktober 1800. Kleist-Forscher stellten die unterschiedlichsten Hypothesen über Sinn und Zweck dieser Reise auf. Bisky beteiligt sich hier nicht an diesen Spekulationen. Und dann gibt es noch eine zweite Spanne in Kleists Leben, die im Dunkeln liegt, die Zeit vom Oktober 1809 bis zum Februar 1810. Es war also ein von romantischen Motiven wie Reisen, Geheimnissen, Schwermut und Einsamkeit bestimmtes Dichterleben, das Leben des Heinrich von Kleist. Auffallend an Biskys Buch ist jedoch, dass der Begriff des Romantischen so selten von ihm zitiert wird, obschon man Kleist ja als einen wichtigen Vertreter dieser Epoche ansehen kann.

Eine zusammenfassende Charakteristik der Werke Heinrich von Kleists durch seinen Biografen Bisky: "Kleists rhetorische Figur war die Hyperbel. Die wichtigsten Dinge sagte er im Modus der Unsagbarkeit. Er trieb die Gegensätze ins Extrem und erteilte der Versöhnung, sei es durch Dialektik, sei es durch Geschichtsphilosophie, eine Absage. Die Aktualität seiner Werke steht außer Frage."

Dem kann auch der Rezensent beipflichten. Gleichfalls kann er konstatieren, dass sich Jens Bisky mit seiner Kleist-Biografie uneingeschränktes Lob verdient hat. Neben den üblichen Ergänzungen wie Anmerkungen, Literaturverzeichnis und Personenregister, findet sich im Anhang auch noch eine Zeittafel mit den wichtigsten Daten und Ereignissen aus dem Leben des Heinrich von Kleist.

(Werner Fletcher; 09/2007)


Jens Bisky: "Kleist. Eine Biografie"
Rowohlt Berlin, 2007. 528 Seiten.
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Jens Bisky, geboren 1966 in Leipzig, studierte Kulturwissenschaften und Germanistik in Berlin.