Klabund: "Das Leben lebt"
"(...)
Das Leben lebt. Ich hör es, seh es, fühl es!
Ob ich dabei, was schiert sich's
drum? Es lebt.
Im leichten Tanz des ewigen Gewühles
Die
Brust der Erde auf und nieder bebt.
Ich fühle an der Stirn ein klares kühles
Gewölk
- Irene, die mich aufwärts hebt."
(Aus "Die Sonette auf Irene" von Klabund)
Der
vorliegende Band beinhaltet ausgewählte Lyrik, geschrieben von einem seiner Nachwelt
nahezu unbekannten Dichter deutscher Zunge, der das Pseudonym "Klabund" gewählt
hatte.
"Das Leben lebt" ist ein abwechslungsreicher, kurzweiliger Gedichtband,
dem neben der Bewahrung klassisch anmutender Formen und Inhalte auch zugute zu
halten ist, dass Zeugnis von der zur Zeit Klabunds in stetigem Wandel (Naturalismus
- Impressionismus - Expressionismus) begriffenen Lyrik - Stilvarianten und Inhalte
fächerten sich zunehmend auf - abgelegt wird. Klabund verband sprachlich routiniert,
bisweilen kreativ, das gegenwärtig Vorhandene mit dem Althergebrachten und betrachtete
Schicksalsschläge und Alltag gleichermaßen durch die Brille eines einmal mehr
einmal weniger distanzierten Beobachters oder aber aus der Perspektive des Leidenden,
vom Leben Verwundeten. So entstanden neben unzweideutiger Gebrauchslyrik (z. B.
volkstümliche Balladen) - Endreimliebhaber mögen sich daran erfreuen - auch satirische
und kritische Texte, die ebenfalls grundsätzlich für breite "Konsumentenschichten"
lesbar und verständlich sind, also für sich sprechen und keiner literaturwissenschaftlichen
Interpretation bedürfen.
Ein schwindsüchtiges Genie?
Klabund
also, wie sich der am 4. November 1890 in Crossen an der Oder geborene Apothekerssohn
Alfred Henschke nannte (gebildet aus
KLAbautermann
und VagaBUND; allerdings gibt es auch eine profanere Variante, derzufolge der
Familienname eines Freundes des Vaters, Klabund eben, der Ursprung gewesen sein
soll), veröffentlichte in seinem kurzen Leben mehr als siebzig Bücher.
Bereits
als Sechzehnjähriger erkrankte er infolge eines Bades in einem außerordentlich
kühlen Alpengewässer an Tuberkulose. Nach dem Abitur studierte der junge Mann
zunächst, wie vom Vater gewünscht, Chemie und Pharmazie in München, später dann
Philosophie, Philologie und Theaterwissenschaften in Berlin und Lausanne. Weder
diese noch jene Studien schloss er ab; das Leben als selbststilisierter "Vagabund"
nach Art eines François Villon war
mehr nach des Dichters Geschmack (zumindest in seiner Fantasie), und schon früh
veröffentlichte er in Zeitschriften Gedichte, die ihn rasch bekannt machten. Auf
sein weiteres Leben fielen die Schatten der Schwindsucht, und seine geliebte Frau
Brunhilde (Heberle), die "Irene" vieler seiner Gedichte, verstarb noch im Jahr
der Hochzeit (1918) im Kindbett. Auch das Kind starb bald. Diese schmerzlichen
Verluste, gepaart mit nagender Selbstbezichtigung (der Dichter gab sich die Schuld
am Tod seiner Frau, da er sie geschwängert hatte) ließen Klabund eine beträchtliche
Anzahl ebenso liebestrunkener wie todessehnsüchtiger Gedichte schreiben und in
Jahre währenden Pessimismus verfallen.
Am 7. Mai 1925 ehelichte Klabund
die aufstrebende Schauspielerin Carola Neher (1900-1942), die in Klabunds Stück
"Der Kreidekreis" Publikum und Kritiker gleichermaßen begeistert hatte, und die
nach Klabunds Tod umjubelte Darstellerin der Polly in Brechts legendärer "Dreigroschenoper"
war. (Carola Neher wies übrigens Bertolt Brechts Heiratsantrag ab.)
Die Tuberkulose
zwang Alfred Henschke wiederholt zu Genesungsaufenthalten in Schweizer Sanatorien
und war am 14. August 1928 auch Ursache seines Ablebens in Davos, auf seinem "Zauberberg".
Die Totenrede auf Klabund hielt sein langjähriger Freund Gottfried Benn (1886-1956).
Stilpluralismus oder Beliebigkeit?
Unter seinen zahlreichen
Romanen (z. B. "Störtebecker", "Die
Krankheit", "Borgia", "Bracke"), Dramen (z.
B. "Der Kreidekreis", ein chinesisches Märchenspiel, welches Klabunds Freund
Bertolt Brecht zu seinem Bühnenstück "Der kaukasische Kreidekreis" inspirierte),
einer Vielzahl von (auch erotischen) Erzählungen, Schauspielbearbeitungen und
Nachdichtungen chinesischer, japanischer und persischer Lyrik kommt Klabunds
Gedichten eine besonders zentrale Bedeutung zu. Daneben schrieb er noch Lieder
und Chansons fürs Kabarett - immer im fieberhaften Wettlauf gegen die kräftezehrende,
todbringende Krankheit.
Auf Klabund, der sich François Villon wahlverwandt
fühlte und wie dieser gelegentlich als sittenlos berühmt-berüchtigt gewordene
Verse schmiedete, übte das Rotlichtmilieu keine geringe Anziehungskraft aus,
ebensowenig scheute er davor zurück, die Schattenseiten der städtischen Zustände
und Entwicklungen zu thematisieren, und so tönt - in moralisierenden und anprangernden
wie auch in frivolen, erotischen Zeilen (manche davon weisen in ihrer locker-flapsigen
Wortwahl echte Gassenhauerqualität auf) - die Kehrseite der empfindsamen, geschundenen
Dichterseele in deftigen Worten von eigenem und fremdem Elend (Krankheit, Huren,
Matrosen, Proletariat, ...) , von Krieg und Frieden, und ein großer Teil der
Gedichte Klabunds mag als Kampfansage gegen bürgerliche Konvention und Spießertum
konzipiert und verstanden sein. Am
Luganer See (Irmgard Ernst; 07/2003)
Klabund: "Das Leben
lebt. Gedichte"
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... Klabautermann: Der
seit der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts bezeugte niederdeutsche Ausdruck für
einen Schiffskobold gehört wahrscheinlich zu dem Verb "kalfatern" seemännisch
für "abdichten". Nach dem Volksglauben klopft der Kobold gegen die Schiffswand,
um mit seinem Klopfen zur Ausbesserung der schadhaften hölzernen Schiffswände
zu mahnen oder den Untergang eines Schiffes anzukündigen. (...)
Übrigens wandelte sich Henschke, dem es aufgrund seiner Krankheit versagt blieb,
selbst ins Feld zu ziehen, und der daraufhin Soldatenlieder aller Zeiten und
Völker sammelte und Kriegslieder aus fremden Sprachen übersetzte, vom leidenschaftlichen
Befürworter des Ersten Weltkrieges zum nicht minder engagierten Pazifisten,
der Kaiser Wilhelm II. einen offenen Brief schrieb, worin er diesen zum Verzicht
auf seine Macht, zur Beendigung des Krieges und zur Demokratisierung Deutschlands
aufforderte; eine charakterliche Entwicklung, die nicht ohne Auswirkungen auf
Klabunds literarisches Schaffen blieb.
Alfred Henschke, zu dessen Vorbildern
Frank Wedekind
zählte, wurde wiederholt wegen des obszönen Inhalts vieler seiner Texte gerichtlich
verfolgt, damit den gewünschten Skandal provozierend, und auch einmal wegen
Blasphemie angeklagt.
Das Leben lebt - eben.
"Durchs Fenster strömt der See zu mir herein,
Der Himmel auch mit seinem Mondenschein.
Die Wogen ziehen über mir dahin,
Ich träume, daß ich längst gestorben bin.
Ich liege auf dem Grunde alles Seins
Und bin mit Kiesel, Hecht und
Muschel eins."
(Klabund)
Ausgewählt und herausgegeben von Joseph Kiermeier-Debre.
dtv, 2003. 192 Seiten.
ISBN 3-423-20641-1.
ca. EUR 7,-.
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(aus: "DUDEN. Das Herkunftswörterbuch")