Friedrich Rothe: "Karl Kraus"

Die Biographie


Alla breve

Karl Kraus war der Herausgeber und überwiegende Verfasser der zwischen 1899 und 1936 in Wien erschienenen "Fackel" sowie Autor von "Die letzten Tage der Menschheit". Er war Pazifist, ein brillanter Sprachvirtuose und geißelte unermüdlich jede Art der Unaufrichtigkeit, insbesondere die journalistischer Art.

Leben und Werk

Karl Kraus wurde am 28. April 1874 in der böhmischen Stadt Jicín geboren. Drei Jahre später zog die Familie nach Wien. Zeit seines Lebens war Karl Kraus ein schmächtiger Mensch, der auch noch an einer Rückgratverkrümmung litt. Er starb am 12. Juni 1936 in Wien.

Er liebte die Schule, denn sie brachte den in einem amusischen Elternhaus aufgewachsenen Karl in Kontakt mit Poesie und Musik. Lange Zeit war er ein Musterschüler. So schrieb er später in "Die chinesische Mauer": "Während meine Kameraden schlechte Sittennoten bekamen, weil sie unter der Bank Bücher lasen, war ich ein Musterschüler, weil ich auf jedes Wort der Lehrer paßte, um ihre Lächerlichkeiten zu beobachten." Angesichts seiner später noch auszubildenden ungeheuren Kraft der Sprache und seines brillanten Verstandes ist man geneigt, ihm diese Selbsteinschätzung unbesehen zu glauben.

Doch seine schulischen Leistungen ließen im Alter von 13 und 14 Jahren nach, insbesondere die spätere Fabulier- und Formulierkunst in seiner Muttersprache schienen noch reichlich fern. Ein orthodoxer und untalentierter Religionslehrer vergällte ihm dann vollends die Lust an der Schule. Dass er dennoch der sprachgewaltige Karl Kraus wurde, verdankte er schulisch in erster Linie der lateinischen Sprache, in deren Substrat seiner Meinung nach Schriftsteller deutscher Sprache gedeihen. Ein umsichtiger Lehrer namens Sedlmayer sei auch erwähnt, der ihn in Deutsch und später in Latein unterrichtete.

Seinem Vater zuliebe schrieb er sich Ende 1892 an der "juridischen" Fakultät ein, besuchte aber wohl kaum Vorlesungen. Im Sommer 1894 wechselte er zur Philosophischen Fakultät und hörte, wenngleich bis 1898 immatrikuliert, nur noch bis 1897 philosophische und germanistische Vorlesungen. Doch auf Details seines Studiums wird weiter unten noch einzugehen sein.

In den 1890er Jahren schrieb er Rezensionen, Bühnenkritiken und Essays für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften. Doch diese kommerziellen Schreibstuben wurden ihm recht schnell zu eng, und ab November 1898 bereitete er seine eigene Zeitschrift vor. Am 1. April 1899 erschien das erste Exemplar eines neuen Kulturblattes unter dem Namen "Die Fackel". Die letzte Ausgabe mit der Nummer 922 erschien knapp 37 Jahre später im Februar 1936. In dieser legendären "Fackel" trat er einem Grundübel der Welt entgegen, nämlich der intellektuellen Unredlichkeit der Bestreiter und Berichterstatter des öffentlichen politischen und kulturellen Lebens. Dabei bediente er sich oft des Stilmittels der Satire und dessen Destillats, des Aphorismus. "Denn der Nationalsozialismus hat die Presse nicht vernichtet, sondern die Presse hat den Nationalsozialismus erschaffen.", schrieb er 1934 in der "Fackel". Dieser Satz hat die Merkmale eines Aphorismus und bietet gleichzeitig Stoff für eine Dissertation.

Die "Fackel" war zwar vornehmlich ein kultur- und gesellschaftskritisches Periodikum von hoher sprachlicher Akkuratesse, aber sie war auch politisch und oft das einzige Organ, das in offenem Widerspruch zur Politik in Österreich und Deutschland stand. Einem Grundsatz der Zensur zufolge unterlag alles einmal Veröffentlichte keiner Zensur mehr, und so zitierte Kraus oft verräterische Quellen und unbedachte Veröffentlichungen und führte seinen aufmerksamen Lesern das offen vor Augen, was zu formulieren an Hochverrat gegrenzt hätte. Ein Beispiel seiner ungemein klaren Sicht auf die zukünftigen Dinge erschien 1920 in Form dieses Satzes: "Die Dummheit wird der Republik die Schuld geben."

Karl Kraus las regelmäßig vor größerem Publikum. Zu Anfang waren es Werke anderer Schriftsteller, wie beispielsweise Gerhart Hauptmanns "Weber", die er bereits 1892 dem Studenten Richard Schaukal in dessen Studentenstube vorlas, wie dieser in seiner 1933 erschienenen Kraus-Monografie berichtete. Doch später las Karl Kraus im In- und Ausland auch Werke anderer von ihm geschätzter zeitgenössischer Autoren und natürlich Klassiker von Goethe und Jean Paul, aber auch vermehrt seine eigenen Texte. Und so verwundert es nur auf den ersten Blick, dass er seine Texte zunehmend so verfasste, dass sie zumindest in seinem Vortrag melodische und rhythmische Momente erfuhren. Einer Rückkopplung gleich soll dieser Vortrag auch seine Texte wiederum beeinflusst haben. Und so wird er in "Beim Worte genommen" zitiert: "Wenn ich vortrage, so ist es nicht gespielte Literatur. Aber was ich schreibe, ist geschriebene Schauspielkunst." So hielt er insgesamt 700 Vorlesungen, die letzte kaum zwei Monate vor seinem Tod.

In einer Karl Kraus zugeschriebenen Rezension, die 1898 in der Wiener Zeitschrift "Die Wage" erschien, deutet sich schon eine Kernmotivation an: "Kein Kulturvolk steht seiner Sprache so teilnahmslos gegenüber wie wir. Dem Deutschen, auch dem gebildeten, ist sie ein bloßes Verkehrsmittel. [...] Auf Versündigungen gegen die Schönheit der Form und des Klanges reagieren wir nicht; daß die Sprache ein Kunstwerk sei, ahnt die große Menge nicht; sein Genuß bliebt ihr verschlossen."

Karl Kraus besaß eine Art Religion, doch ob man sich einem Gott durch eine jüdische, eine christliche Brille oder ohne Hilfsmittel näherte, dürfte ihm einerlei gewesen sein. Jedenfalls trat er am 8. April aus der israelitischen Kultusgemeinde aus. Am 8. April 1911 ließ er sich katholisch taufen. Doch auch dies entsprach letztlich nicht seinen Vorstellungen, und so trat er am 7. März 1923 auch dort wieder aus und wurde in Glaubensdingen freischaffend, ein gerüttelt Maß selbst gedachter Pantheismus dürfte ihm auch eher entsprochen haben als die Botschaften der zeremoniellen Buchreligionen.

In der Zeit vor Juni 1914 war er ein unermüdlicher Mahner für den Frieden. Und als Ende Juni das Kriegsgeschrei einsetzte, schwieg er. Erst im November hielt er seine erste Vorlesung, die mit den Worten begann "In dieser Großen Zeit, die ich noch gekannt habe, wie sie noch so klein war;". Und so heißt es weiter: "Die jetzt nichts zu sagen haben, weil die Tat das Wort hat, sprechen weiter. Wer etwas zu sagen habe, trete vor und schweige!". So schwieg er denn.

Als 1933 in Deutschland die Nationalsozialisten an die Regierung kamen, dürfte dies für den knapp 60-Jährigen eine kaum vorstellbare Situation geschaffen haben. Als ein der Sprache verschriebener Mensch hatte er natürlich die Nazis an ihren Worten und Sätzen längst erkannt und so schloss die Nummer 888 der Fackel mit den Worten: "... das Wort entschlief, als jene Welt erwachte.". Und so schwieg Karl Kraus denn zum zweiten Mal für eine Weile.

Im Februar 1936, dem Monat des Erscheinens der letzten Ausgabe der "Fackel", wurde er von einem Radfahrer niedergestoßen. Von diesem Tage an ging es gesundheitlich bergab, und er verstarb am 12. Juni des Jahres 1936.

Über Karl Kraus

Wenn Sie sich für Karl Kraus interessieren und bereit sind, auch etwas mehr als 20 Euro auszugeben, so kaufen Sie sich am besten beide Bücher. Beginnen Sie mit Paul Schicks Biographie und lesen Sie danach die des Friedrich Rothe. Und in Details vertrauen Sie ersterer.

Die Biographie des Paul Schick (rororo-Monographie)

Dr. Paul Schick, Jurist, wurde 29. März 1905 in Wien geboren. Nach der Rückkehr aus der Emigration wurde er Bibliothekar der Stadtbibliothek in Wien. Dort ordnete er unter anderem Materialien zu Karl Kraus und bereitete die 1964er Kraus-Ausstellung vor. Er starb am 1. April 1975, also genau 76 Jahre nach dem Erscheinen der ersten Ausgabe der "Fackel".

Die Bildmonographien aus dem Hause Rowohlt stellen schon eine Garantie für eine erstklassige, kompakte und dank der Bilder atmosphärische Informationsquelle einer Person der Geschichte dar. So auch in diesem Fall. Den Leser erwartet eine chronologisch gegliederte aber dennoch die "Fäden" seines Lebens und Wirkens verfolgende Biographie. Es fällt lediglich auf, dass der Text auf Seite 140 endet und somit das gestrenge Reihenkonzept etwas weiter ausgelegt wird als gewohnt. Doch den Leser freut dies.

Will man Exaktes über Karl Kraus erfahren, so ist dies Büchlein sicherlich die derzeit beste Wahl. Und so fügt sich diese hervorragende Monographie perfekt in die lange Reihe exzellenter Bücher dieser rororo-Buchreihe ein.

Die Biographie des Friedrich Rothe (Piper Verlag)

Dr. Friedrich Rothe, 1939 in Duisburg geboren, studierte Literaturwissenschaft und Philosophie. Er publizierte über Frank Wedekinds Dramen, die Geschichte der deutschen Literatur sowie Arthur Schnitzler und Adele Sandrock.

Das erste von acht Kapiteln ist mit "Mir fällt zu Hitler nichts ein" überschrieben und behandelt die Zeit von 1933 bis 1936, also die letzten drei Jahre im Leben des Karl Kraus. Wenn man nun dieses Buch als Zugang zu Kraus nutzen und sich diesem mehr oder weniger unvorbelastet vermittels des vorzustellenden Buches nähern möchte, so ist man mit diesem ersten Kapitel sicherlich überfordert. Dem Rezensenten stellte sich der Eindruck ein, dass es sich um ein Kompilat acht einzelner Essays zu Karl Kraus handele, und er bestellte sich die Biografie des Paul Schick aus der Reihe der rororo-Monographien, um die nötige Grundlage der weiteren Lektüre zu schaffen.

Kapitel zwei heißt "Der Wiener Satiriker und die deutsche Hauptstadt" und beinhaltet auch biografische Elemente, handelt aber von Kraus' Verbindungen nach Berlin. Paul Schicks Monographie noch frisch im Gedächtnis, verwunderte die folgende Aussage des Friedrich Rothe (Seite 77): "[...] immatrikulierte Kraus sich im Dezember 1892 an der juristischen Fakultät in Wien. Dieses Studium beendete er 1894 mit dem ersten juristischen Staatsexamen, danach belegte er drei Jahre romanische Philologie und Germanistik." Bei Paul Schick hingegen ist zu lesen (Seite 29 und 31): "[...] immatrikulierte Karl Kraus im Dezember 1892 an der juridischen Fakultät, aber er besuchte keine Vorlesungen. [...] Im Sommer 1894 wechselte Karl Kraus von der juristischen auf die philosophische Fakultät." In eineinhalb Jahren das erste juristische Staatsexamen, ohne eine Vorlesung zu besuchen?

Das wollte ich, der Rezensent, der somit zur ersten Person Singular greift, nun genau wissen und unterbrach die Lektüre. Ich setzte mich per Mail mit zwei mir bis dahin völlig unbekannten Literaturwissenschaftlern in Verbindung, die sich mit Karl Kraus beschäftigt hatten, und bat um etwas Licht. Man nahm mich sofort in die Karl-Kraus-Mailing-Liste auf, in der auch prompt an alle Leser die Bitte um Unterstützung bei Krausens Jurastudium erging. So kam heraus, dass der Autor Friedrich Rothe die erste juristische Staatsprüfung, zu der Kraus eine zumindest theoretische Chance gehabt hätte, mit dem deutschen ersten juristischen Staatsexamen verwechselt hatte. Erst die dritte juristische Staatsprüfung wäre dem deutschen Staatsexamen vergleichbar, doch die konnte Kraus nicht abgelegt haben.

Doch wie verhielt es sich mit der romanischen Philologie, die Karl Kraus gemäß Friedrich Rothe belegt hatte? Ein weiterer Leser der Liste begab sich in die Keller der Wiener Universität und brachte die Krausschen Inskriptionen zutage. Zwischen 1894 immatrikuliert, hörte er vom Sommer 1895 bis Sommer 1897 Philosophie und zwischen 1894 und 1897 Germanistik, von Romanistik keine Spur.

Im Zusammenhang mit meiner Recherche zu Karl Kraus und diesem Buch stieß ich auf eine ganze Reihe von Besprechungen, in denen dem vorliegenden Buch kein gutes Testat ausgestellt wurde. Die angeführten Beispiele sachlicher Fehler kann ich mangels Detailkenntnissen nicht beurteilen, doch ich tendiere nach eigenen Ermittlungen dazu, diesen Kritiken zu glauben. Das wiederum verunsichert mich, denn Friedrich Pfäfflin vom Schiller Nationalmuseum in Marbach hatte das Manuskript vor Drucklegung gelesen, wie der Autor versichert, und war offensichtlich zufrieden.

Aber eine Biographie dieses vielschichtigen, ungemein fleißigen und letztlich doch so menschlichen Karl Kraus liegt in Form dieses Buches sicherlich nicht vor. Wenn man jedoch kein Literaturwissenschaftler ist und die Biographie Paul Schicks zuvor gelesen hat, so kann man dieses sehr flüssig geschriebene Buch sicherlich mit Nutzen lesen, sofern man es unter dem Arbeitstitel "Annäherungen an Karl Kraus" betrachtet.

Der Rezensent bedankt sich für ihre tatkräftige Unterstützung bei:
Dr. Andreas Weigel, Wien
Harald Stockhammer, Innsbruck
Prof. Dr. Sigurd Paul Scheichl, Innsbruck
Dr. Gilbert J. Carr, Dublin
Dr. Giesbert Damaschke, München
Florian Eichberger
Michael Pronay
Prof. Dr. Christian Wagenknecht, Göttingen

(Klaus Prinz; 01/2005)


Friedrich Rothe: "Karl Kraus"
Gebundene Ausgabe:
Piper, 2003. ISBN 3-492-04173-6.
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Taschenbuch:
Piper, 2004. 432 Seiten mit 49 Abbildungen.
ISBN 3-492-24341-X.
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Paul Schick: "Karl Kraus"
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Lien:
https://www.karl-kraus.net/

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"Feinde in Scharen. Ein wahres Vergnügen dazusein"
Karl Kraus - Herwarth Walden. Briefwechsel 1909-1912. Hg. von George C. Avery.
Der hier erstmals veröffentlichte Briefwechsel zwischen Karl Kraus und Herwarth Walden spiegelt die Entwicklung ihrer literarisch-publizistischen Zusammenarbeit und gewährt einen tiefen Einblick in das literarische Leben.
Schon kurze Zeit nachdem Karl Kraus (1874-1936) den Berliner Komponisten und Schriftsteller Herwarth Walden (1878-1941) kennen gelernt hatte, entwickelte sich eine enge Zusammenarbeit zwischen beiden. Als Walden Anfang 1910 im Streit die Redaktion der Halbmonatsschrift "Das Theater" verließ, ermöglichte ihm Kraus durch finanzielle Unterstützung die Gründung einer eigenen Zeitschrift: Am 10. März 1910 erschien die erste Nummer des "Sturm", die sich schon bald zum publizistischen Zentrum der damals jüngsten Literatur und Kunst in Deutschland entwickelte.
In den über 650 Briefen, Postkarten und Telegrammen wird Kraus' bisher unbekannter Anteil an der Entwicklung der Zeitschrift deutlich, der von praktischer und moralischer Unterstützung Waldens bei dessen verschiedenen Entschädigungsprozessen und Ehrbeleidigungsklagen über Spenden und Zuschüsse bis zur Veröffentlichung eigener Beiträge in der jungen Zeitschrift reichte.
Doch schon gegen Ende 1910 zeichnet sich bereits das Zerwürfnis mit Walden und dessen Ehefrau Else Lasker-Schüler ab, das in den Briefen breiten Raum einnimmt: Zur ungeklärten finanziellen Zukunft des "Sturm" gesellen sich unüberbrückbare literarisch-ästhetische Differenzen und eine zunehmende menschliche Entfremdung. (Wallstein)
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