Bodo Kirchhoff: "Die kleine Garbo"
Ein
schlichter Krimi
Giacomo Hoederer - eigentlich Jakob - welch alberner Name für
einen Protagonisten - und welch ein dummer Protagonist, der selbigen
Namen auch noch ganz naiv seinem Entführungsopfer mitteilt.
Damit wäre normalerweise ein weiteres Todesurteil gesprochen -
denn zwei Menschen hat dieser Hoederer schon (unfreiwillig) erschossen
- obwohl er eigentlich die ganze Zeit über sich selbst
erschießen wollte. Was hier verworren klingen mag, ist leider
recht simpel letztendlich: da ist einer zu blöd zum Selbstmord
- dadurch wird er zum Bankräuber, zum Mörder und zum
Entführer. Das klingt fast schon wieder aufregender, als die
Originalgeschichte dann tatsächlich ist.
Der Protagonist ist ein Verlierertyp - Job und Frau weg - ohne Antrieb
und Perspektive - möchte sich das Hirn wegpusten - schafft es
nicht - stolpert quasi in die Entführung eines
Fernsehmädchenstars - und schafft sich wund an der allzu
coolen Göre. Mit einer utopischen Lösegeldforderung
landet der Entführer im tiefverschneiten Wald - wo er Schicht
um Schicht von einer knapp dreizehnjährigen TV-Serienheldin
vorgeführt wird. Die Konfrontation - erfolgreiches Kind der
Scheinwelt mit totalem Versager im echten Leben - schien dem Autor wohl
originell zu sein. Allerdings gerät die Handlung
unglaubwürdig - die Kleine ist schlichtweg zu
abgebrüht - macht Konversation mit dem Mann, der vor ihren
Augen ihren Chauffeur erschossen hat. Und der Typ ist zu weich und zu
unbeholfen, als dass man ihn hassen oder mit ihm Mitleid haben
könnte. Kirchhoff hat sich in der
Maßstäblichkeit vergaloppiert. Diese
Bekehrungsgeschichte ist einfach unglaubwürdig.
Geradezu grotesk-lächerlich etwa gerät die Chose,
wenn der Entführer zum wiederholten Male droht, sich zu
erschießen, wenn das Mädchen ihn nicht endlich duzt.
Und die zeigt, wie man bei einem running gag die
Pointe abwürgt - sie siezt ihn weiterhin konsequent und zieht
ihn noch damit auf. Aber er wartet ja u.a. auf 4 Mille
Lösegeld und erzählt auch ganz naiv, welche
spießbürgerlichen Wünsche er sich endlich
mit dem Geld erfüllen möchte. Und dann übt
der Entführer mit der in Mathe schwachen
Edelschülerin in verschneiter Flur im winterkalten Auto auch
noch ganz ruhig Bruchrechnen. Man könnte ja sagen, Realismus
ist eine feine Sache - Mädchen, Hund und Mann müssen
auch mal raus, haben Hunger, Durst und Schlafbedürfnis - daran
denkt der Autor auch irgendwie, aber doch nur mit halber Konsequenz.
Normalerweise würde so ein verwöhntes
Mädchen - und würde womöglich auch so ein
schoßhündiges Tier - längst Rabbatz machen,
wenn es nichts zu beißen gibt. Dagegen ist die Kleine
supercool: "Wenn Sie sich erschießen wollen, bringt das
Benzinsparen nämlich nichts. Also können wir auch den
Motor anmachen und heizen."
Und dann tritt auch noch das Stockholm-Syndrom in Kraft: nachdem die
Polizei den Entführer angeschossen hat, quillt bei der
entführten Göre das Mitgefühl über:
"Die wollten dich töten, nicht wahr?" Im Schlussteil kommt
neben der nicht so ganz nachvollziehbaren Sentimentalität auch
noch wahre Theatralik auf. Freilich kann Kirchhoff sprachlich-gepflegt
erzählen - aber dieser Stoff war kaum so viele Seiten wert -
da reicht eine knappe Stunde in einer deutschen Vorabendkrimiserie.
(KS; 08/2006)
Bodo
Kirchhoff: "Die kleine Garbo"
Frankfurter Verlagsanstalt, 2006. 287 Seiten.
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zu Bodo Kirchhoffs Netzseite:
https://www.bodokirchhoff.de/.
Weitere Bücher des Autors (Auswahl):
"Infanta"
"Es ist eine Liebesgeschichte, Du kannst es mir glauben. Sie spielt
sich in bemerkenswerter Stille ab, fast unmodern heimlich, und gewiss
unter dem Eindruck der Tropen, die ja - wer wüsste es besser
als wir - keinen Zauber mehr haben ..." So berichtet einer von
fünf Missionaren, die zu Wegbereitern einer großen
Liebe werden, die unaufhaltsam ihren Ruhestand erschüttert. Da
hatte man in der ehemaligen Missionsstation einen Gast aufgenommen,
Kurt Lukas, ein gefragtes männliches Fotomodell, ein
schöner Fremdling, um die Vierzig, aber immer noch nicht
erwachsen. Der sich, beobachtet von den fünf alten Patres, in
Mayla verliebt, die ebenso natürlich wie schön ist,
und als Haushilfe durch ihren Umgang mit den Alten auch klug: eine
vernichtende Kombination. Der Deutsche aus der Ewigen Stadt macht das
Mädchen zur Frau, und die Alten werden über Nacht zu
Komplizen; auf einmal sind sie Anstifter, Mitwisser, Kuppler,
unermüdliche Beobachter des Liebeslebens unter ihrem Dach: von
Lebensabend keine Spur mehr.
Bodo Kirchhoff erzählt in seinem großen Romanerfolg
"Infanta" von einer Kettenreaktion und ihren staunenden Zeugen, von der
einzigen positiven Katastrophe, die das Leben bereithält, der
Liebe. (Frankfurter Verlagsanstalt)
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"Wo
das Meer beginnt"
Wer bin ich, wenn ich begehre? Und welche Grenzen überschreite
ich dabei? Kardinalfragen für Viktor Haberland seit einem
Vorfall am Ende der Schulzeit mit Tizia, seiner Partnerin bei den
Proben zum
Sommernachtstraum.
Damals kam es zu einer
außerordentlichen Lehrerkonferenz, und nur ein alter,
einzelgängerischer Lehrer machte sich für den Jungen
stark. Inzwischen ist Haberland Anfang dreißig und bereitet
für ein deutsches Kulturinstitut in Lissabon einen Abend unter
dem Thema "Das traurige Ich" vor. Auftreten soll unter anderem ein
Hirnforscher mit
seiner Neurologie der Romantik und eine
Schauspielerin, die Gedichte vorträgt. Auf entsprechende
Anfragen meldet sich zu seiner Überraschung Tizia, eben das
Mädchen von einst, jetzt am Theater, ohne zu wissen, wer sie
da engagieren will. Viktor liest zum ersten Mal die Aufzeichnungen der
Gespräche, die sein alter Lehrer damals mit ihm
geführt hat. Und bevor es zum Aufeinandertreffen von Tizia und
Viktor in Lissabon kommt, versteht Viktor, wer er sein kann im Begehren
des Anderen. (Frankfurter Verlagsanstalt)
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"Parlando"
Karl Faller, Held des Romans, erwacht
im Krankenhaus. Jemand hat ihn in
der Neujahrsnacht neben einer erstochenen Frau niedergeschlagen, auf
der Tatwaffe ein wahres Gedränge seiner
Fingerabdrücke, wie die junge Staatsanwältin Suse
Stein bemerkt. Sie vernimmt ihn über Wochen in der Mordsache
und beweist trotz aller Selbstbezichtigung des Verdächtigen
dessen Unschuld. Karl kommt der Staatsanwältin mit
Geschichten, die einen Staub aufwirbeln, der sich erst am Ende des
Buchs vollständig legt. Da ist unter anderem von einem Lehrer
die Rede, den er schon als Schüler erschlagen haben will, und
von erst kürzlich umgekommenen Eltern, die der Sohn nach
langer Zeit wieder zusammengebracht hat und an deren Tod er sich die
Schuld gibt. Doch in das Zentrum von Karls Erzählen
rückt immer zwingender sein schillernder Vater Kristian, der
den Sohn in den Wirren der Studentenbewegung früh verlassen
hat und später eine einzigartige Buchreihe erfand, "Fallers
Stadtführer für Alleinreisende".
Kaum auf freiem Fuß, bereist Karl die
Städte, die
sein Vater in unverwechselbarer Weise beschrieben hat, davon
überzeugt, Kristians Wege durch versteckte Gassen und Lokale
seien auch Wege zu seinen Geliebten oder überhaupt zur Liebe.
Mit leidenschaftlicher Neugier folgt der Sohn den Spuren eines fernen
und doch vom Alter her zu nahen Vaters und begibt sich auf die Suche
nach der rätselhaften Fremden, die in allen
Stadtführern (Rom, Marrakesch, Lissabon, Moskau, Buenos Aires)
erwähnt wird - einzige Geliebte seines Vaters, die er selbst
noch nicht erobert hat. Aber nicht nur Karl folgt einer
Fährte, auch an seine Geschichte hat sich jemand geheftet. Die
junge Staatsanwältin Suse Stein, schon während der
Verhöre ebenso an dem Verdächtigen interessiert wie
an der Wahrheit, hat Urlaub genommen. Als sie eines Abends in Karls
Hotel auftaucht, bewegen sich Sprache und Liebe für ihn zum
ersten Mal aufeinander zu.
Elf Jahre nach seinem internationalen Bucherfolg "Infanta" legte Bodo
Kirchhoff erneut einen Roman von epischer Größe vor,
eine spannungsvolle Generationengeschichte, vorgetragen in einem
unverwechselbaren, von der ersten bis zur letzten Seite fesselnden
Parlando, ein Von-sich-selbst-Erzählen in seiner ganzen Kraft
und Vergeblichkeit. (Frankfurter Verlagsanstalt)
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