Bodo Kirchhoff: "Eros und Asche"
Ein Freundschaftsroman
Bodo
Kirchhoffs Roman ist ein
beeindruckendes literarisches Dokument. Er vereint die ernsthafte und
ehrliche
Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie mit einem
unspektakulären und
nicht auf Leserwirkung schielenden Einblick in den Alltag und das
Arbeitsleben
eines Schriftstellers. Das Buch ist Michael Päselt gewidmet,
einem Freund Bodo
Kirchhoffs, den er seit den gemeinsamen Internatsjahren am
evangelischen
Internat Gaienhofen am Bodensee kennt. Nie haben sie ihre Verbindung
abreißen
lassen, auch als sich nach dem Abitur ihre Wege zum Teil für
lange Zeit
trennten, Kirchhoff sich der Schriftstellerei widmete und
Päselt Medizin
studierte und später als Neurologe erfolgreich arbeitete. Als
der kranke M. und
der Autor zum letzten Mal miteinander telefonieren, (zu diesem
Zeitpunkt wissen
sie noch nicht, dass es das letzte Mal ist), sagt der todkranke Freund:
"Pack unsere Dinge in einen Roman - und halte die Ohren steif."
"Seine Ohren und auch alles Übrige sind bald darauf
zu Staub geworden,
nur der Aufruf blieb bestehen, und unsere Dinge, das waren die einer
Freundschaft von absurder Tiefe, bis in die
Blutgefäße des Denkens, absurd,
weil das spätere Leben diese Zeit überschrieben hat
... ein Roman müsste das
sorgfältig trennen, für den Übriggebliebene
eine Arbeit, bei der er nur das
Beste versuchen kann."
Selbst noch nicht richtig von einer schweren Augenoperation genesen,
fängt der
Autor an, mit der Hand zu schreiben, eine seit Jahrzehnten nicht mehr
geübte
Praxis. Meistens schreibt der Frankfurter Schriftsteller in seiner
Schreibwohnung in der Sachsenhäuser Gartenstraße, wo
er von einem der oberen
Stockwerke aus die Stadt überblicken kann, in der er gerne und
aus Überzeugung
lebt. Wenn Kirchhoff nicht gerade schreibt, lebt er mit seiner Frau und
seinem jugendlichen Sohn in einer Nachbarstraße in der
gemeinsamen
Familienwohnung. Während
er mit seiner Frau wohl über sein neues Buch reden kann - sie
kennt den Freund
- reagiert der Sohn mit altersbedingtem Unverständnis und
Abwehr:
"Je mehr und klarer man die Abwesenheit des anderen
ausspricht, je öfter
und deutlicher man dessen Fehlen beklagt, und sich mit dem Abwesenden
befasst, desto mehr bringt man die weibliche Seite in sich zum
Vorschein. Der
sehnende Mann ist der verwandelte Mann, auf eine für
Außenstehende unter Umständen
unheimliche Weise feminisiert, als Teil einer Eucharistie, bei der
Brot
und Wein zu Erinnerungen an den Freundesleib werden. Und ein
Vater, der sich so
verhält, vom Freund erzählen möchte, macht
sich
verdächtig, jedenfalls für einen
Sohn, der es nicht gewohnt ist, Romane zu lesen, die ja
immer, wenn sie uns weiterbringen, eine
Beschwörung
der Abwesenheit sind, ein
Sieg des Weiblichen."
Bodo Kirchhoff dokumentiert, diesen Roman schreibend, sowohl seinen
eigenen Alltag über etwa ein Jahr hinweg, als auch seine
Freundschaft
mit M., einem Menschen, der nach sehr erfolgreichen Jahren als
Neurologe
später nur noch sporadisch als Notarzt arbeitet und dann auch
diese Tätigkeit
bald aufgibt. Er ist krank, sicher, aber da ist auch etwas Anderes, was
diesen
hochbegabten Menschen mit all seinem Wissen und seinen Erfahrungen,
aber auch mit
seiner früher enormen Anziehungskraft auf Andere, sich in sich
selbst
einschließen lässt.
Kirchhoff folgt in lebendigen und
zum Teil auch lustigen Erinnerungen dem gemeinsamem Lebensweg durch
eine wahrlich spannende Zeit. Denn 1947 geboren, erlebt M. im Internat
und
danach an der Universität eine für das Land
bedeutende
Ära, ohne allerdings selber groß
aktiv zu werden, ähnlich wie sein Freund Bodo
übrigens.
Wir erinnern uns schmunzelnd mit dem Autor daran, dass früher
ein Zehn-Pfennig-Stück in der Roth-Händle-Packung aus
dem
Automaten kam. Wir nehmen teil an Unternehmungen zweier Freunde im
Internat und danach,
erleben ihre Jugendsünden wie auch ihre Jugendfreuden und ihre
immer
lebendige intellektuelle und musische Auseinandersetzung. Dazwischen
lässt uns der Autor teilhaben an seinem Autorenleben,
beschreibt in Andeutungen den
Konflikt mit Ulla B., der Frau von Siegfried Unseld, der ihn den
Suhrkamp Verlag
nach vielen Jahren verlassen ließ, und seine gute und
freundschaftliche
Beziehung zum Chef der Frankfurter Verlagsanstalt, einem Sohn Unselds,
der sich vom Vater
getrennt und selbstständig gemacht hat.
Wir folgen dem Autor immer wieder an seinen zweiten Wohnsitz am
Gardasee, seinem Lebens- und Schreibparadies, verfolgen, wie er an
einer Novelle
schreibt, (Veröffentlichung 2008 unter dem Titel
"Gardaseegeschichten"), und dennoch immer wieder
zu dem Roman über seinen Freund M. zurückkehrt.
Nicht nur Michael Päselt, der mir bis dato völlig
unbekannt war, ist mir durch dieses Buch nähergekommen,
sondern ich habe auch einen Autor
näher kennengelernt, von dessen früheren Romanen ich
einige gelesen
habe.
Bodo Kirchhoff verbindet in diesem wunderbaren, sehr sensibel und zart
geschriebenen Roman, (siehe obenstehendes Zitat über die
weibliche Seite, die das schreibende Erinnern hervorbringt), die
Dokumentation von
Lebensgeschichte mit der Erzählung zahlloser Lebensgeschichten
und
lässt in dem etwa
gleichaltrigen Leser unzählige eigene Erinnerungen wach werden
an diese Jahrzehnte nach 1960. Jüngere Leser werden
beeindruckt sein
von dieser lebenslangen
Freundschaft
zweier Männer, die durch intensive
und weniger intensive Phasen immer gehalten hat.
Ich jedenfalls war am Ende traurig darüber, dass es in meinem
Leben einen solchen Freund nicht gibt oder gegeben hat.
(Winfried Stanzick; 10/2007)
Bodo
Kirchhoff: "Eros und Asche. Ein Freundschaftsroman"
Gebundene Ausgabe:
Frankfurter Verlagsanstalt, 2007. 278 Seiten.
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Taschenbuchausgabe:
dtv, 2012.
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Weitere Bücher des Autors (Auswahl):
"Die Liebe in groben Zügen"
Vila und Renz, beide für das Fernsehen tätig, sind
ein Paar im Takt der Zeit mit erwachsener Tochter, Wohnung
in Frankfurt
und Sommerhaus in
Italien - alles so weit gut, wäre da nicht die
unstillbare Sehnsucht nach Liebe: die einzige schwere Krankheit, mit
der man alt werden kann, sogar gemeinsam. Noch aber sind Vila und Renz
nicht alt, auch wenn sie erfahren, dass sie Großeltern
werden. Sie stehen voll im Leben, nach außen erfolgreich und
nach innen ein Paar, das viel voneinander weiß, aber nicht zu
viel. Ein ausbalancierter Zustand; bis zu dem Augenblick, in dem Vila
mit ungeahnter Intensität einen Anderen zu lieben beginnt.
Bodo Kirchhoff erzählt in seinem großen Lebensroman
von einer langen Ehe als ewiger Glückssuche, von
frühem Missbrauch als späterer Weltverengung und
einem lebenslänglichen, nur im Stillen erfüllten
Verlangen. Im Zentrum aber steht die Liebe zwischen Vila, einer Frau in
festen Verhältnissen, und dem Einzelgänger
Bühl, Biograf eines Paars aus einer vergangenen,
gottesfürchtigen Epoche.
Nach seinen beiden erfolgreichen, weltumspannenden Romanen "Infanta"
(1990) und "Parlando" (2001) erzählt Bodo Kirchhoff von drei
welterschließenden
Liebesgeschichten
und einer weltverengenden enttäuschten Jugendfreundschaft:
"Die Liebe in groben Zügen" ist ein großartiges,
souverän und stilsicher erzähltes Panorama einer Ehe
als Lebensprojekt in einer Zeit, die den Moment verherrlicht. Und wenn
es einen Höhepunkt in der Ehe gibt, erkennt Vila am Ende, dann
besteht er in deren Dauer. (Frankfurter Verlagsanstalt)
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"Legenden um den
eigenen Körper"
Im Wintersemester 1994/95 hielt Bodo Kirchhoff im Rahmen der
Frankfurter Poetikdozentur an der
Johann-Wolfgang-Goethe-Universität vier Vorlesungen mit den
Titeln "Das Kind und die Buchstaben", "Ortho-pädische
Wahrheit", "Schreiben und Narzissmus" und "Dem Schmerz eine Welt
geben", erstmals erschienen bei Suhrkamp 1995. Der seit Langem
vergriffene Band wurde für diese Neuauflage durchgesehen und
um den Essay "Auf dem Weg zu einer Sprache der Sexualität"
erweitert.
Kirchhoff bietet eine lebhafte, sehr persönliche und elegante
Mischung aus biobibliografischen Berichten und Selbstanalysen,
Reflexionen über zentrale Leseerlebnisse und für ihn
bedeutsame Schriftsteller. Ein ausgiebiger Blick in die Werkstatt in
Form von Auszügen aus Kirchhoffs Romanprojekt und Gedanken zur
Lage der Gegenwartsliteratur sowie eine feurige Philippika
über den deutschen Kulturbetrieb runden die Vorlesungen ab.
Kirchhoff legt die Triebfeder literarischen Schreibens bloß
und bringt in einem eigens für diesen Band konzipierten neuen
Essay die Geschichte des eigenen Missbrauchs zur Sprache. Klar
umrissene Begrifflichkeiten für eine poetologische
Systematisierung lehnt Kirchhoff ab, konzentriert sich auf die
Körperlichkeit der Dinge, schreibt über den
Männlichkeitswahn eines
Hemingway, die Idiosynkrasien eines
Kafka
und über die Körperlichkeit der Werke moderner,
zeitgenössischer Autoren wie Josef Winkler, Marguerite Duras
und Hervé Guibert und kommt zu den die Literatur
bestimmenden Fragen: "Weshalb bin gerade ich, hier und jetzt, in diesem
Körper eingeschlossen? Wo komme ich her, und wo sollte ich
hin? Was soll dieses Leben?" ... und: "Gibt es ein Recht auf
Glück?"
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