Egon Kapellari: "Bis das Licht hervorbricht"
Fragen zwischen Kirche und Kunst
Die
Kunst als Magd der Kirche, zu diesem ehemaligen
Knechtschaftsverhältnis will niemand mehr zurück.
Auch Diözesanbischof Egon Kapellari nicht, der zwar das in
früheren Jahrhunderten übliche gemeinsame Wirken von
Kunst und Christenheit (Kunstgeschichte
ist zugleich
Kirchengeschichte
und umgekehrt) wohl um einiges positiver als viele Zeitgenossen sieht,
doch in einer kunsthistorischen Betrachtung nicht das eigentliche Thema
erkennt, das einem kunstsinnigen Priester wie ihm zu denken gibt. Die
toten Väter im Glauben waren in der Dimension des
Schönen, ja in der Kunst überhaupt, zwar offenbar
größer als die heute Lebenden, meint Kapellari, doch
lasst das Vergangene ruhen. Im Hier und Jetzt vollzieht sich das Leben
der Lebenden, und die Erhellung des Morgens muss Gegenstand unseres
Engagements sein.
Gleichermaßen bedenklich wie schmerzlich empfindet Kapellari
den weit gediehenen Entfremdungsprozess zwischen Kunst und Kirche in
der Gegenwart. Ethik und Ästhetik sind auseinander gefallen.
Zusehends wird Kirche nicht mehr als Ort des Schönen
begriffen. Und nicht so wenige Kleriker glänzen in ihrer
ganzen Lebensführung durch Geschmacklosigkeiten, was
vielleicht die Folge davon ist, dass in der Priesterausbildung und im
Studium der Theologie Ästhetik falls überhaupt dann
nur ein vernachlässigbares Randthema ist. Dabei ist nicht
zuletzt der Kirche in Österreich ein riesiger Schatz an
Schönem - Kirchenhäuser, Klöster,
Gemälde, Skulpturen und geistliche Musik - anvertraut. Und
gilt nicht weiterhin jene Rechtfertigung des Renaissancepapstes Sixtus
IV., der als Mäzen von großer Kunst sehr viel Geld
ausgab, mit der Begründung: "Lasst die Menschen erst
das Schöne sehen, und sie werden glauben."
Jene Allianz des Heiligen und des Schönen, für die
die Kirche in vielen ihrer Manifestationen steht,
stößt nicht selten dem einen oder anderen
Kirchenkritiker sauer auf, und die Absage an eine pompöse,
reiche Kirche, gepaart mit der Forderung nach einer geziemenden
Bescheidenheit im Ausdruck, also nach Armut, ist beim Volk
höchst populär. Für Kapellari handelt es
sich hierbei um eines der bittersten Missverständnisse
überhaupt. Warum sollten Christen zwischen Güte und
Schönheit wählen, wo doch das Eine das Andere
keineswegs ausschließt, im Einzelfall sogar bedingt? Das
Schöne in Natur und Kunst macht den Unglauben schwer. Es
sollte freilich immer mehr als "schöner Schein" oder
bloße "Behübschung" sein, stellt Kapellari
unmissverständlich klar. Das Schöne bedarf der Tiefe.
Wenn die Kirche nun
der
schönen Schätze im
Übermaß besitzt (großteils Kulturerbe), so
ist das für Kapellari keineswegs einem Kult um den sündigen
Mammon gleichzusetzen, sondern
gleichermaßen Geschenk wie Last. Last nämlich im
ökonomischen Sinne einer kostspieligen Denkmalpflege. Traurig
und ärgerlich sei jedenfalls die pauschale Denunzierung des
Schönen als Luxus und falsche Repräsentation und die
Aufrichtung eines scheinbar unversöhnlichen Gegensatzes
zwischen "schön" und "gut", zwischen "ästhetisch" und
"ethisch".
Abgelöst von Güte und Wahrheit kann der Kult um das
Schöne zum Götzen werden, gibt Kapellari nun aber zu
bedenken und verweist solcherart auf einen alternativen christlichen
Kunstbegriff, der wohl niemals einer Kunst um ihrer selbst Willen das
Wort reden wird. Kunst möge auf ein Höheres
verweisen, wofür sich im künstlerischen
Vermächtnis der alten Meister grandiose Zeugnisse finden.
Insofern ist und bleibt die christliche Auffassung von Kunst im
Vergleich mit diversen avantgardistischen Konzepten zwar
zwangsläufig antiquiert und in der Weite ihres Ausdrucks
eingeschränkt, doch muss die Idee eines quasi anarchischen
Kunstschaffens als ein Grenzziehungen zerbrechender Selbstzweck auch
nicht unbedingt als der Weisheit letzter Schluss erkannt werden. "Dem
Wahren, Guten, Schönen" - so lautet der klassische Sinnspruch
der Ästhetik. Kapellari weiß um die Problematik
dieses Sinnspruchs, denn die Wahrheit kann hässlich und das
Böse schön sein, und wie viel
spießbürgerliche Lüge baute darauf auf und
doch, so Dostojewskij
in seinem Roman "Der Idiot": "Die
Schönheit wird die Welt erlösen!" Das
Kunst-Schöne und die schöne Kunst, ja das
Schöne, das inmitten und trotz des Grauens einen Abglanz des
Göttlichen verheißt, das auch in die Hölle
scheinen kann, Kapellari nimmt die Sache beim Wort und gibt ein
unumwundenes Bekenntnis zur unzeitgemäßen zeitlosen
Ästhetik des russischen Filmregisseurs Andrej Tarkowskij ab,
dessen Terminologie von dem sündhaften Materialismus und von
der geistigen Krise des egoistischen Westens dem Kulturbegriff des
Vatikans in Gedanken und Formulierungen nahe ist.
Tarkowskij, fürwahr kein konservativer Ideologe,
verkündete in seinem Buch "Die versiegelte Zeit" für
einen modernen Künstler gar seltsame Ansichten: "Freiheit
- das ist Bringen von Opfern im Namen der Liebe." Oder: "Ich
bin für eine Kunst, die dem Menschen Hoffnung und Glauben gibt
... Schließlich dürstet die Seele nach Harmonie,
während das Leben voll Disharmonien ist ... Das Streben nach
dem Absoluten ist die vorantreibende Tendenz der
Menschheitsentwicklung. Und eben mit dieser Grundtendenz ist
für mich auch der Begriff des Realismus in der Kunst
verknüpft. Die Kunst ist dann realistisch, wenn sie ein
moralisches Ideal auszudrücken strebt. Realismus ist das
Streben nach Wahrheit, und die Wahrheit ist immer schön."
Viele mögen da nicht mitkönnen, das Buch des Russen
zornig von sich weisen, doch wer jemals in den göttlichen
Bildersymphonien des Andrej Tarkowskij schwelgen durfte, wird wissen,
was der Russe und sein Apologet - Bischof Kapellari - damit zum
Ausdruck bringen wollen. Ein Film Tarkowskijs ist immer wie eine
Zwiesprache mit einer höheren Wahrheit. Die Anschauung einer
Vorahnung des Absoluten im Hier und Jetzt. Oder um es mit den Worten
des russischen Malers Alexej Jawlensky zu sagen: "Kunst ist
Sehnsucht zu Gott."
Egon Kapellaris Buch ist nicht wie aus einem Guss geformt bzw.
solcherart verfasst, zumal es sich um eine Sammlung von Texten handelt,
die der Bischof im Laufe der Jahre zur Thematik "Kunst und Kirche"
publiziert hat. Ein Lebensmittel und wohl auch ein Glaubensmittel,
allemal jedoch eine Herausforderung an Gesellschaft und Kirche, das ist
seines Erachtens Kunst. "Es gibt nur eine Methode,
um Bilder
zu verstehen - nicht versuchen, sie zu interpretieren,
sondern sie so
lange anschauen, bis das Licht hervorbricht." Diese Worte der
französischen Mystikerin Simone Weil erkor sich Kapellari zum
Buchtitel. Und dieses Hervorbrechen mystischen Lichtes gelte vor allem
für die Bilder von Mark Rothko, dessen farbflächigen
Bildern Kapellari besondere Aufmerksamkeit und Hochachtung zuwendet.
Hierbei handelt es sich um Werke des amerikanischen Abstrakten
Expressionismus, der eine außerordentliche Herausforderung an
die Sehgewohnheiten des Publikums darstellt. Es sind Bilder mit Tiefe.
Das Unendliche im Endlichen spricht aus ihnen.
Nicht immer geht es in Kapellaris Buch so kontemplativ wie bei der
Betrachtung von Mark Rothkos monochromer Farbmystik zu. Der christliche
Kunstbegriff setzt dort Grenzen, wo religiöse Befindlichkeiten
verletzt werden, zumal sich auch die Frage stelle, ob ein
programmatischer Abbau von Tabus nicht einen Weg in die
Inhumanität öffne. Sakrale Räume seien
jedenfalls vor blasphemischen Angriffen mittels Methoden geistigen
Widerstands zu schützen. Kapellari verweist in diesem
Zusammenhang auf seinen sanft-unerbittlichen Widerstand
gegenüber dem Opus des Künstlers Hermann Nitsch, der
sich in seinem Libretto zu "Die Eroberung von Jerusalem" eines
blasphemisch-pornografischen Umgangs mit der Gestalt Jesu Christi
befleißige. Zum Abschluss des Textbeitrags zur Kontroverse um
Hermann Nitsch meint man beinahe ein leises Bekenntnis zu einem
wehrhaften Christentum herauszulesen, wenn Kapellari beklagt, dass
viele Christen nicht mehr bereit wären die Schwellen ihrer
Kirchen zu schützen. Und der Bischof beendet sein Buch mit dem
nachdenklichen Satz: "Vielleicht lernt man in Europa auch
angesichts des Islam wieder mehr Ehrfurcht vor dem eigenen christlichen
Erbe, statt es der Beliebigkeit im Umgang damit auszuliefern."
Gelehrig und facettenreich, keineswegs in Hinblick auf einen zur
Koketterie geneigten Zeitgeist gefügig, zwar bestimmt in
seinen Grenzziehungen gegenüber einem ausufernden Begriff von
wegen künstlerischer Freiheit, doch
großzügig und aus wohlwollendem Willen
verständig, was nun die Vielfalt künstlerischen
Ausdrucks betrifft, im Spannungsfeld zwischen Kunst und Kirche vertritt
Kapellari die gleichermaßen ernüchternde wie
ermunternde Position eines um den Bestand unverhandelbarer
Wertschätzungen besorgten, ansonsten aber herzlichen
Miteinanders. Nicht jeder Künstler und Theoretiker der Kunst
wird sich in dieser Gedankenwelt des kunstsinnigen
Kirchenfürsten aus Graz-Seckau heimisch fühlen, denn
Kunst als Spiegelblatt zur metaphorischen Anschauung einer ihrer Ferne
wegen unanschaulichen Transzendenz ist weitaus mehr als nur ein der
Veredelung, Sensibilisierung oder einfach nur Erbauung des Daseins
dienendes Lebensmittel. Nach christlicher Auffassung hat Kunst
(zumindest im weiteren Sinne) eben auch Glaubensmittel zu sein; im
günstigen Fall pastoral zu wirken. Hierzu aus Neigung einen
Beitrag zu leisten, ist jedermann geladen, doch obliegt es dem freien
Willen, sich für oder gegen den Dienst an der christlichen
Heilsbotschaft zu entscheiden. Dass der Kulturbetrieb aber nicht nur
allein ob des schnöden Kunstmarkts wegen oder zwecks Reizung
des Wohlgefallens Sinn ergibt, sondern dass die Chance auf eine
weiterführende künstlerische Entfaltung vielleicht
gar in spirituellen Gefilden zu suchen ist, dies sollte nicht voreilig
als reaktionäres und bestenfalls kirchenpolitisch taktierendes
Gehaben altväterlicher Hierarchen abgetan werden.
Kunst und Kirche sind einander ihrem urtümlichen Wesen
gemäß geschwisterlich zugetan, denn in beiden
Bereichen sind Menschen nicht einzig aus der Notwendigkeit um einen
bürgerlichen Beruf, sondern aus innerer Berufung
tätig. Und hier wie dort gilt es nach der Konvention einer
poetischen Daseinslogik zu leben. Nach einem Prozess gegenseitiger
Entfremdung nun wieder bei gleichzeitiger Wahrung wechselseitiger
Hochachtung zueinander zu finden, dafür plädiert
Kapellari mit Worten, die es an aufrichtiger Leidenschaft nicht fehlen
lassen.
(Harald Schulz; 11/2006)
Egon
Kapellari: "Bis das Licht hervorbricht. Fragen zwischen Kirche und
Kunst"
Styria Verlag, 2006. 263 Seiten.
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Egon
Kapellari, geboren 1936 in Leoben in der Steiermark; Studium der
Rechtswissenschaften u. der
Theologie, 1961 Priesterweihe. 1964 bis
1981 Hochschulseelsorger für die Grazer
Universitäten. 1982 bis 2001 Diözesanbischof von
Gurk-Klagenfurt, seit 2001 Diözesanbischof von Graz-Seckau. In
der Österreichischen Bischofskonferenz ist Egon Kapellari
Stellvertretender Vorsitzender und zuständig für
Kultur, Europafragen, Medien und zum Teil für Liturgie.
Zahlreiche Publikationen, u. a. über Kirche und Kunst,
über die Theologie des Symbols und über das
Kirchenjahr. Im Styria Verlag erschien zuletzt der Band "Und dann der
Tod" (2005):
"Und
dann der Tod. Sterbe-Bilder"
Der anonyme Tod Tausender durch Hunger und Krieg ist medial
allgegenwärtig, während der eigene Tod und der
bevorstehende Tod nahestehender Menschen verdrängt und
tabuisiert wird; immer mehr Menschen sind in ihrem Sterben einsam und
isoliert, hilflos ausgeliefert der bürokratischen
Anonymität von Krankenhäusern und Pflegeheimen. Gegen
diese Ausgrenzung des Todes stellt Bischof Egon Kapellari seine
"Sterbe-Bilder" bedeutender Persönlichkeiten. Eindrucksvoll
zeigt er, wie diese in der letzten schweren Entscheidungssituation
ihres Lebens Kraft und Würde zeigten und so der
großen Forderung des schlesischen Mystikers Angelus Silesius
gerecht wurden: "Mensch, werde wesentlich!" Das Erzählen vom
Tod, so demonstriert Egon Kapellari mit Nachdruck, ist
letztendlich ein
Erzählen vom Leben: von Schwäche und Verzweiflung,
aber auch von Glaube, Hoffnung und Liebe - ein Buch, das Mut macht und
Kraft gibt.
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Weiterer Literaturtipp:
Horst
Bredekamp: "Theorie des Bildakts. Frankfurter Adorno-Vorlesungen 2007"
Seit dem
byzantinischen Bilderstreit und dem Bildersturm der Reformation ist
nicht mehr in solcher Intensität über Bilder
nachgedacht worden wie in den letzten Jahrzehnten. Neben der
Archäologie und der Kunstgeschichte haben sich zahlreiche
weitere Fächer an Fragestellungen rund um das Bild geradezu
festgebissen. Angesichts dessen geht einer der bedeutendsten
Kunsthistoriker der Gegenwart der Frage nach, warum Begriff und Geltung
sowie Macht und Ohnmacht von Bildern so hartnäckig verfolgte
Themen unserer Tage geworden sind.
Vordergründig geht diese
Hochblüte auf die nie zuvor dagewesene
Dominanz
des Visuellen in fast
allen Lebensbereichen zurück. Dahinter verbirgt sich jedoch
ein tieferliegendes Problem als Paradoxon: Bilder besitzen zwar als von
Menschen geschaffene Artefakte kein autonomes Leben, entwickeln aber
immer wieder eine Präsenz, die sie mehr sein lässt
als nur toter Stoff. Darauf gründet die Erwartung, dass das
Nachdenken über sie mehr hervorzubringen vermag als der
bloße Blick auf sie.
Im Doppelspiel von lebloser Starre und
Lebendigkeit liegt die handlungsstiftende Kraft von Bildern. Mit Blick
darauf entwirft Bredekamp eine Theorie des Bildakts als
Gegenstück zur Lehre vom Sprechakt und verfolgt das
Phänomen wirkkräftiger Bilder in drei Bereichen: der
künstlichen Lebendigkeit, des Austausches von Bild und
Körper und der Eigentätigkeit der Form. Das Buch ist
die stark erweiterte Fassung seiner im Jahr 2007 gehaltenen und
vielbeachteten Frankfurter Adorno-Vorlesungen - und die Summe
jahrzehntelanger Forschungen zur bildaktiven Phänomenologie.
Horst Bredekamp ist Professor
für Kunstgeschichte an der Humboldt-Universität zu
Berlin und "Permanent Fellow" am
Wissenschaftskolleg ebendort. Er ist Träger des "Sigmund-Freud-Preises
für wissenschaftliche Prosa", des "Aby-M.-Warburg Preises",
des "Max-Planck-Forschungspreises"
sowie des "Richard Hamann-Preises" für hervorragende
Leistungen auf dem Gebiet der Kunstgeschichte.
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