Klaus Kinski: "Ich bin so wie ich bin"


Seine Tugend war der Exzess; extrovertierter Sexualismus das Instrument seines Erfolges

Nachdem Kinski zweieinhalb Stunden lang "Lavaströme erbrochen hat" ("Kurier", Wien), verlässt er schweißbedeckt die düstere Zelebrationsstätte und wickelt sich hinter der Bühne in einen Teppich, "um den Beifall nicht hören zu müssen". - Mit diesen Worten würdigt der "Spiegel" vom 22. Februar 1961 den großen Deklamator Nikolaus Nakszynski, besser bekannt unter seinem Künstlernamen Klaus Kinski, welcher zu jener Zeit als Ein-Mann-Wanderbühne durch Westdeutschland, Österreich und die Schweiz tourte, um vor allem die Huren- und Galgenstücke seines Lieblingsdichters, François Villon, "wie Blitze und Keulen unter die Massen zu schleudern". "Villon, das bin ich", bezeugte Kinski einer in Ehrfurcht verharrenden Fachwelt und entriss den verehrten Dichter und Vaganten dem Vergessen. "Mit nicht ganz schicklichen Extasen" (so meinte die Wiener Tageszeitung "der Kurier") provozierte der bleiche Sprechkünstler sein duldsames Publikum zu Begeisterungsstürmen, obgleich Kinski keine Entgleisung scheute und bisweilen seinen Zuhörern erklärte, dass er sie "sehr miese findet".
Seine fast schon krankhafte Egozentrik und soziale Unverträglichkeit hatte zuvor das Ende des Bühnenschauspielers Kinski besiegelt, obgleich ihm allgemein jene außerordentliche Begabung zugestanden wurde, welche er mit seinem genialischen Gehabe keineswegs zu zelebrieren scheute. Im Jahre 1956 war Klaus Kinski als das Bühnengenie kommender Jahre von Adolf Rott ans Burgtheater in Wien engagiert worden, um dort den Torquato Tasso zu spielen. Die Rolle des Torquato Tasso schien dem sendungsbewussten Mimen sein Aufstieg in den Götterhimmel der Schauspielkunst zu sein, doch riss sie ihn in der Tat hinab in die Daseinstiefe des gemiedenen, weil schwierigen, Außenseiters.
Kinski, welcher in der Rolle des Torquato Tasso schon als lebendes Abbild glorioser Theaterkunst posierte, erwies sich als nicht in das Ensemble integrierbar, reizte mit eigenmächtigen darstellerischen Interpretationen des Tasso und wurde schließlich als Kulturschänder der Burg verwiesen. So geriet der Torquato Tasso zum einmaligen Gastspiel Kinskis und war Anbeginn des baldigen Endes seiner relativ kurzen, mit Unschicklichkeiten garnierten Karriere als Theatervirtuose.
Nach dem Scheitern seines "Jesus Christus Erlöser"-Bühnenexperiments nahm Kinski am 27. November 1971 - auch als Rezitator - endgültigen Abschied von der Bühne und wandte sich fürderhin seinem Leben vor der Filmkamera zu, das uns so bedeutsame Epochalwerke wie "Nosferatu", "Paganini" oder "Aguirre, der Zorn Gottes" - um nur einige zu nennen - beschert hat. Das tobende Monster, das er zweifelsohne war, brillierte in einigen genialen, wie aber auch in einer Unmenge von mittelmäßigen oder gar miserablen Filmen, deren einziger Wert die Kinski-Szenen sind, weil sie - noch im größten Schund versackt - von der unverletzlichen Würde des Metiers erzählen. Dies deswegen, weil Kinski selbst noch die dümmsten Rollen in filmischen Müllprodukten mit kompromissloser Ernsthaftigkeit verkörperte. Die jeweils gebotene Gage wird wohl sein Hauptauswahlkriterium gewesen sein, wenn es darum ging, eine angebotene Filmrolle anzunehmen oder nicht. Doch war Kinski sein Geld ganz offensichtlich immer noch wert gewesen.

"Ich bin so wie ich bin" illustriert mit üppigem Bildmaterial den künstlerischen Werdegang des Klaus Kinski, eines Vollbluts der Schauspielzunft, dessen persönliche Authentizität dem Kunstgenuss suchenden Bildungsbürger keine emotionale Distanz zum Bühnengeschehen zugestand.
Die Expressivität der Ablichtungen als wie die kritisch-loyale Perspektive biografisch gehaltener Artikel und Aufsätze über die Lebensstationen des Künstlers Kinski, ermöglichen es dem interessierten Leser eine greifbare Ahnung des genialen Wahnsinnigen (oder des bis zum Wahnsinn genialen Künstlers) zu erheischen, welcher sein Künstlerleben nicht als dienender Sklave des Schauspielbetriebs vollzog, sondern der als Souverän seiner theatralischen Sendung sich selbst stets bis zur Selbstschädigung treu geblieben ist. Biografische Notizen von Ina Brockmann - Vita - und Helmut Qualtinger - Ein ehrlicher Exhibitionist - runden das gewonnene Bild ab.
Dieses Buch ist des großen Schauspielers würdig.

(Harald Schulz)


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Hrsg. von Peter Reichelt und Ina Brockmann.
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Ergänzende Literaturempfehlung:

Pola Kinski: "Kindermund"
Wie es war, die Tochter von Klaus Kinski zu sein: eine Kindheitserzählung, eine Abrechnung. Autobiografie einer zerstörten Kindheit
Pola Kinski ist drei Jahre alt, als sich ihre Eltern scheiden lassen. Sie ist das erste Kind von Klaus Kinski, einem aufstrebenden Schauspieler, damals, Mitte der 1950er-Jahre. Nach der Scheidung lebt das Kind bei Mutter und Großvater in München; seinen Vater sieht es nur selten. Alles ändert sich, als Kinski in Fernsehen und Kino der Durchbruch gelingt. Er holt seine Tochter bei jeder Gelegenheit zu sich nach Berlin und später nach Rom, lässt sie zu den wechselnden Drehorten nachreisen. Pola erlebt die Tobsuchtsanfälle und die Verschwendungssucht ihres Vaters: Er brüllt auf sie ein und überhäuft sie mit Geschenken und Geld. Was sie sich sehnlichst wünscht, die Liebe und Geborgenheit der Eltern, versagen ihr Mutter wie Vater. Die Zuwendung der Einen gilt bald nur mehr dem neuen Mann und zweiten Kind. Der Andere macht die eigene Tochter über Jahre zu seiner Kindfrau.
"Kindermund" ist Pola Kinskis Autobiografie ihrer Kindheit und Jugend. Sie erzählt, wie es war, die Tochter des Enfant terrible des deutschen Films zu sein, und sie rechnet ab, so unsentimental wie schonungslos: mit Einem, für den es als selbstverständlich galt, sich über alle Grenzen hinwegzusetzen und der es skrupellos in Kauf nahm, das Leben des eigenen Kindes zu zerstören. (Insel)
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