Stephen King: "Puls"

Der Horror hat eine neue Dimension


Das Grauen kommt nicht aus Gräbern oder aus dem Weltraum. Es ist mitten unter uns und steckt in jeder Handtasche. Das Handy ist ein moderner Heilsbringer, doch in Stephen Kings "Puls" kommen mit dem Klingelton Wahnsinn und Tod.

Clayton Riddell ist überglücklich. Er war nach Boston gekommen um einen Vertrag über eine "Graphic Novel" abzuschließen und nun hat er sogar zwei Bände an den Verleger bringen können. Er beschließt, dies mit Mitbringseln für seine entfremdete Familie und einem Eis für sich zu feiern.

Doch auf einmal verändert sich die Welt um ihn herum schlagartig: Ein Mann im Park beginnt, einen Hund anzugreifen und ihm das Ohr abzubeißen. Eine Frau in der Schlange vor ihm versucht, den Eisverkäufer aus dem Wagen zu reißen, bevor ihr ein Jugendlicher mit den Zähnen den Nacken zerfetzt. Und überall um ihn herum zeigen Kollisionen und Explosionen, dass in Boston plötzlich etwas ganz entschieden nicht mehr in Ordnung ist.

Gemeinsam haben alle diese Personen, dass sie ab einem bestimmten Zeitpunkt ein Handy benutzt haben. Anscheinend gibt es in den Mobilfunknetzen der Welt auf einmal ein Signal, das es schafft, die Menschen in den Wahnsinn zu treiben und sie entweder zu geistlosen Killermaschinen oder zu Selbstmördern zu machen. Und nur diejenigen, die nicht nach ihrem Handy gegriffen haben, bevor sie merkten, was los war - oder jene, die wie Clay gar keines besitzen - sind diesem Schicksal entgangen, nur um nun einer großen Anzahl von "Phonern" gegenüber zu stehen, die anscheinend nichts Wichtigeres zu tun haben, als alles, was sie erblicken, zu töten.

Clayton findet schon früh einen "Normo" namens Tom, mit dem er versucht sich durchzuschlagen - wobei auch bald eine 15-Jährige namens Alice eine große Hilfe ist. Gemeinsam finden sie zunächst einen Unterschlupf, von dem aus sie das Verhalten ihrer neuen "Nachbarn" beobachten. Dabei stellt sich heraus, dass diese zunehmend weniger aggressiv untereinander agieren und insgesamt ein gewisses Schwarmverhalten an den Tag legen. Außerdem scheinen sie sich nur tagsüber im Freien aufhalten zu können. Was alles zusammen genommen die neuen Lebensregeln für die "Normos" festlegt. Und so besorgen sich die drei Waffen und machen sich auf den Weg durch die Nächte in Richtung auf Clays Heimatort auf, wo er nach seiner Familie schauen will. Aber der Weg dahin führt in dem sehr veränderten Amerika über viele Umwege.

Eine tiefe Verbeugung vor der Verbreitung des Mobiltelefons sowie vor Richard Matheson und George Romero, denen "Puls" auch gewidmet ist. Die Hintergründe werden offen gehalten, was es möglich macht, dass es zu diesem Roman noch eine Fortsetzung geben wird. Eine Art des Endzeitdramas, wie man sie nun schon einige Zeit nicht mehr erlebt hat. Aber das Mobiltelefon hat die Gesellschaft und die Welt mittlerweile soweit durchdrungen, dass es wirklich - wie hier gezeigt - zu einer neuen Achillesferse geworden ist. Ansonsten ist die Geschichte ziemlich klassisch und weist nicht wenig Anlehnung an Mathesons "Ich bin Legende" auf.

(K.-G. Beck-Ewerhardy; 02/2006)


Stephen King: "Puls"
(Originaltitel "Cell")
Deutsch von Wulf Bergner.
Heyne, 2006. 430 Seiten.
ISBN 3-453-02860-0.
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