Conny Hannes Meyer: "Ab heute singst du nicht mehr mit"

Aufzeichnungen einer Kindheit


Conny Hannes Meyer, Jahrgang 1931, hat mit seinen Memoiren über seine Kindheit im Konzentrationslager Mauthausen ein Buch vorgelegt, das er, wie er in seinem Vorwort unter dem Titel "Warum erinnern?" ausführt, hauptsächlich für seine beiden Söhne geschrieben hat, und das ursprünglich von ihm nicht für Publikationszwecke gedacht war.

Erst im Rahmen von anderen Publikationen für eine Werkausgabe seiner vielen Theaterstücke gelangten seine persönlichen Aufzeichnungen zum Molden Verlag, der Meyer dann zu einer Veröffentlichung ermutigte.

Das Buch, das in einer so vorher nie gelesenen, nüchternen, ja fast emotionslosen Sprache seine Jahre der Kindheit zunächst im Ottakringer Kinderheim in der Rückertstraße, wo die Vizentinerinnen eine Sammelstelle für Judenkindertransporte unterhielten, und danach seine Zeit im Konzentrationslager Mauthausen zwischen 1942 und 1945 beschreibt, hat besonders in Österreich eine heftige Diskussion um seine Authentizität ausgelöst. Denn während Meyers Aufenthalt im Ottakringer Kinderheim amtlich bestätigt ist, existiert im Mauthausen-Archiv des österreichischen Innenministeriums kein registrierter Aktenbeweis für Meyers KZ-Internierung.

Diese Tatsache hat in der österreichischen Öffentlichkeit sofort die Frage evoziert, ob es sich bei Meyers Erinnerungen um tatsächlich erlebte Erfahrungen handelt, oder ob sein Buch eine bloße Fiktion sei. Neben den Zweifeln, wie sich jemand nach 60 Jahren so detailgetreu an seine Erfahrungen als Kind erinnern kann, tauchte sofort der Hinweis an den "Fall Wilkomirski" auf. 1995 hatte der Suhrkamp Verlag unter dem Titel "Bruchstücke" die "autobiografischen KZ-Aufzeichnungen" des Schweizers Binjamin Wilkomirski herausgegeben, die sich aber bald als Fälschung herausstellten. Binjamin Wilkomirski hieß in Wahrheit Bruno Grosjean, war nie in einem KZ gefangen, und hatte sich auf diese Weise geschickt eine ganz neue Identität erschrieben.

Es ist nicht zulässig, einfach zwischen beiden Büchern eine Querverbindung herzustellen. So weist in einem Artikel in der Wiener "Presse" der Zeithistoriker Bertrand Perz auf Folgendes hin:
"Der Versuch, irgendwo Übereinstimmung mit dem historisch gesicherten Wissen über Mauthausen zu finden, gelingt kaum." Aber: "Kann man von in der Kindheit traumatisierten Menschen erwarten, dass sie einen autobiografischen Text verfassen, in dem keine erheblichen Differenzen zwischen Erlebtem und Erzähltem zu finden sind?"

Und auch die Leiterin des publizierenden Molden Verlags, Marion Mauthe, äußert sich in dieser Richtung:
"Meyer konnte auf keine anderen Erfahrungen zurückgreifen als jene, die ihn traumatisiert haben. Deshalb spiegelt sein Text das Dilemma eines Kindes in einer aggressiven Umgebung in solch berührender Form wider, dass er als Prototyp für jedes Leiden eines jeden Kindes überall auf der Welt und zu allen Zeiten bestehen kann. Und nur das hat zu gelten. Meyer hat seine Geschichte erst niedergeschrieben, als er so weit war, sein Trauma zu spüren. Und seine Erinnerung ist eben so und nicht anders. So habe ich diesen Text verstanden und ich habe gehofft, dass ihn auch andere so verstehen werden. Denn: Erinnerung ist verbunden mit dem Wiederfinden einer Sprache, in der die Sprechenden, die Schreibenden und die Lesenden ihr Wort halten."

Ob Meyers Buch vollmundig als solcher "Prototyp" bezeichnet werden kann, sei einmal dahingestellt. Meyer selbst schildert in einem Interview mit der "Wiener Zeitung" seine Arbeitsweise so:
"... da viele Geschehnisse bereits mehr als 60 Jahre zurück liegen, gibt es in meinem Erinnerungsvermögen sehr bildhafte Erinnerungen, aber selbstverständlich auch Leerläufe. Ich weise im Vorwort zu meinem Buch deutlich darauf hin, dass es trotz allen Bemühens um größtmögliche Authentizität gelegentlich Passagen gibt, wo Fakten mit fragwürdigem Ungefähr kollidieren." Auf die Rückfrage, was er unter diesem Begriff verstehe, sagt Meyer:
"Ich meine Dinge, an die ich mich nicht mehr so genau erinnern konnte und die ich durch Nachrecherche oder -erzählungen erst rekonstruieren musste, damit sie wieder zu meinen Erinnerungen wurden. Manchmal musste ich aber auch notgedrungen gewisse Verbindungen schreiben, um wieder an einen Punkt zu gelangen, an den ich mich erinnerte. Das ließ sich leider nicht vermeiden. Aber noch einmal: das Manuskript war für meine Söhne gedacht und nicht als Dokumentarwerk über Mauthausen."

Vielleicht hätte der Autor, aber erst recht der Verlag, eingedenk des Falles aus dem Jahr 1995, noch deutlicher auf die vielen fiktionalen Passagen des Buches hinweisen müssen. Aber eines scheint dem Rezensenten sicher: Ein Autor, Regisseur und großer Intellektueller in Wien wie Conny Hannes Meyer - wie sollte ein solcher Mann es nötig haben, eine solche Geschichte vollständig zu erfinden? Vielleicht haben ja auch der nüchterne Stil und der Ausschluss der damaligen Gefühle es ihm erst ermöglicht, diese Erinnerungen aufzuschreiben?

Auch andere Männer und Frauen haben es, mit unterschiedlichen Motivationen, erst gegen Ende ihres Lebens, mehr als 60 Jahre nach der als Kinder erfahrenen Marter der Konzentrationslager geschafft, darüber zu schreiben. Meyer hat es eben so gemacht, wie er es gemacht hat, und dafür gebührt ihm Anerkennung.

(Winfried Stanzick; 07/2006)


Conny Hannes Meyer: "Ab heute singst du nicht mehr mit"
Molden Verlag, 2006. 253 Seiten.
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