"Fünfzig Kindergedichte"

Kindergedichte sind Gedichte für Erwachsene ...


Der kleine Gedichtband enthält eine gelungene Mischung aus heiteren wie ernsten, geläufigen und weniger bekannten Texten, die der kindlichen Gedanken- und Erlebniswelt entsprungen sind. Einer Welt also, der sich jeder Mensch vorbehaltlos und vertrauensvoll zugehörig fühlen kann, und daher vielleicht Geschmack daran findet, (wieder) in die Weiten der poetischen Sprache einzutauchen. Im Vordergrund steht jedenfalls die Freude am Umgang mit Sprache an sich, ob launig-volkstümlich oder kunstvoll geschliffen, locker "aus dem Handgelenk" gereimt oder bildhaft in Szene gesetzt: Kinderliteratur und Lyrik - eine bewährte Symbiose!

"Fünfzig Kindergedichte" bietet für VorleserInnen (und LeserInnen) gleichermaßen zauberhafte wie reizvolle Texte, welche die eigene stimmliche Kreativität hinsichtlich ihrer akustischen Umsetzung herausfordern. Darüber hinaus regen insbesondere jene Gedichte, deren Inhalte über das verklärende "alles eitel Wonne-Schema" hinausgehen, zum Weiterdenken an (z. B. "... Überhöre Kommandos /und schlage dich nicht/mit den Verschlagenen./Nun geh schon./Du darfst weinen./Dein Vater wollte das nicht lernen. - Aus "Maria schickt den Michael auf den Schulweg" von Julius Becke).
Und noch ein hübsches Beispiel vom anderen Ende der Gefühlsskala:
"Ein Elefant ... Er trug ein weißes Kreidestück/in seinem langen Rüssel/und schrieb damit ans Scheunentor:/ 'Sie, geht es hier nach Brüssel?'/Ich gab ihm einen Apfel/und zeigte ihm die Autobahn./Da kann er sich nicht irren/und richtet wenig an." (Josef Guggenmos).

LeserInnen/ZuhörerInnen fordern aber nicht überfordern - ein Motto, dem dieser Band vollauf gerecht wird.

Ameisenkinder

Wer hat Ameisenkinder gesehn?
Können sie nach sechs Tagen schon gehn?
Laufen die Ameisenbabies geschwinder
als zum Beispiel die Mistkäfer-Kinder?
Kriegen sie schon einen Klaps auf den Po?
Ach, meine Lieben, die Sache ist so:
Wer Ameisenkinder sah, ganz kleine,
Der lügt,
Der betrügt!
Es gibt nämlich keine.

(von James Krüss)

Irgendwann fängt etwas an

Etwas endet und etwas fängt an.
Jetzt war vorhin irgendwann.
Gestern ist heute lange vorbei,
und morgen ist morgen heute.
Der nächste Augenblick ist weit, ...
Schwimm wie ein Schiff auf der Zeit!

(von Susanne Kilian)

(kre)


"Fünfzig Kindergedichte"
Philipp Reclam jun. GmbH & Co., Stuttgart.
ISBN 3-15-018071-6.