Jonas Hassen Khemiri: "Montecore, ein Tiger auf zwei Beinen"
Was
ist schwedischer? Gelb-blaue
Fahnen und Fjällrävenrucksäcke oder
vorhängeschlossverschlossene Zäune um
Schrebergärten? Oder gar eine Wasserwaage? "Alles in Schweden
muss genau
mittel sein, nicht zu viel und nicht zu wenig! Und wenn man nur das
kleinste
bisschen abweicht, dann gleitet die Luftblase weg und alles wird
schief."
Den tunesischen Hobbyfotografen Abbas verschlägt die Liebe zur
Urlauberin
Pernilla nach
Schweden. Er heiratet sie, hat mit ihr drei Kinder,
arbeitet trotz
schlechter Schwedischkenntnisse bei der U-Bahn, macht sich
schließlich als
Tierfotograf selbstständig und lebt sich nach und nach in
seine
Schwiegerfamilie ein. Fast täglich wird er Zeuge, oft auch
Opfer von
Diskriminierungen. Ein typisches Einwandererschicksal, könnte
man sagen.
Sein Sohn Jonas Hassen Khemiri, der gleich heißt und gleich
alt ist wie der
Autor des Romans, und der väterliche Jugendfreund Kadir wollen
Abbas' Leben
beschreiben, eigentlich hätte es ein gemeinsames Buch werden
sollen.
Im Briefwechsel, in E-Mails und als Textcollage entsteht die Biografie.
Kadir
will in seinem arabisch-französisch gefärbten
Schwedisch - das auch in der
deutschen Übersetzung gewollt ungeschickt, schwülstig
und doch charmant wirkt
- ein Bild eines erfolgreichen Aufsteigers zeichnen, der sich vom armen
Waisenknaben zum international renommierten Starfotografen und
glücklichen
Familienvater hochgearbeitet hat; Jonas aber hat seinen Vater schon
seit Jahren
nicht gesehen, kann mit den wohlmeinenden literarischen Tipps aus
Tunesien
nichts anfangen und nimmt seinem Vater in seinen Texten jede Art von
Individualität, indem er konsequent den Plural
benützt: "Papas kommen,
Papas gehen, nur Mamas bleiben bestehen."
Dazu mischen sich übersetzte Briefe von Abbas, von Kadir
überarbeitete Erzählungen
des Sohnes, Fußnoten, Kommentare und Streichungen und
schließlich ein Heft mit
den wichtigsten Regeln der schwedischen Sprache.
Während Kadir in Tunesien vom gesellschaftlichen Aufstieg des
Einwanderers schwärmt
und selbst dort, wo sich negative Wesenszüge oder Erlebnisse
nicht verschweigen
lassen, noch positiv denkt und schreibt, gibt Jonas Einblicke in
die
schwedischen Lebensrealitäten, erzählt von
Ausgrenzungen, Überfällen von
Neonazis und der ständigen Angst heranwachsender Migranten.
Die Innensicht und die Außensicht vom Wohlfahrtsstaat
Schweden halten sich
nicht mehr die Waage, das Bild von den
Vorhängschlössern dominiert. Jonas
Hassen Khemiri ist es gelungen, Illusion und Desillusion zu einem
doppelbödigen
und vielschichtigen Buch zu verbinden.
(Wolfgang Moser; 08/2007)
Jonas
Hassen Khemiri: "Montecore,
ein Tiger auf zwei Beinen"
Übersetzt von Susanne Dahmann.
Piper, 2007. 379 Seiten.
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Jonas
Hassen Khemiri, 1978 in
Stockholm geboren, ist Sohn einer Schwedin und eines tunesischen
Vaters. Er hat
internationale Wirtschaftswissenschaften in Paris studiert, als
Praktikant bei
der UN in New York gearbeitet und studierte Literatur an der
Universität von
Stockholm. Sein Romandebüt "Das Kamel ohne Höcker"
wurde mit dem
renommierten "Borås-Tidnings-Debütpreis" und dem
Preis für das
erfolgreichste schwedische Taschenbuch des Jahres 2004 ausgezeichnet:
"Das Kamel ohne Höcker"
"Muss ja so echt wie möglich sein, was ich da schreib,
und klar hätte
Nagib
Machfus nie was anderes geschrieben als
Geschichten über
sich und sein Leben", sagt Halim immer. Das kleine rote Notizbuch, das
Dalanda ihm eines Tages schenkt, hat jede Menge Goldmuster drauf, und
unter
anderem glänzen auch ein Halbmond und ein Stern im
Sonnenlicht: Von der ersten
Sekunde an spürt Halim die Kraft, die durch seine
Fingerspitzen strömt und ihn
die Seiten füllen lässt. Es gibt viel zu
erzählen, zum Beispiel von den
Arabern, die die schlauesten Mathematiker haben und die tapfersten
Krieger. Und
Halim schreibt über dieses eine Mädchen an seiner
Schule, über seinen
traurigen Vater und dessen Freund Nourdine, den arbeitslosen
Schauspieler,
die
in der kleinen Stockholmer Wohnung immer
Schach
miteinander spielen.
Mit Witz
und Tempo erzählt Jonas Hassen Khemiri von der
ungewöhnlichen Selbstfindung
eines sensiblen jungen Mannes. (Piper)
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