Uzma Aslam Khan: "Verwoben"
Liebeswirren und die Grenzen der Freiheit
Das unter dem Titel
"Trespassing" 2003 erstmals erschienene Buch der pakistanischen Autorin
Uzma Aslam Khan liegt nun auch in deutscher Fassung vor. Es ist ihr zweiter
Roman und gibt berechtigten Anlass zur Hoffnung, dass Khan Ideen und
Schreibfreude noch lange nicht ausgehen mögen.
Wie dem Klappentext zu
entnehmen ist, handelt das Buch unter anderem von Dia, der Tochter von Riffat,
der erfolgreichsten Seidenfabrikantin in Karatschi: "Wie ihre Mutter ist Dia
emanzipiert und selbstbewusst und lebt ein Leben scheinbar frei von allen
überkommenen traditionellen Bindungen.
Daanish studiert in den USA. Als sein
Vater stirbt und er zur Beerdigung nach Pakistan fliegt, lernt er Dia kennen.
Die beiden jungen Leute verlieben sich. Doch als Riffat von der Verbindung hört,
verbietet sie ihrer Tochter jeden Kontakt mit Daanish und dessen Familie. Sie,
die immer von der Stimme des Herzens gesprochen hat, der man allen Widerständen
zum Trotz folgen solle. Dia ist fassungslos und verzweifelt. Nach und nach kommt
die Geschichte von Riffat ans Licht, eine Geschichte von der Liebe ihres Lebens,
und Dia muss erkennen, dass auch die Freiheit ihre Grenzen hat. Poetisch und
voller philosophischer Einsichten erzählt Uzma Aslam Khan vom Leben und Lieben
der heutigen pakistanischen Jugend zwischen Politik, Tradition und Moderne -
spannend, rührend, klug."
So weit der Klappentext. Tatsächlich
ermöglicht die Autorin tiefe Einblicke in ein sich langsam und unaufhörlich
verwandelndes Land und eine in immer mehr Widersprüche schlitternde Gesellschaft
des Ostens. Globale Entwicklungen machen auch hier nicht Halt, die ländliche
Bevölkerung Pakistans leidet unter weltweit zu beobachtenden Phänomenen, die vom
Fischsterben, das die Abwanderung ganzer Fischerclans zu Folge hat, bis zur
Rekrutierung perspektivlos gewordener Männer als militante Freiheitskämpfer
reichen. Im Gegenzug dazu präsentiert Khan ein Bild der jungen Elite, für die
ein Studium in den USA realistisch praktizierbar und üblich ist, wenn auch die
Auswirkungen der amerikanischen Aggression im Osten spürbare Veränderungen im
feindseligen Umgang mit Muslimen und arabisch aussehenden Menschen in den
Staaten nach sich zieht.
Die Schilderungen des korrupten orientalischen Systems korrellieren mit den
Umwälzungen der gesellschaftspolitischen Zustände, - den Perspektivenwechsel
der Protagonisten beschreibt die Autorin mit progressiv-feministischen Anklängen
ebenso eindringlich wie die divergierenden Vorstellungen von Moral und Werten
des östlichen und westlichen Kulturkreises, den bürgerkriegsähnlichen Zuständen
in Pakistan, die starke militärische Präsenz, die politische Willkür, die Menschenrechtsverletzungen
auf beiden Seiten, immer wieder gepaart mit sinnlichen und detailgetreuen Darstellungen
von Gerüchen, die zu Düften und Geräuschen, die zu Klangmalereien werden, schier
unbegrenzt scheinen Uzma Aslam Khans Kenntnisse von Tiernamen, Vögeln, Pflanzen,
Insekten, Meeresbewohnern der Region zu sein , - so spannt sich ein weiter erzählerischer
Bogen von Systemkritik bis zu märchenhafter Poesie. Die intensive persönliche
Auseinandersetzung Khans mit aktuellen politischen Themen zeigt sich nachhaltig
in ihren kritischen und fundierten Kommentaren zum Irakkrieg I, deren Brisanz
sich tragischerweise nahezu nahtlos in der Problematik des Irakkriegs II spiegelt,
wie sich aus der historischen Distanz auch seitens des Lesers unschwer nachvollziehen
lässt, wenn sie den Recherchen des Publizistikstudenten Daanish die Praxis der
Zensur in us-amerikanischen Medien gegenüberstellt,
die sich in mangelhafter bis nicht existenter Berichterstattung über den Krieg
Amerikas im Irak manifestiert und so die breite Masse manipulativ und bewusst
unwissend und damit parteiisch hält. Zu erschreckend sind die Parallelen in
Aussagen zum Irakkonflikt und der Politik der USA.
Bezeichnenderweise richten sich die
Diskussionen im universitären Journalismusseminar stark hin zur Maxime der
zufriedenen Konsumentenschar und der von der Öffentlichkeit gewollten richtigen
"Story", die eine der Uniprofessorinnen ergo als "soft news" bezeichnet und den
wahrheitsuchenden Daanish damit beinahe zur Verzweiflung bringt.
Uzma Aslam Khans Systemkritik zeigt den Aufbruch im Spannungsfeld zwischen zwei
unterschiedlichen Welten auf, illustriert tradiertes muslimisches Gedankengut
im Diskurs einer
aufgeklärten westlich
orientierten Jugend und offenbart doch nur, wie scheinbar der Wandel ist,
nachvollziehbar am Beispiel des tradierten Frauenbildes und seiner Rolle in
einer vermeintlich prowestlich aufgeschlossenen Gesellschaftsgruppe, das an
undurchdringliches Mauern stößt und dessen Modernisierungen nur Männern zugute
kommen, in einer Kultur die kaum Intimsphäre zulässt.
Kleine Szenen wirken wie Katalysatoren des Verständnisses, etwa
wenn Khan von der tiefen Freundschaft voller komplizierter Wendungen zwischen
Daanish und seinem Freund Liam in Amerika erzählt und ihr die ebenfalls tiefe
Beziehung voller Hingabe und Brüche zwischen Dia und deren Freundin Nini in der
alten Heimat, die mit völliger Unfreiheit im Alltag für Frauen nahezu synonym
ist, gegenüberstellt. Sowohl Daanish als auch Dia finden gleichermaßen
Rückzugsmöglichkeiten in sich selbst, in der Innenschau und in der
Naturbeobachtung.
Oder wenn die Autorin den jungen Shafqat beschreibt;
aufzeigt, wie selbst progressiv denkende Intellektuelle sich als im Innersten
zutiefst konservative Fatalisten erweisen.
Khan verbindet und trennt wie
eine Magierin der Buchstaben. Als schriftstellerisches Element ihres Buches
überaus gelungen ist der Wechsel der Perspektiven durch unterschiedliche
Personen, kapitelweise stehen sie abwechselnd im Mittelpunkt, wird von ihrer
Warte aus der Erzählstrang weitergewunden. "Verwoben" erweckt Interesse an der
Autorin selbst, den Gedanken und Ansichten der Frau hinter den Geschichten,
einer vermutlich klugen, gefühlvollen, interessierten und kritischen Person mit
einem großen literarischen Talent.
(Gabriele Klinger; 02/2005)
Uzma Aslam Khan: "Verwoben"
(Originaltitel
"Trespassing")
Aus dem Englischen von Anna Salmann.
Europa, 2004. 550
Seiten.
ISBN 3-203-79017-3.
ca. EUR 25,60.
Buch bei amazon.de
bestellen
Englische Ausgabe bei amazon.de
bestellen
Uzma Aslam Khan ist in Karatschi,
Pakistan, aufgewachsen und war als Lehrerin in den USA,
in Marokko und Pakistan
tätig. "Verwoben" ist nach "The Story of Noble Rot" (2001) ihr zweiter
Roman.
"The Story of Noble Rot" antiquarisch bei
abebooks.de bestellen