Bernhard Kegel: "Der Rote"
Höchst fragwürdiges Szenario
Hat hier jemand zur Feder gegriffen, der auf den Wellen des Erfolgs
mitreiten wollte, die Frank Schätzing mit seinem "Schwarm"
geschlagen hat, einem wahren Tsunami von Erfolgswelle? Dieser Eindruck
drängt sich unweigerlich auf, wenn man den
Rückseitentext des Buches gelesen hat. Da ist die Rede vom "kochenden
Meer", von "entfesselter Natur", von "einem
dramatischen Geschehen" und von "etwas, das noch
nie ein Mensch zu Gesicht bekommen hat". Und dann folgt auch
noch die augurenhafte Bemerkung: "Ein Szenario, das jeden
Moment Wirklichkeit werden könnte".
Da ich Frank Schätzings "Der Schwarm" nicht gelesen habe, kann ich mich hier schlecht als
Berichterstatter einer Vergleichsschlacht zwischen beiden
Büchern verdingen. Konzentrieren wir uns also auf den "Roten".
Sein Autor Bernhard Kegel kann jedenfalls in meinen Augen mit dieser
Kreatur keinerlei literarische Meriten einheimsen. Als Literatur mag
ich das Werk nicht einmal bezeichnen, denn es erreicht nicht viel mehr
als Groschenheft-Niveau.
Die Geschichte ist im Grenzbereich von Fakt und Fantasie angesiedelt.
Teilweise wirklich interessante meeresbiologische Fakten stehen neben
Seemannsgarn á la Captain Blaubär. Hauptdarsteller
des Spektakels ist "Der Rote", ein seltsamer Bastard aus schaurigem
Monster und Mitleid erregender Kreatur, aber weder in der einen noch in
der anderen Rolle wirkt er überzeugend. Und eigentlich ist
"Der Rote" ja auch eine sie, ein
Weibchen, wie es sich im Lauf der Geschichte herausstellt. Ein
gigantisches Exemplar von einem
Riesenkalmar,
das einen ausgewachsenen Walbullen tötet und sich mit seinen
Tentakeln Delfine sogar direkt aus der Luft angelt, um sie sich
anschließend genüsslich einzuverleiben. Das
geheimnisvoll Rätselhafte, das diese Tiere von jeher umgibt,
all die Mythen und Legenden von riesigen Tintenfischen, die Schiffe
angreifen und sich mit ihren mit Saugnäpfen bewehrten Armen
die Matrosen von Deck fischen, lebt hier wieder auf in einer ziemlich
abstrusen Mischung aus Horror und Sentimentalitätskitsch. Denn
das Monster hat auch einen Fürsprecher unter den besorgten
Menschen, und zwar in dem deutschen Kalmarexperten Hermann Pauli, der
sich gemeinsam mit einer Kollegin des von allen anderen gehassten und
verkannten Lebewesens annimmt. Geradezu rührend ist die Szene,
wo die beiden den Kalmar unter Lebensgefahr aus einem eigens
für den "Roten" angefertigten Fischernetz befreien. Das Buch
weist tatsächlich schon fast ungewollt parodistische
Züge auf, dazu ist es in weiten Teilen weitschweifend
langweilig, nur hin und wieder kommt einmal Spannung auf. Insgesamt
gesehen aber würde ich es als ein eher dürftiges
Elaborat betrachten.
Wer sich für die Biologie der Kalmare und ihrer nahen
Verwandten interessiert, der mag hier vielleicht auf seine Kosten
kommen. Immer wieder streut der Autor (ein Meeresbiologe) Passagen in
den Text ein, die Informationen zu diesen schon irgendwie
faszinierenden Tieren liefern. So konnte auch ich mein Wissen
über Kopffüßer (Cephalopoden) erweitern,
habe einige Kenntnisse erlangt über Sepien, Kraken und Kalmare
und weiß sogar die Unterschiede zwischen einem Architeuthis
und einem Mesonychoteuthis, dem Kolosskalmar zu benennen, welch
letzterer Gattung der Rote - pardon, die Rote - angehört. Und
dann geistert da tatsächlich als Phantom ein noch
größeres und furchterregenderes Vieh durch die
Literatur, der Octopus giganteus Verrill 1897. Aber über
dessen Existenz kann bislang nur spekuliert werden.
Ist der Beginn noch einigermaßen spannend, so versandet die
Geschichte zum Schluss doch immer mehr im öden Fahrwasser der
Langeweile. Und auch die Theorie, die der Autor, oder besser sein
Protagonist, uns am Ende für das ungebremste Wachstum dieser
riesenhaften Kreatur präsentiert, erscheint mir (als
biologischem Laien) ziemlich abwegig. Insgesamt fand ich das Buch wenig
überzeugend.
(Werner Fletcher; 10/2007)
Bernhard Kegel: "Der Rote"
Gebundene Ausgabe:
marebuchverlag, 2007. 544 Seiten.
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Taschenbuchausgabe:
Fischer, 2009.
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Bernhard
Kegel wurde am 23. Dezember 1953
in Berlin geboren. Er ist
promovierter Biologe und lebt als Schriftsteller in Berlin und
Brandenburg. 1996 erhielt er den "Phantastik-Preis" der Stadt Wetzlar, 1997 den
"Kurd-Laßwitz-Preis" und den "Brandenburgischen Literaturpreis Umwelt".
Weitere Bücher des Autors:
"Die
Ameise als Tramp. Von biologischen Invasionen"
Das globale Phänomen der Verschleppung von fremden Pflanzen-
und Tierarten.
"Freisetzungen fremder Pflanzen- und Tierarten geschahen in den besten
Absichten. Als Jagdwild, Pelzlieferant, Schädlingsvertilger
oder Erosionsschutz
wurden sie geholt, als Waldzerstörer, Killer oder
Verdränger einheimischen
Lebens blieben sie. Die Namen, die man ihnen in ihren neuen
Heimatländern
gegeben hat, lassen erahnen, dass sie den Gastgebern nicht nur Freude
bereiten:
Von grünem Krebs ist die Rede,
von Monstern, Killeralgen,
apokalyptischen
Pflanzen und ökologischen Bomben, vom Alptraum, geboren im
Wasser, von
Killerbienen, Mörder- und Unkrautbäumen, von
schöner oder blühender Pest,
von grüner Hölle und roter Flut ... oder einfach von
Mistzeug.
Die Wellen schlagen hoch. Die einen sprechen von ökologisch
minderwertig, von
Überfremdung, Unterwanderung und Verfälschung, die
anderen warnen vor 'Gehölzrassismus' und einer
'Hexenjagd auf Neophyten'." (Aus
dem Buch)
Buch
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"Ein tiefer Fall"
Als der Kieler Biologieprofessor Hermann Pauli spät
am Abend den Campus verlassen will, locken ihn eigentümliche Geräusche in den
obersten Stock des Biologiezentrums, ins Reich des gefeierten
Evolutionswissenschaftlers Frank Moebus. Dort erwartet ihn ein grausiges
Szenario: Zwischen zappelnden Fischen, Kröten und zahllosen Glasscherben liegt
ein Mann, dessen Kopf in einem zerbrochenen Aquarium steckt, eine Scherbe hat
sich tief in seine Kehle gebohrt. Wenig später findet die von Pauli gerufene
Polizei einen zweiten Toten unter dem offenen Fenster - auch er ein Mitglied der
Arbeitsgruppe von Frank Moebus.
Kriminalhauptkommissarin Anne Detlefsen steht vor einem Rätsel. Geht es um die
kostbaren Urzellen, auf die Moebus in der Tiefsee gestoßen ist? Eine neue Art
von Leben - Größeres kann man in der Biologie kaum entdecken. Bewegung kommt in
den Fall, als eine Gruppe prominenter Forscher aus aller Welt Moebus in einem
offenen Brief vorwirft, ihren Laboratorien trotz mehrfacher Bitten keine Zellen
zu überlassen; ein Verstoß gegen gute wissenschaftliche Praxis. In Hermann Pauli
keimt ein unheimlicher Verdacht auf ...
Ein spektakulärer Wissenschaftskrimi, der von der Tiefsee in den Olymp der
Forschung führt - und in dessen Abgründe. Die Geschichte um einen ehrgeizigen
Spitzenforscher und seine folgenreiche Entdeckung ist packend erzählt und von
höchster Aktualität. (marebuchverlag)
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"Wenzels Pilz"
Ein zur Unterstützung von
Wiederaufforstungsmaßnahmen entwickelter
gentechnisch veränderter
Fliegenpilz bringt das Ökosystem zum
Zusammenbrechen:
"Amanita...", murmelte er vor sich hin.
Es war darum gegangen, einen Pilz zu züchten, der im
versauerten Waldboden
wachsen konnte. Die Sache war ewig her, alles war problemlos verlaufen,
wie immer. Der Pilz war sicherlich einige Zeit getestet worden, um dann
irgendwo freigesetzt zu werden oder, im ungünstigsten Fall, als
digitalisierte Genkarte
in einem Computerspeicher zu enden.
Er konnte sich nicht erinnern, jemals etwas über das weitere
Schicksal seines
Amanita gehört zu haben. Die weitere Verwertung seiner
Entwicklungen
interessierte ihn nicht besonders. Diese von übervorsichtigen
Gesetzen geforderten Tests und Untersuchungen, diese mühseligen
praktischen Probleme,
die eine Arbeit unter den chaotischen Bedingungen der Natur
unweigerlich mit
sich brachte, waren sehr zeitaufwendig und wurden Gott sei Dank von
einer anderen Abteilung der GENTEL durchgeführt.
Langweilige Routine, eine Schande, Verschwendung geistiger Ressourcen.
Wenzel war ein Konstrukteur, ein Künstler, ein Ingenieur des
Lebendigen. Diese kleinlichen Absicherungen, dieses ewige Geprüfe hielten nur
auf. Er übergab seine Ergebnisse an die nächste Abteilung des
GENTEL-Imperiums, klappte die
Akte zu, und die Sache war für ihn erledigt. Meistens hatte er
schon eine neue Idee im Kopf, mit der er sich beschäftigte und die er endlich
in Angriffnehmen wollte.
Amanita war zudem eine dieser Auftragskreationen gewesen. Seine
Begeisterung hielt sich damals sehr in Grenzen, und jetzt, gut zehn Jahre
später, empfand er sogar Bitterkeit, wenn er daran dachte, daß ausgerechnet
dieser Pilz von der Nomenklaturkommission der World Gene Data Base dazu ausgewählt
wurde, seinen Namen zu tragen: Amanita Wenzeli.
Er haßte solche Zwangsschöpfungen, aber
Gentechniker
wie er verkamen allzuoft
zu Notärzten auf einer ökologischen Unfallstation.
Irgend jemand hatte schlampig gearbeitet, und er mußte dann Umweltdoktor spielen
(...). (Aus dem Roman)
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