Fabrice d'Almeida: "Hakenkreuz und Kaviar"
Das mondäne Leben im Nationalsozialismus
Hinter
den Kulissen der Macht
Wie konnte ein Volk, beziehungsweise eine Gesellschaft, die sich als
Erbe höchster
kultureller Errungenschaften begriff, in die blutrünstige
Barbarei des
Nationalsozialismus abdriften? In exakt dieser Frage sieht Fabrice
d'Almeida das
wohl größte Rätsel der
zwölfjährigen Naziherrschaft in Deutschland. War
doch noch die Weimarer Republik voll von liberalen, weltoffenen,
avantgardistischen Tendenzen, die in ihrer Freizügigkeit und
Toleranz selbst
Pariser Verhältnisse übertrafen. Wie also konnten die
goldenen Zwanziger Jahre
so unvermittelt in die dunklen Dreißiger Jahre einer braunen
Diktatur übergehen?
Der französische Historiker Fabrice d'Almeida
sieht die Ursachen vorrangig darin, dass die deutschen Eliten noch fest
im Boden
konservativer, autoritärer Anschauungen der wilhelminischen
Ära verwurzelt
waren, zu fest, um sich mit der Weimarer Republik identifizieren zu
können. Ein
Mann wie Hitler, der vordergründig auf Zucht, Disziplin und
Sittenstrenge
hielt, kam ihnen da also gerade recht. Wurde der Aufstieg des
Nationalsozialismus also getragen von den deutschen Eliten und nicht
von der
Massenbewegung der Straße? Fabrice d'Almeida
jedenfalls weist diesen sogenannten Eliten, dem Adel, den
Künstlern, Diplomaten
und Militärs in diesem Zusammenhang eine wenig ehrenhafte
Rolle zu. Denn sie
waren es in erster Linie, die Hitler hofierten, die ihn
gesellschaftsfähig
machten, die sich mit den Bonzen von SS und NSDAP
verbrüderten, um gemeinsam
mit ihnen rauschende Feste zu feiern. Und d'Almeida
behauptet auch, dass in diesen höheren Gesellschaftskreisen
beinahe ein jeder
über die Verbrechen der Nazis informiert war. Aber auch in
Frankreich "bekundete
ein nicht unbedeutender Teil der einheimischen Elite ihr
Einverständnis mit den
Interessen des Nationalsozialismus", wie d'Almeida
weiter ausführt.
In diese Gesellschaft, in das mondäne Leben im
Nationalsozialismus führt uns
der Autor mit seinem Buch also ein. Wir erhalten Einblicke hinter die
Kulissen
der Macht, hinter jene scheinheilige Fassade, die für die
breite Öffentlichkeit
eine Fiktion aufrecht erhalten sollte, die Fiktion einer spartanischen,
gesitteten Lebensweise, hinter der aber geprasst, gehurt und geheuchelt
wurde,
wie vermutlich hinter vielen anderen Kulissen auch, die als Trennwand
zwischen
den Einflussreichen und Mächtigen und dem Bürgertum
herhalten müssen. Da die
Nazis nahezu alles, auch das scheinbar Belangloseste haarklein
dokumentiert
haben, wozu sie auch schon alle damals verfügbaren Medien
einsetzten, kann
Fabrice d'Almeida seinen Lesern mit vielen
Details aufwarten. Und gerade in diesen Details offenbart sich am
deutlichsten
die vor Absurdität strotzende Aufgeblasenheit der
Nazi-Größen, die Lächerlichkeit
ihres Gebarens, der Triumph eines gigantischen Idiotismus. In ihren
ordenübersäten
Uniformen, mit Reitpeitschen, gewichsten Stiefeln und umgeschnallten
Pistolenhalftern, ihren unverzichtbaren Insignien beziehungsweise
Fetischen der
Macht, präsentierten sie sich geckenhaft und gockelhaft
aufgeplustert der Öffentlichkeit.
Auch das Automobil war solch ein Fetisch, es gab einen regelrechten,
von den
Nazis initiierten Kult um das Automobil in Deutschland, und das
besondere Verhältnis
vieler Deutscher zum Auto ist noch ein Relikt aus der Nazizeit, wie
Fabrice d'Almeida
überzeugend darlegen kann.
Andere Thesen d'Almeidas erscheinen mir
weniger einleuchtend, die Behauptung zum Beispiel, dass in der
deutschen Bevölkerung
die Figur des Jägers deckungsgleich sein sollte mit der Figur
des
nationalsozialistischen Kämpfers, wo doch Hitler selbst ein
entschiedener
Gegner der Jagd war. Und die Mitwisserschaft der gehobenen Kreise am
Holocaust
oder sogar die ausdrückliche Billigung dieser Verbrechen der
gesamten deutschen
Bevölkerung anzukreiden, halte ich auch für stark
überzogen. Ebenso wenig
kann man den Antisemitismus als eine rein deutsche Angelegenheit
betrachten.
Auch dem Adel - weil er angeblich dem Glauben an eine "Hohe Geburt"
anhängt - ein rassistisches Denken zu unterstellen, halte ich
für nicht
statthaft. Und dass schließlich die
Widerstandskämpfer um
Stauffenberg
gar nicht gegen Hitler und das Regime rebellierten, sondern nur gegen
die sich
abzeichnende militärische Niederlage, dürfte auch nur
die halbe Wahrheit sein.
Dann folgt auch noch der Vorwurf an die Bundeswehr, sie habe in den
1950er
Jahren ihre Kerntruppe aus den Kämpfern für das
Dritte Reich rekrutiert. Dem
kann man entgegen halten, dass sonst eben niemand da war, diese nicht
zuletzt
oder gerade im Sinne der westlichen Alliierten notwendige Aufgabe zu
leisten.
Neben diesen provokanten Thesen und einigen in meinen Augen
ungerechtfertigten
Vorwürfen finden sich auch noch ein paar kleinere
Ungereimtheiten im Text. War
die Hitler-Verehrerin Unity Mitford nun eine US-Amerikanerin, wie an
einer
Stelle behauptet, oder eine Engländerin, wie es an anderer
Stelle angegeben
wird? Dann schreibt d'Almeida, dass Hitler persönlich
Goebbels
mit seinem Wagen
zur Trauung chauffierte. Um an anderer Stelle dann wieder zu behaupten:
"Hitler
konnte selbst kein Auto steuern."
Im Großen und Ganzen aber halte ich Fabrice d'Almeidas Studie
über das mondäne
Leben im Nationalsozialismus für eine interessante,
lesenswerte und sogar
wertvolle Publikation, der man eine weite Verbreitung wünschen
möchte. Nach
eigenem Bekunden geht es dem Autor um die Rekonstruktion jener
eigenartigen, düsteren
Atmosphäre, die eine ganze Epoche vergiftete. Eine
Rekonstruktion, die ihm
durchaus gelungen ist. Zu guter Letzt weist Fabrice d'Almeida noch auf
das nach
wie vor vorhandene Faszinosum hin, das von der faschistischen
Weltanschauung und
der Person Hitlers ausgeht und beklagt, dass unsere Gesellschaften doch
einiges
von Hitlers Idee eines globalen Faschismus geerbt haben. Ein
höchst
interessantes Geschichts- und Lesebuch über die Glamour-Seite
eines dunklen
Kapitels deutscher und europäischer Geschichte.
(Werner Fletcher; 10/2007)
Fabrice
d'Almeida: "Hakenkreuz und Kaviar.
Das mondäne Leben im Nationalsozialismus"
Aus dem Französischen von Harald Ehrhardt.
Patmos Verlag, 2007. 380 Seiten.
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Fabrice d'Almeida zählt als Direktor des Institut d’histoire du temps présent zu den profiliertesten Zeit- und Kulturhistorikern Frankreichs.