Larry Zuckerman: "Die Geschichte der Kartoffel"
Von den Anden bis in die Friteuse
Wie konnten doch die Menschen leben,
Als es Kartoffeln nicht gegeben?
Ei, alle, die nicht konnten leben,
Die hats auch damals nicht gegeben.
(Gustav Theodor
Fechner; 1801-1887)
Einige klingende Namen aus der
Kartoffelsortenvielfalt: Aula, Ditta, Kipfler, Sieglinde, Sigma, Lungauer
Eachtling, Blaue Schweden, Vitelotte Noire, La Ratte, Rosa Tannenzapfen, Linzer
Rose, Blaue Zimmerli ...
Vor der Entdeckung Amerikas durch Cristoforo
Colombo gab es in Europa keine Kartoffeln. Auch lange Zeit danach nicht. Die
Menschen hatten Angst vor der Knolle, die in der Erde wuchs, und selbst
Wissenschaftler äußerten sich skeptisch darüber. Da half es nichts, dass die
Kartoffel, oder zumindest ihre Vorfahren, eines der wichtigsten Nahrungsmittel
der Inkas auf dem Altiplano waren, wo es bitter kalt werden kann und sonst nicht
allzu viel wächst. Und von dort kamen sie dann auch über kurz oder lang nach
Europa, wo sich zwar
Schokolade
und Süßkartoffel bald einiger Beliebtheit erfreuten, aber die eigentliche Kartoffel
niemand so recht mochte.
Der Autor Larry Zuckerman begann sich während
seiner Arbeit als Manager eines "Institutional Kitchen Training Programs" intensiv
mit dem Nachtschattengewächs zu beschäftigen und seiner Geschichte
nachzuforschen. Heute gehört die Kartoffel (lat. Solanum tuberosum) auf
selbstverständlichste Weise zu unseren Grundnahrungsmitteln. Mehr noch: Sie hat
die Welt der Schnellverköstigung in Form von Pommes frites und Chips erobert.
Aber wie schon erwähnt, hat die Kartoffel einen langen Weg des Kampfes um
Anerkennung hinter sich.
Der Autor zieht einen Vergleich zwischen Irland,
England, Frankreich und den Vereinigten Staaten von Amerika, wobei sich zeigt,
dass die Kartoffel ganz unterschiedlich akzeptiert wurde.
Das
interessanteste Beispiel ist sicher Irland, das eine ganz besondere Form der
Symbiose mit dieser Frucht einging. Irland war ein Land der Pächter. Weniger als
ein Prozent der Bevölkerung besaß sämtliches Land. Diese Begüterten verpachteten
es an Bauern, welche wiederum Teile weiter verpachteten. So fand man schließlich
auf der Insel kleinste Parzellen vor, auf denen Familien kleine Häuser errichtet
hatten, die sie sich meist mit ihren Tieren teilten. Auf so kleinen Landstücken
konnte man aber nicht alles anbauen.
Für Getreide war das Grundstück zumeist
unergiebig. Hier kam die Kartoffel gerade recht, denn sie war im irischen Klima
sehr ertragreich und konnte häufig die gesamte Familie ernähren; oft reichte es
noch für ein paar Schweine.
Weiters versuchte jeder Ire ein eigenes Stück Land zu pachten, um heiraten und
eine Familie gründen zu können. Und wie es aussieht, führte der Anbau der Kartoffel
nicht nur dazu, dass die meisten Menschen in
Irland satt wurden, sie litten auch weniger an Krankheiten, die Kindersterblichkeit
ging zurück (Kartoffeln verfügen über hohen Stärkegehalt und beinhalten neben
Kalium u.a. auch Mineralstoffe und Eiweiß sowie die Vitamine B und C; Anm. d.
Red.), und so verdreifachte sich die Bevölkerung binnen eines Jahrhunderts
bis Mitte des 19. Jahrhunderts, als die Kraut- und Knollenfäule riesige Teile
der Kartoffelernte zerstörten. Infolgedessen ging die Bevölkerung innerhalb
weniger Jahre bis auf die Hälfte zurück; einerseits starben etwa über eine Million
Menschen an Hunger, und der Rest versuchte sich durch Auswandern zu retten.
In England konnte sich die Kartoffel nicht so
leicht durchsetzen. Viele Persönlichkeiten sprachen sich gegen sie aus. Man
blickte auf Irland und sah, dass die Leute Erdäpfel aßen und dass sie arm waren.
So kam man zur irrigen Annahme, die Kartoffel würde Armut nach sich ziehen.
Gleiches galt für England, denn die Frucht setzte sich bei der ärmeren
Bevölkerungsschicht durch, den Kleinbauern und später auch bei den
Industriearbeitern, die sie oft in ihren Kleingärten zogen. Höhere Schichten
distanzierten sich und rümpften die Nase. Den Armen aber bot das Gemüse
eklatante Vorteile. Es war pflegeleicht, ertragreich, und seine Zubereitung in
der Küche erforderte wenige Utensilien.
Um zum begehrten Brot zu kommen,
musste man das Korn dreschen, es mahlen, zu Teig verarbeiten und in einem Ofen
backen. Die wenigsten Bauern verfügten über Brotbacköfen, geschweige denn die
Arbeiter. Für die Kartoffel brauchte man nur einen Topf. Und das ersparte auch
der Hausfrau viel Arbeit, was vor allem für die Frauen der Arbeiterschicht
wichtig war, die meist ebenfalls einer Erwerbsarbeit nachgingen.
Über die
Arbeiterschicht setzte sich dann die verhältnismäßig anspruchslose Kartoffel
auch durch, nur eben fast hundert Jahre später als in Irland.
In den
Vereinigten Staaten von Amerika spielte die Kartoffel schon früh eine wichtige
Rolle. Jedoch war sie nicht alleiniges Grundnahrungsmittel wie in Irland,
sondern hatte ihren Platz neben Getreide wie Weizen und vor allem dem
Mais.
Frankreich ging bei der Kartoffel einen eigenen Weg: Zu Beginn
zeigte man auch hier keine besondere Wertschätzung. Jedoch gab es Parmentier,
den man fast als "Vater der Kartoffel in Frankreich" bezeichnen könnte. Er
widmete sich nicht nur unter Ludwig XVII, sondern auch unter
Napoleon
unermüdlich der Erforschung der Kartoffel und der Anpreisung ihrer Vorzüge.
Napoleon erschien die Kartoffel vor allem als Versorgung seiner Armeen geeignet,
und so förderte er deren Anbau.
Durchzusetzen begann sich die Kartoffel aber
erst so richtig im 20. Jahrhundert. Auf eher stille Art eroberte sie die Küchen
der Armen sowie der Reichen. Und es wäre nicht Frankreich, wenn es nicht im
Laufe der Zeit mehr Kartoffelgerichte hervorgebracht hätte als jede andere
Nation.
In recht anschaulicher und unterhaltsamer Weise führt Larry
Zuckerman durch die Geschichte der Kartoffel. Leider beschränkt er sich in
seinem Buch auf die oben genannten Länder, was für deutschsprachige Leser einen
Wermutstropfen darstellt.
"Dieser Not mußte doch wohl
abzuhelfen sein, sagte sich der Gouverneur, wenn man auch dem Handwerker
Grund und Boden gab und Haus und Hof. Und noch eines fehle, klagte man ihm
in Neudorf - die Kartoffel. Diese Leute aus Baden-Baden kannten die
Kartoffel aus der alten Heimat und entbehrten sie schmerzlich. Hätten sie
geahnt, daß man sie hier nicht kenne, sie würden einen Sack voll
mitgebracht haben. Die Kartoffel? Der Gouverneur war dieser Frucht noch
auf keinem Tisch begegnet, außer beim Hofkammerrat Stephany in Wien. Die
Tante Mathild' hatte sie gut bereitet, er erinnerte sich. Aber daß das ein
Volksnahrungsmittel sein könnte, darüber hatte er nie ernstlich
nachgedacht. Und seine Berater machten ihn auch nicht aufmerksam darauf.
Aber es erschien ihm nun doch als ein seltsamer Fehler, hier Tabak und
Melonen, Oliven, Feigen und Mandeln, Maulbeerbäume, Aprikosen und
wällische Nüsse einbürgern zu wollen, nicht aber die im Westen so viel
gerühmte Kartoffel." |
In Europa wurde die Kartoffel zunächst ihrer hübschen Blüten wegen ausschließlich als Zierpflanze kultiviert. Im 18. Jahrhundert befahl Friedrich der Große die Verteilung von Saatkartoffeln und verordnete per Dekret ["Kartoffelbefehl"] den Anbau; ebenso gelang ihm die Verbreitung der Kartoffel mit einer List: Weil die Bauern der Kultivierung des Gemüses wenig Interesse entgegenbrachten, ließ Friedrich die Kartoffelacker scheinbar strengstens bewachen, was die Untertanen prompt zum Stibitzen der "wertvollen" Knollen verleitete. Der Weltkatalog der Kartoffelsorten des Jahres 2003 beschreibt übrigens mehr als 3.200 Mitglieder der Knollenfamilie. (Anm. d. Red.) |
Auch wenn in "Die Geschichte der Kartoffel" viele Einzelheiten geschildert werden, bekommt man vom Autor doch recht bald das Bild eines politisch denkenden Menschen. In Zeiten extremer Polarisierung und Stärkung der Rechten in den USA ist es angenehm zu lesen, dass es mehr als nur einen Michael Moore gibt, der den Leser in soziale Zusammenhänge einführt und differenziertes Gedankengut darzustellen in der Lage ist.
(Dr. Hans-Peter Oberdorfer; 12/2004)
Larry Zuckerman: "Die Geschichte
der Kartoffel. Von den Anden bis in die
Friteuse"
(Originaltitel "The Potatoe")
Aus dem Englischen von Charlotte Breuer und Norbert Möllemann.
Claassen, 2004. 368 Seiten.
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Weitere Buchtipps:
Lucas Rosenblatt, Edith Beckmann: "Das goldene Buch der Kartoffel"
Die Kartoffel ist ein Phänomen: Fast alle mögen sie, und sie ist fast täglich
auf unseren Tischen zu finden. Dennoch geht sie häufig als "zu normal"
und alltäglich völlig unter. Dabei ist ihre Geschichte hochspannend!
Das Buch stellt die Geschichte der Kartoffel ebenso vor wie ihre botanischen
Eigenschaften, ihre Inhaltsstoffe und die wichtigsten Sorten.
Für uneingeschränkten Kartoffelgenuss sorgen die abwechslungsreichen Rezepte -
alle mit Kochtyp-Angaben für gutes Gelingen -, die von einfach und schnell bis
aufwändig und kreativ, von köstlich pikant bis süß gehen. (Hädecke)
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Ingrid Haslinger: "Es möge Erdäpfel regnen.
Eine Kulturgeschichte der Kartoffel. Mit 170 Rezepten"
Was als Kartoffel, Erdapfel, Grundbiere und vieles mehr heute zu einem unserer essenziellen Grundnahrungsmittel zählt, hat seinen
Ursprung in der Neuen Welt und setzte sich in einem beispiellosen kulinarischen Eroberungsfeldzug schließlich in ganz Europa als
"Marzipan des kleinen Mannes" durch. Nach dem großen Erfolg als
"Kochbuch des Monats" im November 2008 wurde "Es möge Erdäpfel
regnen" in überarbeiteter Form neu aufgelegt und mit neuem Bildmaterial ergänzt.
Es ist kein Kochbuch im herkömmlichen Sinne, dienen die beigefügten
Kochrezepte doch nicht zuletzt auch zur Illustration der Entwicklung von Erdäpfelgerichten - ab den ganz bescheidenen Anfängen in Europa
- und zeigen die große Wandlungsfähigkeit der so ärmlich aussehenden papas Indorum
radix. Dennoch: Nachkochen erwünscht! (Mandelbaum Verlag)
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Astrid Poensgen-Heinrich: "Köstliche Kartoffelküche.
Fantastisch vegetarisch"
Kartoffeln sind das Grundnahrungsmittel
schlechthin. In vielen Haushalten kommen sie täglich auf den Tisch, pro Kopf
werden durchschnittlich 72 kg pro Jahr verzehrt. Kein Wunder, denn die braune
Knollenfrucht macht nicht nur satt, sondern ist auch unglaublich vielseitig zu
verwenden, wohlschmeckend und hat auch an Inhaltsstoffen viel zu bieten. Schade
nur, dass sie meist als Salz- oder Pellkartoffeln und immer mehr vor allem in
"veredelter" Form aus dem Sackerl oder der Tiefkühltruhe fix und fertig
aufgetischt werden.
Dabei bleiben viele Geschmackserlebnisse auf der Strecke.
Denn egal ob klassische Kartoffelknödel, Püree, Rösti und Gratin oder
internationale Rezepte wie Gnocchi und Indisches Curry - selbst gemacht schmeckt
es noch mal so gut, und die Zubereitung ist einfacher als gedacht.
Die
Autorin hat viele Rezepte ausprobiert und lädt zum Nachkochen und weiteren
Experimentieren mit der "tollen Knolle" ein. Und damit die Gerichte auch so
richtig gut gelingen, gibt es dazu noch jede Menge Einkaufstipps. Denn bei
Kartoffeln gibt es viele Sortenunterschiede, die es zu entdecken gilt. (Pala)
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Heidi
Lorey: "Tartuffli. Alte Kartoffelsorten neu entdeckt"
Für alle Liebhaber
der faszinierenden Knolle hier ein informativer Ratgeber: Neben Anmerkungen zur
Geschichte der in Südamerika beheimateten Kulturpflanze illustrieren 70 Porträts
teilweise längs vergessener Sorten die regionale und geschmackliche
Mannigfaltigkeit des Nachtschattengewächses - auch Sorten wie die "Odenwälder
Blaue" oder die alte französische "Vitelotte" sind angeführt. Praxisorientierte
Hinweise zu Anbau und Schädlingsbekämpfung finden sich ebenso wie zahlreiche
ansprechende Rezeptvorschläge. (Landwirtschaftsverlag)
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Henry Hobhouse: "Sechs Pflanzen
verändern die Welt"
Wer glaubt, dass nur Königshäuser und Revolutionen
den Gang der Geschichte bestimmten, der irrt! Und der lasse sich von "Sechs
Pflanzen verändern die Welt" über die heimlichen Helden der Historie aufklären:
den Chinarindenbaum, das Zuckerrohr, den Tee, die Baumwolle und die Kartoffel;
gerade sie haben die Neuzeit entscheidend geprägt. Henry Hobhouse erzählt auf
originelle und ungewöhnliche Weise eine Naturgeschichte, ohne die es keine
Geschichte der Menschheit gibt. Der Autor überrascht seine Leser mit einer Fülle
historischer Einsichten und Querverbindungen: sechs Pflanzen, die den
Geschichtsverlauf von der Renaissance bis in unsere Gegenwart maßgeblich
beeinflussten. Vom Niedergang Chinas bis zum Aufstieg der deutschen
Chemieindustrie, von der irischen Hungersnot bis zur indischen
Bevölkerungsexplosion, von den Abenteuerreisen der frühen Kolonialzeit bis zu
den Weltkriegen des 20. Jahrhunderts, von der genialen Vermarktungsstrategie für
ein heute weltweit bekanntes Getränk bis zum Straßenkrieg gegen Drogen.
(Klett-Cotta)
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Kartoffel:
Die Heimat der zu den Nachtschattengewächsen gehörenden Kulturpflanze ist
Südamerika. Von dort brachten sie die Spanier im 16. Jh. nach Europa, und zwar
einmal unter dem aus der Quechuasprache der Inkas stammenden Namen span.
papa "Kartoffel" (diese Bezeichnung blieb auf das Spanische beschränkt),
zum Anderen auch als span. batata, patata (das Wort entstammt der
Indianersprache von Haiti und bezeichnet eigentlich die zu den Windengewächsen
gehörende Süßkartoffel, deren Wurzelknollen besonders in den Tropen ein
wichtiges Nahrungsmittel sind). Die letztere Bezeichnung gelangte aus Spanien
auch in einige andere europäische Sprachen (beachte z. B. it. patata
"Kartoffel", engl. potato "Kartoffel" und aus dem Engl. gleichbed.
schwed. potatis). Andere europäische Sprachen wiederum prägten für die
Kartoffel eigene Namen, die sich vorwiegend auf die knolligen Wurzeln dieser
Pflanze beziehen. So gab es früher in Italien für die Kartoffel auch den Namen
tartufo, tartufolo. Das Wort bezeichnet eigentlich den essbaren
Trüffelpilz (...). Zur Bezeichnung für die Kartoffel wurde es aufgrund einer
Verwechslung der unterirdisch heranwachsenden knollenartigen Fruchtkörper der
Trüffel mit den Wurzelknollen der Kartoffel. Während das Wort tartufolo
"Kartoffel" im It. nun hinter patata völlig zurückgetreten ist, lebt es
in unserem daraus entlehnten Wort "Kartoffel" (18. Jh., durch Dissimilation aus
älterem Tartuffel, Tartüffel entstanden) fort. - In dt. Mundartbereichen gelten
für "Kartoffel" zahlreiche zusammengesetzte Bezeichnungen wie "Erdapfel",
"Erdbirne", "Grundbirne" (daraus entstellt rhein-hess. und pfälz. "Krumbeere")
usw. Ähnlich heißt die Kartoffel im Frz. pomme de terre (eigentlich
"Erdapfel").
(Aus "DUDEN. Das
Herkunftswörterbuch")