Jens Jessen (Hrsg.): "Fegefeuer des Marktes"
Die Zukunft des Kapitalismus
Passive
Analyse
Das Feuilleton der ZEIT hat international bekannte Schriftsteller,
Soziologen und Philosophen gebeten, ihre Ansichten darüber zu
formulieren, ob der Kapitalismus die Nationalstaaten in den Ruin
treibt. Tatsache ist, dass durch die zunehmende Ökonomisierung
der Gesellschaft Demokratie und Kultur völlig in den
Hintergrund zu geraten drohen, dass nationale Reformvorhaben wenig
effektiv sind und zu Lasten der Benachteiligten gehen, während
die internationalen Konzerne ihre Gewinne maximieren, indem sie
Personal wegrationalisieren. Der Kapitalismus hat
möglicherweise den Kommunismus besiegt, er wird auch noch den
Sozialstaat, die Marktwirtschaft und die Zivilisation zugrunde richten.
Der Kapitalismus wird daher auch zusehends als
Bedrohung gesehen - und
das weltweit und beileibe nicht nur von Linken.
Der vorliegende Band versammelt wohltuend kurze Aufsätze, in
denen die jeweiligen Thesen pointiert dargelegt werden. Die Menetekel
des Kapitalismus liegen klar zutage: die Ökonomie schafft
ökologische Probleme, materielle Scheinwerte
verdrängen substanzielle Lebensziele, durch die Globalisierung
werden Verantwortlichkeiten immer mehr verwässert und
verschleiert. Der Publizist Ludger Lütkehaus weist darauf hin,
dass die Orientierung am Wachstumsdenken unser Leben an die Ekelgrenze
gebracht hat - wobei die Überproduktivität der Arbeit
paradoxerweise an die "Abnahme der Arbeitsmöglichkeiten"
gekoppelt sei. Eine "Sintflut massenhafter
Billigprodukte"
überschwemme die Welt. Ohne Rücksicht auf die
tatsächliche Nachfrage hat sich das Angebot
verselbstständigt zu einer Maßlosigkeitsmaschinerie.
Der Soziologe Richard Sennett warnt vor der zunehmenden
Abhängigkeit, Unsicherheit und Nutzlosigkeit des Einzelnen.
Der wachsende Konkurrenzdruck auf allen Ebenen ist die pervertierte
Konsequenz unserer kulturellen Dekadenz. Die
Globalisierung
verstärkt den Prozess, dass die Reichen immer reicher und die
Ärmeren immer ärmer werden. Das Denken in
kapitalistischen Kategorien hat den Weltfrieden instabiler werden
lassen - ideologischer Fundamentalismus wird immer radikaler,
letztendlich tobt ein Krieg um die Ressourcen.
Der Herausgeber Jens Jessen bezeichnet den Kapitalismus als eine
"totalitäre Bewegung", die sich rücksichtslos
durchzusetzen versuche. Insgesamt leistet das Buch leider nur eine
Pauschaldiagnostik, verweigert aber jegliche Therapie auch nur
ansatzweise. Wir müssen dem Kapitalismus
mit
mehr
Kreativität entgegentreten - Analyse allein
genügt
nicht, weil sie zu passiv in ihren selbstgefälligen
Formulierungen verharrt. Insofern bleibt dieses Buch zwar der Wahrheit
verpflichtet, aber in seiner Aussage zu gutmütig.
(KS; 08/2006)
Jens
Jessen (Hrsg.): "Fegefeuer des Marktes"
Pantheon Verlag, 2006. 123 Seiten.
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