Ronald Barazon: "Kampf dem Kapitalismus"


Für einen humanen Kapitalismus

Der Kapitalismus ist zur Weltwirtschaftsreligion geworden - insgesamt steigert sich das Wachstum - aber auch die Arbeitslosigkeit und die Armut nehmen zu. Nach Barazon führt der Kapitalismus "unweigerlich in die Katastrophe" (Klappentext). Der Autor plädiert dafür, dass sich die Arbeitnehmer zur Wehr setzen und die Staaten "sich nicht zu Marionetten der Kapitalisten degradieren lassen" - weil nämlich diese "ein Korrektiv, einen Gegenpol benötigen" (ebd.). Bereits das sehr differenzierte Inhaltsverzeichnis verrät eine detaillierte Analyse unterschiedlicher Aspekte der Krise des Kapitalismus.

Neoliberalismus - Turbokapitalismus - Globalisierung: das sind Begriffe zur Beschreibung aller negativen Auswüchse der Orientierung auf Gewinnmaximierung. Barazon stellt klar: "Wenn hier vom 'Kampf gegen den Kapitalismus' die Rede ist, so ist die Ablehnung einer Wirtschaftsreligion gemeint, mehr noch die Ablehnung jeder Wirtschaftsreligion." Der Adressat ist der "diffuse Kapitalismus, weil er die derzeit bestimmende Glaubensrichtung ist." Die Verabsolutierung der Gewinnorientierung führt zum Personalabbau mit dem Effekt kurzfristiger Gewinnsteigerung. Barazon fordert einen "verantwortungsvollen Umgang mit Gewinn", er möchte durch Überzeugungsarbeit die "Gier der Heuschrecken" eindämmen. Oh leider welch naiver Idealismus!

Im Zuge der Globalisierung verlieren die Nationalstaaten ihre Funktion als Normengeber und Ordnungsinstanz - und als Wahrer des sozialen Gedankens. Zu fordern wäre zumindest auch ein globales Rechtssystem wie auch eine internationale Steuerpolitik. Generell besteht das Problem darin, Eigenverantwortung und staatliche Fürsorge, Wirtschaftlichkeit und soziale Absicherung in Einklang zu bringen. Der Mittelteil des Buches widmet sich ziemlich ausführlich der Problematik der Absicherung durch Sozialsysteme, Fonds oder Börsenaktivitäten. Und dabei fällt wohl eine zentrale Feststellung: "Ein entscheidender Grund für den Kampf gegen den Kapitalismus ist die empörende Gleichgültigkeit der Kapitalisten gegenüber den Arbeitslosen". Allerdings vollführt Barazon hier einen allzu kompromisslerischen Eiertanz: Rationalisierung verursache zwar Arbeitslosigkeit, erhalte aber auch Arbeitsplätze und ermögliche höhere Löhne und sichere die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens. Aber hallo: was sagen dazu die Arbeitslosen?!

Wirklich interessant wird die Problematisierung des Begriffs Wachstum, basierend auf der Unterscheidung von Produkten, die man braucht oder die überflüssig sind. Wobei einerseits das Wirtschaftswachstum vom Konsum dieser "überflüssigen" Produkte abhängt - während andererseits gar nicht so ganz klar ist, welche Produkte tatsächlich "überflüssig" sind. Wer entscheidet über Bescheidenheit und Luxus - und wer verordnet womöglich Beschränkung?! In der Theorie hört sich so manches gut an: Wirtschaft wird für Menschen betrieben - und: "alle Menschen haben ohne Unterschied den gleichen Anspruch auf ein möglichst komfortables Leben." Aber wer garantiert diesen Anspruch?! Und was ist "komfortabel"?!

Wackelig wird die angestrebte Überzeugungskraft des Buches wenn der Autor gegen die Grünen polemisiert und die Gefahren der Atomkraft bagatellisiert. Ebenso unverständlich bleiben Feststellungen wie diese, dass immer wieder neue Branchen entstünden, die "das frei werdende Potenzial an Arbeitskräften aufnehmen können" - was sagen dazu die Millionen von Arbeitslosen?! Den Gewerkschaften Mangel an internationaler Organisation vorzuwerfen grenzt wohl eher schon an Zynismus - und die Forderung, den Kündigungsschutz zu lockern, um den Arbeitnehmern mehrere Teilzeitbeschäftigungen zu ermöglichen, ist ja wohl schon dreist. Da weiß man manchmal gar nicht mehr, auf wessen Seite der Autor eigentlich steht.

Konstruktiv diskutierbar sind die letzten 15 Seiten, auf denen es um den 'Humanismus als Basis', die 'Wehrhafte Demokratie', die 'Unverzichtbare Bildung' und den 'Kampf gegen den Kapitalismus' geht. Das Konkurrenzprinzip führt nach Barazon früher oder später zwangsläufig zur Anarchie und "nimmt jedem Staat die Basis." Denn es ist "Aufgabe der Politik, für die angemessene Umverteilung des Reichtums zu sorgen." Barazon fordert eine Kombination aus Genossenschaft ("Absicherung des Einzelnen") und Aktiengesellschaft ("Gewinnsteigerung"). Den Schluss des Buches kann man als Appell lesen: "Der Kampf gegen den Kapitalismus ist ein Kampf für den Humanismus." Im Grunde ist Barazons Ausführungen zuzustimmen, seine Analysen sind nachvollziehbar - allerdings bleibt er im Ton und in der letzten Konsequenz zu sanft und zu vage. Heuschreckenkapitalisten werden durch die Lektüre schwerlich ihre Katharsis erleben. Einen humanen Kapitalismus kann es eben nicht geben, weil der Kapitalismus im Kern inhuman ist.

(KS; 09/2006)


Ronald Barazon: "Kampf dem Kapitalismus"
Ecowin Verlag, 2006. 220 Seiten.
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Ronald Barazon, geboren am 21. Februar 1944, ist nach 30 Jahren Redakteurstätigkeit seit 1995 Chefredakteur der "Salzburger Nachrichten". Bekannt wurde er unter anderem durch zahlreiche Vorträge im In- und Ausland, als Diskussionsteilnehmer an zahlreichen "Pressestunden" im Fernsehen und als Autor von Fernsehserien wie "Die Erde trägt" oder "Universum", als Moderator von Sendungen wie "Zur Sache" oder "Offen gesagt" und Autor und Moderator der Filme "Die Zukunft der Stadt" und "Euro - Eine Frage des Geldes". Ronald Barazon ist Träger zahlreicher Auszeichnungen.