Wladimir und Olga Kaminer: "Küche totalitär - Das Kochbuch des Sozialismus"
Mit Rezepten von Olga Kaminer
Lebensart, Anekdoten und Rezepte aus
den ehemaligen Sowjetrepubliken
Es gibt Bücher, die man in der
Öffentlichkeit nicht lesen sollte, wenn man befremdete Blicke seiner Mitbürger
scheut. Die erntet man jedoch zwangsläufig, wenn man alle paar Augenblicke
losprustet - was sich beim Lesen von Kaminers Büchern freilich nur unter größten
Schwierigkeiten vermeiden lässt, und sein neuestes bildet keine
Ausnahme.
"Küche totalitär" enthält Rezepte einiger Regionen der früheren
Sowjetunion, die aus kulinarischer Sicht interessant sind: Armenien,
Weißrussland,
Georgien,
Ukraine, Aserbaidschan, Sibirien, Usbekistan, Lettland,
Tatarstan und Südrussland. Wie Kaminer in der Einleitung anmerkt, besteht die
russische Küche "aus fünf Gerichten mit Variationen, die nur einem Zweck dienen:
den Magen schnell zu füllen". Zum Verwöhnen war "die sowjetische Küche bestimmt,
dieser Gaumenkitzel des Totalitarismus". Und diese stellte ein Medley aus
Gerichten der Sowjetrepubliken mit ihren eigenwilligen Geschmackserlebnissen
dar.
Entsprechende Kochbücher gibt es bereits auf dem Markt, allerdings
ohne die mit liebevoll-bissigem Humor vorgetragenen historischen und kulturellen
Informationen und Anekdoten zu jeder Region, die Wladimir Kaminer den Rezepten
voranstellt. Die Ironie des "Insiders" - der 1967 geborene Autor verließ die
zusammenbrechende Sowjetunion erst 1990 - ist schonungslos, treffend und doch
nie diskriminierend; es klingt immer warmherzig die Bewunderung für die
Improvisationsfähigkeit der Menschen im Sozialismus und die zähe
Selbstbehauptung der Ethnien des künstlichen und trotzdem irgendwie
funktionierenden Gebildes "Sowjetunion" durch. Der weißrussische Soldat, der
mithilfe von Vaseline und eines Bügeleisens Bratkartoffeln herstellt, und die
Erfahrungen eines ostdeutschen Gaststudenten mit der überschwänglichen
aserbaidschanischen Gastfreundschaft sind nur zwei Beispiele, und wir lernen
auch, dass der Eindruck, "Weißrussland sei eine Art Naturpark mit Partisanen
darin", trotz der fatalen Auswirkungen dieser Region auf westliche Armeen trügt,
denn: "Darüber hinaus versorgten die weißrussischen Atomkraftwerke die halbe
Sowjetunion mit Strom, die Kartoffeln wurden jedes Jahr größer, und die
Bevölkerung strahlte." - Nun ja, der Sozialismus war mit reichlich Humor und
Wodka für die meisten einigermaßen auszuhalten, ich selbst habe die Sowjetunion
zweimal besucht und Eindrücke gesammelt, die Kaminers Erläuterungen und
Anekdoten völlig glaubwürdig erscheinen lassen.
Vor Kaminers Hang zur Satire ist auch seine deutsche Wahlheimat nicht sicher:
Hätten die Barbaren
seinerzeit
im Teutoburger Wald nicht die Römer verprügelt, so hätten die Deutschen
mit Risotto statt Klopsen, gutem Rotwein und optimistischer Volksmusik eine
viel attraktivere Kultur, sinniert Kaminers armenischer Freund, aber sie "mussten
ja die Römer verjagen aus ihrem tollen Wald, und was haben sie nun davon? Döner
Kebap!"
Ach ja, Rezepte gibt es im Buch, wie erwähnt, auch.
Und sie sollten in dieser Rezension keinesfalls unter den Tisch fallen wie
jemand, der dem Wodka allzu intensiv zugesprochen hat (der, im Gegensatz zum
Kaviar, einen festen Platz in der russischen Kultur innehat, wie Kaminer im
Anhang betont), denn sie bieten einen spannenden Querschnitt durch eine sehr
heterogene Küche, die eigentlich aus einer Vielzahl von regionalen
Geschmacksrichtungen besteht, je nachdem, was das jeweilige Land zu bieten
hat.
Den Großteil der Gerichte kann man, auch dank der klaren
Anweisungen, problemlos nachkochen - und sie sind köstlich. Einige erfordern
Zutaten, an die man nicht ohne Weiteres kommt, aber es lohnt sich trotzdem,
diese zu organisieren. Was ich allerdings vermisse, ist ein
Rezepteverzeichnis.
Die humorvoll-frechen Illustrationen ergänzen die
Texte und Rezepte ideal. Aus sprachlicher Sicht und bezüglich der Aufmachung ist
das Buch ebenfalls gut gelungen. Wenn Sie also ein paar exotische Küchen kennen
lernen wollen und nebenbei Lust auf Nähkästchengeplauder aus der guten alten
Sowjetunion haben, sollten Sie sich dieses einmalige Buch nicht entgehen lassen,
das sowohl auf die Geschmacksnerven als auch auf das Zwerchfell eine höchst
stimulierende Wirkung ausübt.
(Regina Károlyi; 02/2006)
Wladimir
Kaminer: "Küche totalitär - Das Kochbuch des Sozialismus"
Manhattan
Verlag, 2006. 223 Seiten.
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Hörbuch:
Random House Audio, 2006. Laufzeit etwa
140 Minuten.
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Noch ein Buchtipp:
Olga
Kaminer: "Alle meine Katzen"
Am Anfang, als Kind, wollte sie nur eine Katze wie die aus dem Kinderbuch. Keinen
Fuchs und auch keine Papageien, die der Vater ihr mitbrachte, sondern eine Katze
unter einem Hut. Und so sind es denn auch
Katzen und deren Geschichten, durch
die wir das bunte, leichte, ernste und schöne Leben der Olga Kaminer kennen
lernen. Liebevoll und heiter schildert sie ihre Reise durch Zeiten, Städte und
Länder, wo sie immer wieder auf die verschiedensten Charaktere, Mensch wie Katze,
stößt. So treffen wir "Clarens", Nachbarskater der Kindheitsjahre in
Olga
Kaminers Heimat Sachalin, und den verschmusten Kater "Python", den es als
Sylvestergeschenk in Leningrad gab. Die eifersüchtige "Maus" in Moskau begeht
Selbstmord, als ihr Herr namens Remington nach dem Fall des Eisernen Vorhangs
nach London zieht. Die wilde Katzentochter "Patrizia" kann erst auf dem Land
von einer Priesterfamilie gebändigt werden. Und auch in
Lettland
findet die Katze "Murotschka" samt drei Kätzchen ihren Weg ins Leben der Olga
Kaminer.
Olga Kaminer, Frau von Wladimir Kaminer, erzählt
die Erlebnisse einer starken Frau in Zeiten des Umbruchs, leicht und scheinbar
mühelos öffnet sie uns die Tür in eine aufregende Welt. (Ullstein)
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