Eva Demmerle: "Kaiser Karl I."
"Selig, die Frieden stiften ..."
Selig, die Frieden stiften, denn sie
werden Söhne Gottes genannt werden, so lautet die siebente Seligpreisung im
fünften Kapitel des Matthäusevangeliums. Sie gilt im besonderem Maße für Karl
I., den letzten Kaiser und König der Habsburger Dynastie, der in seiner kurzen
Regentschaft von 1916 bis 1918 nichts unversucht ließ, um das Morden auf den
Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges zu beenden.
Zur Vita
Die
einführenden Zeilen dieser Buchbesprechung entstammen nun nicht der Feder des
Rezensenten, sondern wurden als wortwörtliches Zitat von der ersten Seite des
vorliegenden Buches übernommen. Eva Demmerle gibt somit gleich zu Beginn ihrer
Biografie der Person des erst kürzlich vom Papst selig gesprochenen letzten
österreichischen Kaisers ein eindeutiges Bekenntnis zu dessen sittlicher
Lauterkeit ab. Und bekennt sich solcherart zu einem Menschen, der eher Leid und
Schmach hinnahm, als dass er einen einmal geleisteten Schwur brechen würde.
Nämlich einen Schwur auf jene Sendung, die ihm sein Schicksal aufgetragen hatte.
Das Schicksal eines Monarchen, der den ihm auferlegten Herrschaftsrang als Gebot
und Verpflichtung zur Fürsorglichkeit gegenüber den ihm anvertrauten
Schutzbefohlenen begriff. Als eine Lebensaufgabe und einen von Gott verfügten
Dienst zum Wohle seiner Völkerschaften, aber keinesfalls zu deren Knechtung
gedacht. Karl, so stellt Demmerle in diesem Zusammenhang klar, konnte daher auch
niemals eine Abdankung aus Eigenem bewirken, da die Krone für ihn eine
Verantwortung darstellte, die ihm von Gott übertragen worden sei. Im Moment
seines Abtretens von der Bühne weltlicher Macht hatte er deswegen trotz heftigen
Drängens seitens der neuen (republikanisch gesinnten) Machthaber nur auf jeden
Anteil an den Staatsgeschäften verzichtet, nicht jedoch auf den Thron und die
damit verbundene Herrscherwürde. Was Gott gegeben, kann nur Gott
nehmen.
Der hohe Klerus von Rom setzte am 3. Oktober 2004 ein
unmissverständliches Zeichen für die Wahrnehmung christlichen Anstands in allen
Belangen weltlicher Herrschaft, indem er die in der österreichischen Bevölkerung
und unter Historikern umstrittene Herrscherfigur Kaiser Karl I. von Österreich
selig sprach und diesen somit zur Anbetung frei gab. Was wollte Rom bzw. konkret
die "Heilige Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse" mit
diesem unter gegenwärtigen Zeitgenossen vielfach Unverständnis provozierenden
Seligsprechungsakt bewirken? Was ist die Ursache dafür? Auf welch fragwürdigen
Umständen basiert die neuerdings betriebene Verklärung des einstigen Monarchen
und Kriegsherren zur christlichen Kultfigur und gar zum Friedenskaiser, den ein
spitzzüngiger Karl Kraus mit Bezug auf den von Karl angeordneten massiven
Giftgaseinsatz an der Isonzofront seinerzeit noch sarkastisch als "Kaiser Karl
den Chlorreichen" pries?
Jede Seligsprechung setzt nach römischem Regolamento
ein wundertätiges Ereignis voraus, und wir wissen auch um das Wunder an einer
krampfaderngeplagten Nonne, welcher ihre Gebete zu Kaiser Karl heilsam bekamen.
So wird es zumindest berichtet. Wir wissen dies und argwöhnen ob der
lächerlichen Vorstellung der wundersam gesundeten Frauenbeine. Skepsis scheint
angebracht, doch in Rom glaubte man nach strenger Prüfung an den Wahrheitsgehalt
dieser Erzählung und rechnete es dem aus himmlischen Gefilden wohltätig
wirkenden Karl zum Verdienst an. Skepsis bleibt angebracht und man fragt sich:
Wollte vielleicht gar nur der polnische Papst
Karol Wojtyla den
ehemaligen Regenten oder besser gesagt der Familie Habsburg sein besonderes
Wohlwollen bekunden? Oder ein ideologisch motiviertes Signal pro die
autokratische Monarchie von Gottes Gnaden und contra die republikanische
Demokratie von Bürgers Gnaden setzen? Viele Leute machten sich im Zusammenhang
mit dieser Seligsprechung ihre Gedanken und stellten sich irritiert ob der
sonderbaren Ikonisierung eines weltlichen Herrschers und Kriegsherren zum quasi
Heiligen in spe zweifelnde Fragen. Fragen, Fragen und wieder Fragen. Die Autorin
ging nun diesen Fragen nach, sichtete historisches Material, soweit es ihr
zugänglich gemacht wurde, und vertiefte sich mit emsiger Recherche in die
Lebensgeschichte des Karl von Österreich.
Somit zu einer Kernthese des
Buches, vermittels derer manifest wird, wie erstaunlich unzeitgemäß im Vatikan
gedacht und gewertet wird. Die Hauptursache für die Seligsprechung des in seinen
Ansichten eher modernen Monarchen war weniger in dessen religiösem und sozialem
Verhalten begründet, sondern viel mehr in seiner Auffassung über das Herrschen
"Aus Gottes Gnaden". Gott als Ur- und Beweggrund jeder Staatskunst, verkörpert
in Gestalt eines gottesfürchtigen Monarchen. Erst wenn man das Leben dieses
Menschen, seine Erziehung und sein Verhalten von Kindheit auf sieht, kann man
nach Meinung der Autorin alles verstehen, was sich in weiterer Folge anbahnte
und in fernen Tagen ergab - bis hin zur Seligsprechung in unseren Tagen. Erst
nach einer eingehenden biografischen Betrachtung wird man sich dessen gewahr,
was diesen Mann antrieb und ihm Orientierung in seinem Handeln verschaffte, man
erahnt seinen vornehmen Charakter, um schließlich nach eingehendem Studium zu
dem Schluss zu gelangen, jetzt kaum noch zweifelnd, dass dieser hochwohlgeborene
Kaiserspross sein Leben stets und gewissenhaft nach den Regeln der christlichen
Religion ausgerichtet hatte und daher auch völlig zu Recht selig gesprochen
wurde. Diese Erkenntnis gebietet sich bei ernsthafter Befassung mit der Vita des
Karl von Österreich und sollte als solche die uneingeschränkte Anerkennung durch
jeden redlichen Kopf finden, egal wie auch immer er zur Familie Habsburg und zur
römisch-katholischen Kirche und ihrer Praxis einer ritualisierten
Heiligenverehrung stehen mag. Die umstrittene Seligsprechung des Habsburgers
erfolgte demnach für Demmerle, eben bei Gewahrung christlicher Glaubens- und
Lebensregeln, unzweifelhaft zu Recht, ist folglich also als rechtens zu
akzeptieren und keineswegs als mutwillige Beugung einer Regel im Sinne geistiger
Korrumpierung, ferner als ideologische Intrige oder auch nur als menschlicher
Fehler zu verkennen, obgleich sie von Menschen, auch der Papst ist nur ein
Mensch (bloß in seiner Amtswürde ist der Pontifex Maximus unfehlbar),
ausgesprochen wurde.
Zum Nachweis der Korrektheit des römischen
Entschlusses führt die Autorin des Habsburgers Lebensgeschichte bis ins Detail
aus, von der Kindheit bis zu seinem relativ frühen und doch eher plötzlichen
Tod. Ein Tod übrigens, der Demmerle als ein weiteres Indiz für die Begnadung des
Karl von Österreich durch Gott gilt, hatte der abgedankte und ins Exil
geflüchtete Kaiser doch schon Monate vor seinem Ableben im Dezember 1921 voraus
geahnt, dass Gott ihn nun baldigst von seinem irdischen Amte abberufen würde. So
meinte er zu seiner Frau Zita in einem bedrückenden Gespräch, dass "Der liebe
Gott machen wird, was er will" und vertraute ihr weiter an, dass er seit
längerer Zeit das Gefühl habe "Gott wünsche von ihm das Opfer seines Lebens zur
Rettung seiner Völker". Obwohl es für ein Ableben zu diesem Zeitpunkt keinerlei
Anzeichen gab, war die Kaiserin dennoch erschrocken und konnte nur hoffen und
beten, dass dem letztlich nicht so sein würde.
Die innige mentale Verbundenheit Karl von Habsburgs mit seinem christlichen
Glauben und seiner Kirche von Rom illustriert die Autorin anhand der Wiedergabe
von Tagebuchaufzeichnungen, auch jener der Kaisergattin Zita, sowie mittels
Auszügen aus öffentlichen Dokumenten. Die Zuneigung dürfte demnach beiderseitig
gleichermaßen ausgeprägt und auf Gegenseitigkeit beruhend gewesen sein, denn
obgleich Karl vorerst an kaum aussichtsreicher Stelle in der Thronfolge rangierte,
wurde seine Person immer wieder von Papst Benedikt XV., aber auch durch andere
hohe Kirchenfürsten, als möglicher und überdies erwünschter Kaiser von Österreich
ins Gespräch gebracht. Karl war sozusagen der Kandidat der römischen Glaubensbürokratie
für den Kaiserthron zu Wien. Seitens seines Onkels
Kaiser
Franz Joseph I. wurde Karl hingegen ursprünglich eher nur als standesgetreuer
Dynastieerhalter gesehen, quasi auf eine biologische Funktion reduziert. Dies
deswegen, da die Kinder des eigentlichen (und zur kaum verhohlenen Genugtuung
mancher Familienmitglieder 1914 in Sarajevo ermordeten) Thronfolgers Franz Ferdinand,
infolge der nicht standesgemäßen weil nur minder adeligen Mutter, Sophie von
Hohenburg, die Gemahlin des Franz Ferdinand, als unwillkommene Bastarde einer
ungehörigen Standesschande von der erblichen Thronfolge zu ihrem kaiserlichen
Vater ausgeschlossen waren. Karls Bestimmung war es somit in erster Linie, kraft
seiner Lenden den Anspruch der Habsburgerdynastie als biologische Elite höchsten
und unübertrefflichen Rangs zu wahren. Die große Zahl seiner leiblichen Abkömmlinge
legt ein beredtes Zeugnis davon ab, dass Karl auch diese Herausforderung mannhaft
angenommen hat.
Für Demmerle ist Karl nun denn wirklich eine wahrlich tragische Figur. Ursprünglich
schlecht, weil zu weit hinten für die Thronfolge gereiht, wurde der gottesfürchtige
Habsburger dann doch noch, allerdings zu einem ebenso unpassenden wie unerfreulichen
Zeitpunkt zum Kaiser berufen. Nämlich in einem zeitgeschichtlichen Augenblick,
als das geerbte Reich bereits dem Zusammenbruch nahe war. Die Völkerschaften
des Reichs drifteten auseinander. In dieser verzweifelten Lage bemühte sich
der junge Kaiser um eine Verständigung mit den feindlichen Mächten des westlichen
Europas. Demmerle würdigt den Kriegsherrn, welcher Karl wider Willen war, dann
auch als Friedensfürsten im Geiste, der vom Anfang seiner Regentschaft an bestrebt
ist; die Gräuel des Krieges, welche er durch oftmalige Besuche an der Front
selbst miterleben muss, ehestens abzustellen. Seine Versuche, den Krieg rasch
zu beenden, verblieben jedoch ergebnislos, obwohl er auch den kleinsten Hoffnungsschimmer
- ohne Rücksicht auf die Gefährdung seiner Reputation als getreuer Verbündeter
des deutschen Waffenbruders - nicht außer Acht ließ. Als einen der letzten Auswege
bediente sich Karl bekanntlich sogar der Brüder seiner Frau, Sixtus und Xaver,
welche im französischen Heer - also im Heer des Kriegsgegners - Dienst taten.
Der Versuch Frieden zu stiften scheiterte an der Indiskretion der alliierten
Gegenmächte, treuloser Vertrauensmänner und an dem Starrsinn unerbittlicher
Kriegsbefürworter, welche in ihrer Nibelungentreue zum deutschen Waffenbruder
lieber mit diesem untergehen wollten als nach einem Frieden zu greifen, der
lediglich auf einen Ausgleich der Interessen abzielte, nicht jedoch den Sieg
bedeuten konnte. Was dann unter dem skandalträchtigen Titel der "Sixtusaffäre"
zur ruhmlosen Posse geriet, war nicht mehr und nicht weniger als die ebenso
peinliche wie peinigende Demütigung von Karls Friedenswillen. Ein Desaster missratener
Geheimdiplomatie, welches den Kaiser in seiner äußersten Scham bloßstellte,
allerdings im historischen Rückblick erahnen lässt, wie sehr der junge Habsburger
das unaufhörliche und längst schon industrialisierte Töten an den Fronten des
Ersten
Weltkrieges verabscheute - ja, wie sehr dieses mörderische Ringen seiner
christlichen Auffassung von Ethik widersprach, wofür er letztlich mit gutem
Recht selig zu sprechen war.
Die von Karl verfassten und von Demmerle dem
interessierten Leser dargebrachten Tagebuchaufzeichnungen zeigen nicht nur sein
Bemühen und die Lauterkeit seiner Bestrebungen, sondern beweisen gleichzeitig
durch einen Vergleich dieser Aufzeichnungen mit den Aussagen seiner politischen
Gegner, wie man in gesittungsloser Manier (und zum Abscheu jeden Restempfindens
von Anstand) die Menschenmassen aufhetzen und ehrlich handelnde Personen in
Misskredit bringen kann. Karl erging es so, davon ist Demmerle zutiefst
überzeugt, weshalb sein Ruf bis in unsere Tage hinein nicht der beste und schon
gar nicht der ihm angemessene ist, man ihn vielmehr weitestgehend (als Strafe
für sein doppeltes Versagen als Kriegsherr und als Friedensstifter) aus dem
kollektiven Andenken seiner ehemaligen Völker getilgt hat, anstatt ihm ob seiner
sittlichen Größe jene Hochachtung angedeihen zu lassen, derer er wie nur wenige
andere Herrscherfiguren würdig ist.
Karl war in seiner christlich geprägten
Wesensart bei aller Lebenstragik optimistisch gestimmt, ein Mystiker der
Heilserwartung und deswegen auch voll der Hoffnung, dass das Gute irgendwann zum
Durchbruch kommen müsste, wollte man nur mit Eifer und Geduld immerzu und
unbeirrt danach streben. Die Kraft hierin - trotz vieler Rückschläge - nicht
schwach zu werden, gab ihm seine tiefe Verwurzelung in der christlichen
Religiosität, sein Vertrauen in Gott und Kirche, ferner die Verbundenheit mit
seiner Familie Habsburg, von deren göttlichem Sendungsauftrag er überzeugt war,
woraus für ihn die Gewissheit erwuchs in seiner Funktion als Kaiser von
Österreich-Ungarn einzig zum Wohlgedeihen seiner Völker zu leben und zu wirken.
Und in diesem dienenden Selbstverständnis verfuhr Karl selbst dann noch, als das
Habsburgerreich bereits nur noch Geschichte und er ein vereinsamter Regent im
fernen Exil war - ohne Reich, Volk und Würde.
Dass Karl in Armut starb, im Gegensatz zu vielen Potentanten aus früherer aber
auch unserer Zeit, und seine beherrschende Stellung nicht zur Plünderung öffentlicher
Geldquellen missbrauchte, um beizeiten für ein späteres gutes Leben vorzusorgen,
zeigt, dass Karl nie an seinen eigenen Vorteil dachte. Nach seinem Tod verblieb
seine Gattin Zita mehr oder weniger mittellos
und hatte als alleinerhaltende Witwe eines abgehalfterten Imperators acht kleine
Kinder aufzuziehen. Karl lebte offenbar bis zu seinem Tod in einer Welt unbeugsamen
Ehrgefühls, und so blieb es dem von hohem Throne in die Abgründe weltlicher
Nichtigkeit abgestürzten Cäsaren von Gottes Gnaden bis zuletzt unfassbar, dass
jene Personen, welchen er einst zu gewichtigen Ämtern verholfen hatte, wider
derer frühere Treueschwüre, nun ihm gegenüber ein gar treuloses Verhalten an
den Tag legten. Erkannt hatte er dies erst in der Not, als er Mühe hatte, seinen
zur Kümmerlichkeit geschrumpften Haushalt zu alimentieren oder auch nur eine
behelfsmäßige Bleibe zu requirieren. So starb Karl I. von Österreich in der
Verbannung auf Madeira am 1. April 1922 im Zustand der Verelendung. Ein mitleidiger
Einheimischer hatte dem vertriebenen Kaiser zuletzt die "Villa Quinta do Monte"
oberhalb von Funchal zur Verfügung gestellt, ein Haus, welches als ein Sommerdomizil
ohne richtige Beheizungsvorrichtung konzipiert war, gelegen auf einer zumeist
nebeligen feuchten Anhöhe, was Karls sensiblen Gesundheit schädlich sein sollte.
Seine letzten irdischen Äußerungen bestanden aus Stossgebeten, doch das letzte
Wort "Jesus" verblieb nur mehr auf seinen Lippen. Mit Karl starb nicht nur der
letzte Österreichische Kaiser, der, obwohl er nur kurz an der Regierung gewesen
war, nach Meinung Demmerles dennoch der "Große" genannt werden sollte, sondern
auch der letzte Regent der altehrwürdigen Dynastie "Der Habsburger".
Kritische Schlussbetrachtung
Als Kaiser Karl am 3. Oktober 2004 vom Papst selig gesprochen wurde, war dies
nicht so wenigen Österreichern ein willkommener Anlass, Spott und Hohn über
dem Haupte des verblichenen Monarchen auszuschütten und sich solcherart zum
wiederholten Male in der Besudelung der eigenen Vorfahren und ihrer Taten mit
heißem Eifer zu üben. Und dies tat man sodann mit einem Erfolg, dass selbst
die christlichkonservativen Regierungsrepräsentanten des offiziellen Österreichs
sich schlussendlich reserviert gegenüber dem vatikanischen Ritual gaben, dabei
ging es bei dieser Würdigung einer heiligmäßigen Lebensführung doch keineswegs
um eine strategische Verklärung der Familie Habsburg, was jeden republikanischen
Argwohn rechtfertigen dürfte, sondern lediglich das eine herausragende
Mitglied der alten Dynastie, welches einzig im pflichtgemäßen Dienste für Gott
und seine Geschöpfe seinen Lebensgrund sah und dessen einziges Vergehen es letztlich
war, zur Unzeit Kaiser zu werden, sollte zum christlichen Lob gepriesen sein.
Ja richtig, Karl I. war Kriegsherr in einem grausamen Krieg, doch
zielte all sein Streben darauf ab, diese unselige Rolle so rasch wie möglich
ablegen zu dürfen. Die Umstände waren ihm ein Ungemach, und nicht er war das
Ungemach. Seine Kritiker sehen das anders. Mit besonderer Häme verweisen diese
auf die 12. Isonzoschlacht im Jahre 1917, welche - zynisch sprach man von einem
"Karfreitag-Wunder" - unter grober Missachtung der Haager Landkriegsordnung in
ein grauenhaftes Massaker unter italienischen Soldaten ausartete, das in der
Kriegsgeschichte nicht so leicht Seinesgleichen findet. 40.000 Italiener hatten
in den Morgenstunden des 24. Oktober 1917 unter dem gnadenlosen Gefechtsfeuer
der verbündeten Österreicher und Deutschen den Tod gefunden. Ein Massensterben,
um nicht zu sagen ein Massenmorden, war vor sich gegangen, wie es sonst während
des Ersten Weltkriegs anderswo in diesem Ausmaß kaum stattgefunden hatte, auch
nicht an der berüchtigten Westfront vor Verdun oder in den Schlachten an der
Maas. Und der Oberbefehlshaber der mit alles Leben vernichtendem Furor
angreifenden Heeresverbände der Österreicher und Deutschen war Kaiser Karl
gewesen. Höchstpersönlich hat er das Gemetzel angeordnet. Doch was hätte er tun
können? Eine militärisch dringend notwendige Offensive seiner Generalität
verweigern? War er denn frei in seinen Entscheidungen, oder nicht doch nur eine
unfreie Figur in einem grausamen Geschehen, das dem Diktat der Militärs zu
folgen hatte? War Österreich in diesem Moment denn noch ein Reich des Friedens,
oder nicht doch eher schon eine Militärdiktatur, mit einem ohnmächtigen Kaiser
obenauf, dessen christlich-ethische Grundsätze den Generälen gerade noch ein
mitleidiges Grinsen abnötigte. Und mehr dann schon nicht. Ferner wirft man Karl
zuweilen vor, er sei Zeit seines Lebens glühender Militarist gewesen und hätte
immer und überall mit Leidenschaft für das "Sterben für Kaiser und Vaterland"
geworben. Man verachtet und verurteilt Karl ob dieser seiner Eigenheiten, ob
seines militaristischen Gehabens und seiner ganz selbstverständlichen Treue zur
Habsburgerdynastie wegen, und vergisst dabei nur zu gerne, in welchem Geiste
Karl sozialisiert wurde, dass er von Kindesbeinen an zum Militär erzogen wurde
und natürlich seiner Stellung als Monarch und Landesvater notwendig verpflichtet
war. Ein schlechter Kaiser wäre er gewesen, hätte er anders getan und vielleicht
gar in selbstzerstörerischer Wut gegen Kaisertum und Vaterland polemisiert. Und
was hätte es gefrommt, wäre er sich selbst schädlich geworden?
Einzig unglückliche Zeitumstände lassen diesen vorbildlichen Christen, welcher
Karl nun einmal war, im Rückblick als Kriegstreiber und Zyniker erscheinen.
Einem Menschen seine Lebensumstände zum Vorwurf zu machen, scheint jedoch ungerecht
zu sein, denn tatsächlich sehnte sich Karl aus tiefster Empfindung nach Frieden.
Die Wiederherstellung eines gerechten Friedens zwischen den sinnlos verfeindeten
Völkern Europas war ihm ein brennender Herzenswunsch. Eva Demmerle führt mit
ihrem Buch einen überzeugenden Nachweis hierfür und setzt hiermit zugleich einen
energischen Akzent gegen den lieben Brauch, den letzten Habsburgerkaiser aus
Gründen wüster Lust am niederträchtigen Ressentiment zu verunglimpfen. Gegen
eine ernsthafte Kritik wäre nichts einzuwenden, doch müsste diese dann wohl
zu dem - nur allzu vielen Lästerern - unliebsamen Ergebnis führen, dass der
unglückliche Kriegskaiser Karl in Wahrheit und Gesinnung ein Gottesmann und
Friedensfürst war. Und fürwahr ist diesem großen Herrscher, unserem "Karl dem
Großen", als den ihn Eva Demmerle sieht, jenes als Untertitel zum Buchtitel
firmierende Bibelwort gemäß, welches da lautet: "Selig, die
Frieden stiften
..."
(Dr. Hans Schulz; 12/2004)
Eva Demmerle: "Kaiser Karl I."
Amalthea,
2004. 320 Seiten.
ISBN 3-8500-2521-7.
ca. EUR 24,90.
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Eva Demmerle, geboren 1967, studierte
Wirtschaft, Geschichte, Politik und Katholische Theologie in Bonn. Nach dem
Studium arbeitete sie in verschiedenen Funktionen im Europäischen Parlament in
Brüssel; u.a. war sie dort auch Assistentin von Otto von Habsburg, dem sie als
Pressesprecherin und Bürochefin zur Seite steht.
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Vom
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Vom Kaisersohn in Wien zum
Vorkämpfer des paneuropäischen Gedankens: Otto von Habsburgs faszinierendes
Leben umspannt fast ein gesamtes Jahrhundert, seine Höhen und Tiefen, seine
Schrecken und seine Hoffnungen. Aus der Heimat verjagt, von den Nazis verfolgt,
von den Kommunisten bekämpft, setzte er sich unermüdlich für die Freiheit und
die Einheit Europas ein. In Österreich, Deutschland und im Europäischen
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eine Persönlichkeit der Zeitgeschichte.
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unveröffentlichte Dokumente und zahlreiche Fotos aus dem Privatarchiv der
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Sonntag, 28. Juni 1914, 10.45, Sarajevo, Ecke Franz-Joseph-Straße/Appelkai: Mit zwei Pistolenschüssen tötet der neunzehnjährige Gavrilo Princip den Thronfolger Franz Ferdinand und dessen Frau Sophie. Einen Monat später erklärt Österreich dem Königreich Serbien jenen Krieg, der den Ersten Weltkrieg auslöst.
Franz Ferdinand d'Este, Neffe des Kaisers Franz Joseph, war ein Tyrann, scheu und voller Menschenverachtung, der den Tod des Monarchen Franz Joseph herbeisehnte und widersprüchliche Staatspläne entwarf. In diesem biografischen Roman, der nach Erscheinen 1937 sofort verboten wurde, verdammt Ludwig Winder seinen armseligen Helden jedoch nicht, sondern zeigt, wie erstarrt das habsburgische Hofzeremoniell war - eine Wiederentdeckung hundert Jahre nach dem Attentat von Sarajevo.
Ludwig Winder wurde 1889 als Sohn eines Lehrers im südmährischen Schaffa geboren und starb 1946 in Baldock, England. Feuilletonredakteur u.A. bei der "Bohemia"
in Prag. 1939 Flucht über Polen nach Großbritannien. Autor mehrerer Romane, darunter "Die nachgeholten Freuden" und "Der Kammerdiener". (Zsolnay)
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