Theodor Kissel: "Kaiser zwischen Genie und Wahn"
Caligula, Nero, Elagabal
Teil-Rehabilitation
für Nero & Co.?
Kaum eine Person der Historie ist so mit dem Makel der Grausamkeit und
des Irrsinns behaftet, wie der römische Kaiser Nero und seine
beiden Schandgenossen Caligula und Elagabal es sind. Wie es zu diesem
Negativbild kommen konnte und inwieweit dieses Bild überhaupt
seine Berechtigung hat, das versucht Theodor Kissel in seiner hier
vorliegenden Studie zu beleuchten. Dabei geht es ihm keineswegs darum,
das verbrecherische Treiben dieser drei Caesaren in Abrede zu stellen,
er möchte nur ein wenig mehr Objektivität walten
lassen als jene Geschichtsschreiber, die für das schlechte
Image, das diesem Trio anhängt, verantwortlich sind.
Die Quellen, auf die das schlechte Bild der drei zurückgeht,
sind in erster Linie Cassius Dio, Horaz, Tacitus,
Sueton;
Geschichtsschreiber, die den Senatoren und der römischen
Aristokratie nahe standen. Als vergiftete Quellen bezeichnet Kissel die
Schriften jener antiken Autoren, vergiftet, weil sie dem
römischen Adel verpflichtet waren und weil dieser Adel wie
keine andere gesellschaftliche Gruppe unter der Tyrannei eines
Caligula, Nero oder Elagabal zu leiden hatte. Denn der Senat und die
ihm verbundene römische Aristokratie wurden von ihnen
systematisch entmachtet, ja sogar dem Spott ausgesetzt, und aus
Rachsucht - so Kissel - entwarfen die aristokratischen
Geschichtsschreiber dann ein verzerrtes Bild ihrer ehemaligen Peiniger
und Widersacher. Das wird in dieser Studie auch einigermaßen
überzeugend dargelegt, aber ob man die drei Protagonisten des
Buches gleich zu rational handelnden Taktikern der Macht erheben oder
sie gar in die Nähe des Genies rücken kann, scheint
mir doch eher zweifelhaft.
In drei Teile hat der Autor sein Buch gegliedert, in drei kurze
Biografien also. Locker und interessant geschrieben, lesen sie sich
spannender als so mancher Roman. Hier liegt tatsächlich in der
Kürze die Würze, im Verzicht auf jeglichen
überflüssigen Wortballast. Kissel beginnt mit der
Regierungszeit Caligulas und porträtiert dann in
chronologischer Reihenfolge Nero und zum Schluss Elagabal.
Caligula
war wohl derjenige, der den absolutistischen Herrschaftsstil
in Rom auf die Spitze getrieben hat, der also das vollendete, was
Augustus begonnen hatte. Caligula wird hier porträtiert als
ein grausamer, menschenverachtender Zyniker. Kissel schreibt: "Augustus
hatte den Senatoren die Macht genommen, Caligula die Ehre. Das
verziehen ihm die aristokratischen Senatorenfamilien nicht."
Nero kennen die meisten Menschen wohl nur als die von Hollywood
präsentierte Witzfigur in der Gestalt von
Peter
Ustinov. Theodor Kissel bezeichnet Nero als den
Bühnenkaiser, den ersten Pop-Star der Geschichte; als einen
Künstler, der seine Kunst durchaus mit ernst zu nehmender
Disziplin ausübte, der wegen seiner Kunst sogar die
Staatsgeschäfte vernachlässigte. Kissel zieht hier
sogar eine Parallele
zum
bayrischen Märchenkönig Ludwig, denn wie
Ludwig war auch Nero nicht nur kunstbesessen, sondern
auch von einer großen Verschwendungs- und Bausucht befallen.
Im alten Rom aber zählten Künstler zu den niedersten
Ständen, und es war den auf Tradition bedachten Senatoren
natürlich ein Dorn im Auge, dass ihr Princeps sich derartig
sinnlosen Beschäftigungen hingab, weshalb sie ihn für
wahnsinnig erklärten. Nero wird hier vom Verfasser auch als
volksnaher Kaiser dargestellt, dessen
größenwahnsinnige Neigungen sich erst in der zweiten
Hälfte seiner Regierungszeit entwickelt haben. Und seine
zahlreichen Mordbefehle und die durch ihn veranlassten
Gräueltaten entsprangen laut Kissel nicht etwa einem
sadistischen Antrieb, sondern ganz allein seiner Angst, die ihn
überall Aufruhr, Umsturz und Mord wittern ließ. Am
Schluss seiner Aufzeichnungen über Nero schreibt der
Verfasser: "Hinter den oft bizarr und abnorm wirkenden Handlungen
steckte ein tieferer Sinn, der erst im Kontext seiner Zeit
verständlich wird. Seine Extravaganzen waren rational,
mitunter genial, und entsprangen nicht einem kranken Hirn im
pathologischen Sinne." Diese Aussage wird sicher nicht
uneingeschränkte Zustimmung finden, doch meines Erachtens war
es einmal an der Zeit, dass uns jemand eine andere Perspektive zu Nero
eröffnet, als einfach nur unreflektiert die Urteile und
Bewertungen der antiken Geschichtsschreiber zu übernehmen.
Bleibt als Dritter im Bunde Elagabal oder Heliogabal, der
Priesterkaiser, wie Kissel ihn nennt. Seine hauptsächlichen
Verfehlungen aus Sicht der konservativ eingestellten römischen
Aristokratie bestanden erstens darin, dass er die römischen
Götter vom Thron gestoßen und seine eigenen dort
platziert hat (Elagabal stammte aus einer der orientalischen Provinzen
Roms), und zweitens im Abfeiern hemmungsloser Sexorgien, die wohl
Bestandteil eines orientalisch phallischen Fruchtbarkeitskultes waren
und wo anscheinend sämtliche Tabus und Schranken
niedergerissen wurden. Im Vergleich zu den Schlächtern
Caligula und Nero also ein eher harmloser Tyrann, der in Rom einen
obskuren Gottesstaat etablieren wollte. Für Senatoren und
Aristokraten aber war er der Schlimmste von allen.
Theodor Kissel beschließt sein Buch mit den Worten: "Sie
standen mitten im Leben einer wahnwitzigen Gesellschaft, die in ihrer
Dekadenz Wahnsinn produzierte und den personifizierten Wahnsinn zum
Herrscher machte. So gesehen waren Caligula, Nero und Elagabal -
gemessen an ihrer Umwelt - ganz normal verrückt." Dem ist wohl
nichts hinzuzufügen.
Zwei Stammbäume, einmal der des Julisch-Claudischen
Kaiserhauses, zum anderen der Stammbaum der Severer (dem Elagabal
entstammt), Literaturhinweise sowie die Bildnachweise runden das
gelungene Werk ab. Fazit: Kissels Buch ist eine lohnende Anschaffung!
(Werner Fletcher; 08/2006)
Theodor
Kissel: "Kaiser zwischen Genie und Wahn"
Artemis & Winkler, 2006. 220 Seiten.
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Theodor
Kissel lehrte Alte Geschichte an der Universität Mainz.
Ein weiteres Buch des Autors:
"Das Forum Romanum"
Treffpunkt der Alten Römer - Nabel der Welt
Auf einer Fläche von wenigen Quadratmetern wurde entschieden,
was überall in einem Weltreich galt. Auf dem Forum, im Herzen
der Stadt, kreuzten sich die wichtigsten Straßen, pulsierte
das Leben: Der Ort war Marktstätte und Treffpunkt der
Huren,
hier befanden sich die Rednerbühne, die Senatsgebäude
und zahlreiche Tempel. Die Prozesse, die hier geführt wurden,
prägen noch die moderne Rechtsprechung. Anhand von Episoden
aus der Geschichte Roms werden die alten Stätten wiederbelebt:
Cicero
kämpft auf der Rostra um den Erhalt der Republik,
Caesar wird am Eingang des Senatsgebäudes niedergestreckt.
Archäologische Beschreibungen des Forums und seiner
Gebäude gibt es viele; Theodor Kissel erweckt das Areal zu
neuem Leben. (Artemis & Winkler)
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