Joachim Köhler: "Der Letzte der Titanen"
Richard Wagners Leben und Werk
Der Umstand, dass Joachim Köhler 1997 ein Buch mit dem Titel
"Wagners Hitler. Der Prophet und sein Vollstrecker" geschrieben hat, darf keine
falschen Befürchtungen und Vorurteile für das nunmehrige Wagnerbuch des Autors
wecken, etwa es stehe eine nicht-bundesdeutsche Leser eher langweilende masochistische
Pflichtübung an schuldeinsichtiger
Vergangenheitsdurchleuchtung bevor - "Der Letzte der Titanen" ist ein schlicht als großartig zu bezeichnendes
Werk.
Joachim Köhler kann damit für sich in Anspruch nehmen, das bisher wohl scharfsinnigste
Buch über Richard Wagner geschrieben zu haben. Am erstaunlichsten dabei ist, dass
es ihm trotz scheinbar alles erschöpfender Literaturfülle gelungen ist, einen
erfrischenden Neuzugang zu Leben und (vor allem: philosophischem) Werk zu finden,
der bisherige Forschungsergebnisse kompetent in Frage stellt. Egal, ob zu Kindheit,
zu den frühen, wilden Dresdner Jahren, zur Blütezeit, den Jahren des "Rings" und
"Tristan" also, oder zur Bayreuther Spätzeit, egal ob zur Revolution von 1849,
zur Nietzsche-Episode, ob zum Verhältnis zu seinem Förderer und späteren Schwiegervater
Liszt - stets gelingt es Köhler, den Leser mit einer neuen Sichtweise zu überraschen,
die durch vor allem eines besticht: Intelligenz, sowohl was philosophische Tiefgründigkeit,
als auch "gesunden Hausverstand" betrifft. Genau diese Mischung ist es, die das
Buch auszeichnet. Der gnadenlos analytische Scharfblick, der durchaus keine philosophischen
Abgründe scheut, verlässt dennoch nie den Boden der Realität, lässt stets "die
Kirche im Dorf".
Die Person Wagners gelangt dadurch trotz - oder vielmehr gerade
in - ihrer Vielschichtigkeit, ja Widersprüchlichkeit zu einer bisher noch in keiner
Darstellung erreichten Stringenz. Dieselbe Stringenz erreicht auch übrigens Köhlers
Darstellung von Wagners Hauptwerk: In der über hundert Seiten langen Nacherzählung
des "Rings" in Köhlers Worten, von der man guten Gewissens behaupten kann: Klügeres
wurde zu diesem Thema bisher niemals gesagt, liegt zweifellos einer der Höhepunkte
des Buches. Hier sei ein anderes, kleineres Beispiel für den Köhler'schen Scharfblick
genannt: Der Schlusssatz der "Meistersinger", jener Satz also, wonach selbst dann,
wenn das Heilige Römische Reich
in welschem Dunst zerginge, immer noch die heil'ge
deutsche Kunst weiterleben würde, wurde von den bisherigen Autoren bloß hinsichtlich
des nationalistischen Gehalts untersucht, das heißt beanstandet oder - als entsprechende
Reaktion - verteidigt, Letzteres wohl zurecht, denn was ist so verwerflich an
der Aussage, dass die deutsche Kunst die Wirrnisse deutscher Politik überleben
werde - schon Wagners Werk, insbesondere die Meistersingeroper ist Beispiel dafür
- jener Satz also, wirft für Köhler eine ganz andere Frage auf, nämlich welche
Kunst denn hier eigentlich gemeint sei: "Die Vereinigung von Parnass und Paradies,
die Walther in seiner
Vision erschaut hatte, oder das Regelwerk
der deutschen Meister, deren Lobpreis Sachs gerade sang?" - Eher dem Zusammenhang
nach doch zweitere! Damit steht dieser Schluss in Widerspruch zur bisherigen Aussage
dieser Oper, die eine gelungene und geistvolle Parodie versteinerten Regelwerks,
das Anspruch auf Künstlertum sich anmaßt, darstellt. Die nationale Überhöhung
des Schlusses ist also so platt wie jeglicher Nationalismus selbst. (Unberücksichtigt
bleibt indessen, wie über weite Strecken des Buches, was ihm jedoch gerade dadurch
nicht zum Nachteil gerät, denn partielle Ausführlichkeit ist genereller Oberflächlichkeit
vorzuziehen, die musikalische Seite: Der finale Preisgesang ist wohl durch das
musikalische Material determiniert, das in den zentralen C-Dur-Themen und Motiven
Größe und Monumentalität impliziert.)
Was sind nun die neuen köhler'schen Ansätze im Wesentlichen?
Was Wagners Kindheit
betrifft, wird das Verhältnis zu seinem (Stief-?)Vater Geyer untersucht, das laut
Autor sich weit komplikationsreicher als bisher angenommen gestaltete. Köhler
meint nun, dass Geyer in Wagners Unterbewusstsein als eine Art Prototyp des "ewigen
Widersachers Ahasver"
verblieb, somit "zur wohl einflussreichsten Person in Richard Wagners Leben" wurde,
und bereitet diese These schlüssig auf. Als meines Wissens erster Autor stellt
Köhler überdies die charakterliche Integrität Geyers in Frage. Völlig zurecht
formuliert er über den langjährigen Freund und Partner des (strittigen) leiblichen
Vaters, Friedrich Wagner: "Wer mochte ausschließen, dass der Schauspieler Geyer,
der nach Friedrichs Tod so selbstverständlich als Familienvater aufgetreten war,
diese Rolle nicht schon vorher gespielt hatte? Und welch vernichtendes Urteil
wäre damit über seinen Charakter gesprochen."
Faszinierend ist Köhlers Bericht über Wagners (erstaunlicherweise
auch von den meisten Autoren, egal ob übel- oder wohlwollend, heruntergespielte)
Rolle beim Dresdner Aufstand. Zentrale Bedeutung misst Köhler dem Einfluss Mathilde
Wesendoncks zu. Ganz neu gedeutet wird Wagners Verhältnis zum
Bayernkönig Ludwig
II., nämlich als durchaus entwürdigende Vereinnahmung des reifen Meisters durch
einen noch infantilen Jüngling. Als zwiespältig stellt Köhler den vielgepriesenen
Charakter Franz Liszts dar, der sich in Wagners
letzter Zeit zu einer Art dämonischem
Quälgeist, überdies nach der Pfeife seiner Tochter Cosima tanzend, entwickelte.
Welch pathetisch-hysterischer Schwulst wurde schon über das Verhältnis zwischen
Wagner und
Friedrich
Nietzsche geschrieben! Köhler schildert es überzeugend sachlich als
das, was es war: Als ein von Frau Cosima inszeniertes Kasperltheater, als Farce,
in der beide großen Männer von einer ruhmsüchtigen Frau für deren Zwecke instrumentalisiert
wurden. Überhaupt decouvriert Köhler die schon bemitleidenswerte Lächerlichkeit,
zurecht als die Lebenstragödie des späten Wagners dargestellt, die Wagner
durch die Inbesitznahme seiner Persönlichkeit durch
Cosima
erfuhr, einer sexuell reizlosen, despotischen, dünkelhaften, bigotten, trotz
aller Geschäftstüchtigkeit (welche den alten Bohemien Wagner wiederum abstoßen
musste) im Grunde dummen Frau, welche zweifellos für den Verfall von Niveau
und Moral seiner späten Schriften (überdies sein gesamtes Lebenswerk über Gebühr
in Verruf bringend) und darüber hinaus - was Köhler meines Erachtens als Erster
aufzeigt - für das schöpferische Versiegen (sein einziges Alterswerk, der "Parsifal"
wurde durch eine andere Frau inspiriert!) ursächlich war. Diese Inbesitznahme
erscheint Köhler als Vergewaltigung einer faszinierenden und bis dahin gar nicht
so unliebenswerten Persönlichkeit und war auch letztendlich für den rapiden
gesundheitlichen Verfall verantwortlich. Das Unternehmen "Bayreuth", eine der
relativ flüchtigen und wie stets leicht verrückten Ideen Wagners, an der er
auch bald sein Interesse verlor und in Hinblick auf Neuzuschaffendes auch verlieren
musste, war im Wesentlichen Cosimas Werk. "Was 'Richard Wagner' war, bestimmte
hinfort sie".
Diese Sichtweise ermöglicht es
Köhler, dem späten Wagner gegenüber überraschend nachsichtige, ja mildherzige
Standpunkte einzunehmen, etwa wenn er im Zusammenhang mit seinem in den Spätjahren
überbordenden Antisemitismus schreibt: "Vielleicht wäre einem Wagner, der sich
nicht in Cosimas Spiegel wieder erkannt hätte, die Lächerlichkeit seines Kreuzzuges
von selbst aufgegangen. Doch hatte er gerade in diesem heiklen Punkt, der die
meisten Freunde von ihm entfremdete, eine verschworene Parteigängerin gefunden.
... Wagners Schwachstelle erhielt durch sie die höheren Weihen, der Stammtisch
wurde zum Hochaltar stilisiert. ... Dank Cosima avancierte Wagners Kinderangst
zum Hauptdogma des Bayreuther Glaubens."
Keine Abrechnung also, sondern tatsächlich, wie der Umschlagtext preist, "ein spannender Rechenschaftsbericht
über Wagners rätselhaftes Leben und die Abgründe der Genialität." Wobei es für
Köhlers Überzeugungskraft spricht, dass man sich immer wieder fragt, warum man
auf dieses Buch warten musste, um zu den von Köhler vertretenen Ansichten zu kommen,
die im Nachhinein nicht nur als höchst plausibel, sondern oft sogar als naheliegend
erscheinen.
(Franz Lechner; 05/2002)
Joachim Köhler: "Der Letzte der Titanen. Richard Wagners Leben und Werk"
Claassen, 2001. 869 Seiten.
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Walter Hansen: "Richard Wagner"
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Martin Geck:
"Richard Wagner. Biografie"
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Geck hat eine grundlegend neue und fesselnde Biografie eines der
bedeutendsten und zugleich umstrittensten Komponisten der letzten Jahrhunderte
geschrieben.
Bei Richard Wagner geht es immer ums Ganze. Nicht nur um das Leben, auch um
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seine Musik durch die wundersame Fähigkeit, uns mit dem Augenblick zu
versöhnen.
Martin Geck will mit diesem Buch nicht nur Wagner und seiner Musik auf die
Spur kommen, sondern auch uns selbst und unserer Zeit. Indem er wichtige
musikwissenschaftliche, philosophische und lebensgeschichtliche Fragen an
Wagners Leben und Werk richtet, schlägt er eine Brücke zwischen einstigen und
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wir durch seine Opern und musikalischen Dramen in uns auf? Wer Richard Wagner
und seine Musik verstehen will, muss dieses Buch zur Hand nehmen. (Siedler)
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Kerstin Decker: "Nietzsche und Wagner. Geschichte einer Hassliebe"
Beide hielten sich für Genies, beide wollten Großes schaffen. Der Eine hat die
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fortwirkend bis heute. Als sie sich 1868 erstmals trafen, begann eine geradezu
symbiotische Beziehung, bis die innige Zuneigung in unerbittliche Feindschaft
umschlug. Diesem tragikomischen Kapitel im Leben Richard Wagners und Friedrich
Nietzsches widmet die erfolgreiche Biografin Kerstin Decker ihr Buch.
Mit leichter Feder beschreibt Decker, wie der bereits zu Ruhm gekommene
Großkomponist sich inmitten einer Lebenskrise mit dem dreißig Jahre Jüngeren
verbündet; wie der angehende Philosophieprofessor schwärmerisch zum
Propagandisten der Kunstbestrebungen, aber auch zum intimsten Kenner der Musik
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besiegelt durch Indiskretionen des Komponisten, die für Nietzsche eine
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am Rande des Größenwahns,
deren Männerfreund- und -feindschaft Kerstin Decker auf das Unterhaltsamste
porträtiert. (Propyläen)
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