Hans Blumenberg: "Der Mann vom Mond"

Essays und Vorträge über Ernst Jünger
Herausgegeben von Alexander Schmitz und Marcel Lepper


Blumenberg über den "Jahrhundertmann"

Hans Blumenberg (1920-1996) war Professor der Philosophie und lehrte an der Universität zu Münster. Neben der Philosophie galt sein Interesse wohl vornehmlich der Literatur, zu welchem Fachgebiet er zahlreiche Texte publizierte oder auch mündliche Vorträge gehalten hat. Unter anderem zu Autoren wie Goethe, Fontane, Hebbel, Schnitzler, Thomas Mann und auch zu dem vielfach umstrittenen Ernst Jünger. Die im vorliegenden Band enthaltenen Texte stammen aus den Jahren 1949-1995, decken also einen breiten Zeitraum ab. Und viele dieser Arbeiten sind hier zum ersten Mal veröffentlicht.

Der von Alexander Schmitz und Marcel Lepper herausgegebene Band "Mann vom Mond", mit Texten aus dem Nachlass Hans Blumenbergs ist also ganz dem Schriftsteller Ernst Jünger gewidmet. Es ist nicht in erster Linie ein Buch biografischen Inhalts, denn die Texte weisen in der Tat nur ganz wenige biografische Züge auf. Es ging Blumenberg und den Herausgebern nicht darum, ein Porträt Jüngers zu entwerfen, denn wer vermöchte auch den Rahmen abzustecken, in den sich das facettenreiche, zerrissene Bild Ernst Jüngers problemlos fügen ließe? Es handelt sich bei Blumenbergs Texten über Ernst Jünger vielmehr um meist relativ kurze Essays, die für diverse Zeitungen vorgesehen oder als Vorträge konzipiert waren. Sie stellen ein abwechslungsreiches, nahrhaftes, jedoch nicht immer leicht zu konsumierendes Lesefutter dar, das zu verdauen uns die ausführlichen Anmerkungen der Herausgeber behilflich sind.

Hans Blumenberg hat Jüngers zu Papier gebrachte Gedanken bis in tiefste psychologische Schichten aufgefächert, ist ihnen bis in weitverzweigte philosophische Verästelungen nachgestiegen. Und souverän balanciert er dabei auf dem Hochseil sowohl gedanklicher als auch sprachlicher Perfektion. Sinn austüftelnde Schwerarbeit hat mitunter aber auch der Leser von Blumenbergs Ausführungen über Ernst Jünger zu leisten, um nämlich dem Autor bei seinen Gedankengängen folgen zu können.

Blumenbergs Haltung Ernst Jünger gegenüber ist weder die eines verherrlichenden Hurra-Rufers, noch diejenige des gnadenlosen Beckmessers. Die Versöhnung der Gegensätze, von denen die Jünger-Rezeption bestimmt ist, mag und kann er aber auch nicht leisten. Bisweilen erscheinen mir seine Texte sogar ein wenig anmaßend respektlos gegenüber dem "Jahrhundertmann" Ernst Jünger, der gegen Ende seines Lebens im gesegneten Alter von über hundert Jahren ein beinahe schon museales, wenn nicht gar fossiles Dasein fristete. Jüngers Roman "Heliopolis" zum Beispiel betrachtet Blumenberg "als in einer geradezu peinlichen Weise misslungen". Auch mangelnde Fantasie unterstellt er ihm. "entgegen seinem Selbstverständnis ist Jünger ein fantasiearmer Autor." Dagegen steht die Aussage Thomas Manns vom Oktober 1945, wo er Ernst Jünger als ein "außergewöhnliches literarisches Talent" preist, als "das weitaus bedeutendste im heutigen Deutschland". Blumenberg billigt Jünger immerhin noch zu, der bedeutendste deutsche Tagebuchschreiber des 20. Jahrhunderts gewesen zu sein.
Von herausragender Bedeutung aber war für Blumenberg wohl Jüngers lebenslange Auseinandersetzung mit dem Problem des Nihilismus. Diese kontinuierliche Auseinandersetzung mit dem Nihilismus macht Jüngers Werk für Hans Blumenberg einzigartig. Auch wenn er ansonsten dem literarischen Rang des umstrittenen und kontrovers diskutierten Autors keinen allzu hohen Stellenwert beizumessen schien.

Der Titel der vorliegenden Textsammlung "Der Mann vom Mond" bezieht sich einmal auf eine fiktive Gestalt aus Jüngers Buch "Stahlgewitter", wo er sich gern einen Mann vom Mond als unsichtbaren Begleiter wünschte, um mit ihm dann einen nächtlichen Marsch durch das vom Krieg verheerte Land zu unternehmen. Zum anderen äußerte Jünger einmal in einem Radio-Interview: "Ich habe versucht, unsere Wirklichkeit so zu schildern, als ob sie einem Menschen vom Monde, der jemals weder ein Automobil gesehen noch eine Seite der modernen Literatur gelesen hat, zu erklären sei ..."

(Werner Fletcher; 10/2007)


Hans Blumenberg: "Der Mann vom Mond. Essays und Vorträge über Ernst Jünger"
Herausgegeben und mit einem Nachwort von Alexander Schmitz und Marcel Lepper.
Suhrkamp, 2007. 186 Seiten.
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