Denis Johnson: "Jesus' Sohn"
Erzählungen
Schwarzmaler
als Beruf
Ähnlich wie der jüngst von der Deutschen
Verlags Anstalt wiederentdeckte Richard
Yates oder David Means zählt der us-amerikanische
Schriftsteller Denis Johnson zu jenen Literaten, die andere Literaten
inspirieren, neue Wege einschlagen oder Impulse setzen. Selten haben
diese auch kommerziellen Erfolg. Doch Johnson nimmt auch hier eine
Ausnahmestellung ein, denn die Einnahmen aus dem Verkauf seiner
Bücher und dem Kassenergebnis der darauf basierenden Kinofilme
brachten ihm, neben Anerkennung und Ruhm, die finanzielle
Unabhängigkeit.
Johnsons Protagonisten requirieren sich aus den
Ausgestoßenen, der Grauzone menschlicher Existenzen. Darunter
ist niemand, den man gerne als Nachbarn hätte, sondern man
würde bei zufälligen Begegnungen auf dunkler
Straße möglichst schnell und in der Hoffnung auf
Unbehelligung vorbeieilen. Dass auch Johnson bereits als Jugendlicher
"vom Rechten Pfad der Tugend" abkam, in die Alkohol-, Nikotin- und
Drogenabhängigkeit abrutschte, mag allenfalls als
Stichwortgeber dienen und erklärt keinesfalls die literarische
Kraft und das poetische Potenzial, die in seinen Geschichten und
Figuren stecken.
"Black is beautiful"
Es gibt Passagen in den Kurzgeschichten, die den Leser
fassungslos vor einem Stück Papier, bedruckt mit ein paar
schwarzen Zeichen, zurücklassen; fassungslos auch und gerade
wegen der schriftstellerischen Brillanz; aber genauso wegen der
unausgeschriebenen Dinge; Dinge, die einem abgehärtetem TV-
und Massenmedienkonsumenten zwangsläufig einfallen,
explosionsartig entstehen Bilder, plastisch, detailliert, grauenhaft.
Beispielsweise ziehen in der Kurzgeschichte "Zwei Männer" drei
Freunde nachts durch eine unbekannte Stadt; als sie einen Drogendealer
sehen, der sie ihrer Meinung nach betrogen hat, liefern sie sich mit
diesem eine Verfolgungsjagd bis zu dessen Haus. Die Drei
stürmen hinein, finden jedoch nur eine junge Frau, die sie mit
Waffengewalt auf den Boden zwingen. Der Dealer kann türmen.
Die Schlusssätze lauten:
"Glaubt mir, er ist nicht hier." sagte sie. Das war mir jetzt auch
klar: "Egal", sagte ich. "Das Ganze wird dir noch leid tun." Wie bei
einem klassischen Film noir erfolgt hier der Schnitt - brillant
gnadenlos, atemberaubend krass.
Ähnlich wie bei David Means spielen Spiritualismus und
Religion eine Rolle in Johnsons Geschichten, allerdings weniger als
mystische Komponenten, sondern eher als selbstverständliche
Lebensbestandteile und/oder philosophische Einstellungen. Beides hilft
niemandem aus seiner persönlichen Misere, verurteilt
aber auch keinen zum Fegefeuer oder zu ewiger Verdammnis.
Gesellschaftlich anerkannte Normen sind dem persönlichen
Nutzen untergeordnet. Doch Johnsons Protagonisten sind nicht
böse oder haben sich vom Guten abgewandt, sondern versuchen
nur, ihr persönliches kleines Quäntchen vom "American
Way of Life" abzubekommen. In diesem Bestreben bleiben sie nach
bürgerlichen Maßstäben auf der Strecke;
für sich genommen jedoch folgt auf das Straucheln immer wieder
ein Aufrichten, kraftvoll, trotzig. Der Untergang, Aufgeben, mag
für Andere eine Alternative sein. Nicht jedoch für
die Figuren in Johnsons Universum. Hoffnungslos ist nur der ohne
Glauben - woran auch immer. Als geborener Optimist nimmt man diese
Quintessenz aus "Jesus' Sohn" mit. Als bekennender Pessimist ...
Die im Rowohlt Verlag erschienene Ausgabe ist eine
Neuübersetzung von Alexander Fest. Diesem gelingt es wieder
einmal, jede noch so kleine Feinheit auf eine herrlich anmutige Art ins
Deutsche zu übertragen, so dass die Übersetzung in
keiner Weise hinter dem Original zurückbleibt.
(Wolfgang Haan; 06/2006)
Denis
Johnson: "Jesus' Sohn"
Deutsch von Alexander Fest.
Rowohlt, 2006. 176 Seiten.
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Denis
Johnson wurde 1949 in München als Sohn eines amerikanischen
Offiziers geboren, er verbrachte seine Kindheit in Tokio und auf den
Philippinen. 1969 erschien sein erster Gedichtband. Heute lebt Johnson
in Idaho und gilt als einer der wichtigsten Autoren der
us-amerikanischen Gegenwartsliteratur.
Weitere Bücher des Autors (Auswahl):
"In der Hölle. Blicke in den Abgrund der Welt"
Denis Johnson beschreibt in seinem unverwechselbar klaren, rauen und
poetischen Stil drei Reisen in das von Armut und Bürgerkrieg
verwüstete Afrika. In großer Schonungslosigkeit und
Radikalität stellt er die verzweifelte Grausamkeit der
Menschen neben die
schillernde Schönheit des Kontinents.
(Tropen)
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"Engel"
Auf der Flucht vor ihrem untreuen Ehemann lernt Jamie an Bord eines
Busses den charmanten Ganoven Bill kennen, und gemeinsam begeben sie
sich auf eine ziellose Reise entlang der Abgründe von Elend
und Gewalt. Denis Johnsons mitreißender Roman wurde in
Amerika als Meisterwerk gefeiert und zählt schon heute zu den
Klassikern der us-amerikanischen Literatur. (Rowohlt)
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"Fiskadoro"
Im 21. Jahrhundert, zwei Generationen nach einem Atomkrieg, an den sich
nur die Ältesten erinnern, existieren auf den Florida Keys die
letzten Reste der Zivilisation, am Leben erhalten durch
rührige Menschen wie Mr. Cheong, früher Manager des
Miami-Sinfonieorchesters. Parallel sind primitive Gesellschaften
entstanden, etwa die der "Sumpfleute", die der Israeliten oder die der
Fischer. Zu ihnen gehört Fiskadoro, ein der Sprache kaum
mächtiger Junge, der durch einen archaischen Initiationsritus
seine Persönlichkeit eingebüßt hat.
(Rowohlt)
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