Tahar Ben Jelloun: "Yemma - Meine Mutter, mein Kind"
Lesung. Sprecher: Bernt Hahn
(Hörbuchrezension)
Hommage
an die Mutter
Tahar Ben Jelloun ist einer der erfolgreichsten marokkanischen Autoren
und dafür bekannt, Kritik an staatlicher und
religiöser Repression zu üben. In "Yemma - Meine
Mutter, mein Kind" erzählt er jedoch eine sehr
persönliche Geschichte: die Geschichte seiner eigenen Mutter.
Die Mutter ist im Alter an Alzheimer erkrankt, und Tahar Ben Jelloun
war Zeuge, wie die Krankheit seiner Mutter immer weiter fortschritt. In
diesem Buch hielt er die Veränderungen fest, die vor sich
gingen, sowie die Erinnerungen, die er aus Begegnungen und Erlebnissen
mit der erkrankten Mutter mitgenommen hat.
Zunächst weiß die Mutter das Eine oder Andere nicht
mehr, dann verwechselt sie etwas, und im Großen und Ganzen
ist dies alles schwer abzugrenzen von der bekannten
Persönlichkeit der Mutter, die sich manche Dinge ohnehin noch
nie gut hatte merken können. Doch die Krankheit schreitet
voran, die Mutter erkennt ihre Kinder nicht, verwechselt ihre
Söhne mit ihren verstorbenen Ehemännern, glaubt einen
dieser Ehemänner zu Besuch oder glaubt nach einem Umzug von
einem Zimmer in ein anderes wegen der veränderten Aussicht, in
einer ganz anderen Stadt zu sein. Die Erkrankung der Mutter stellt eine
Zerreißprobe für die Familie dar, nicht jeder kann
gleich gut mit dem geistigen Verfall der Mutter umgehen, nimmt
Verwechslungen persönlich, sieht sich vor allem aber
ohnmächtig einer Entwicklung gegenüber, die nicht
aufzuhalten ist.
Beim Hören des Hörbuches, das im Oktober 2007 bei
"Der Audio Verlag" mit drei CDs Umfang und einer Gesamtlaufzeit von
knapp vier Stunden erschien, gehen die Erlebnisse des Autors,
gesprochen von Bernt Hahn, jedoch weiter, als sich nur mit der
Krankheit zu befassen. Tahar Ben Jelloun erinnert sich an das Leben der
Mutter und zeichnet ihren Lebensweg nach, basierend auf dem, was er
selbst mitbekommen hat, doch auch auf dem, was die Mutter
erzählte, die Großmutter und andere Leute.
Voller Respekt zeichnet der Autor ein Bild von seiner Mutter, das
versucht, sie als Ganzes zu erfassen, nicht nur als "Alzheimer-Kranke".
Bernt Hahn liest das Buch authentisch vor, so dass man glauben
könnte, der Autor selbst lese es. An keiner Stelle kitschig,
aber auch an keiner allzu sachlich, liest Hahn die Geschichte in
angenehmem Tempo.
"Yemma - Meine Mutter, mein Kind" ist ein wirklich bedeutungsvolles
Buch und auch Hörbuch. Keinesfalls gehört der Titel
in die Reihe biografisch angehauchter Langeweile, sondern stellt einen
an Alzheimer erkrankten Menschen mit allen Höhen und Tiefen,
vor allem jedoch als ganzen, lebenserfahrenen Menschen mit viel
Persönlichkeit dar. Zwischen den Zeilen ist die Wichtigkeit
erkennbar, mit der an Alzheimer Erkrankte - und auch ganz generell
verwirrte Menschen - als Persönlichkeiten mit einer ganz
eigenen Biografie wahrgenommen werden müssen. Jelloun zeigt
auf, wie leicht sich zunächst sinnlose
Äußerungen biografischen Stationen zuordnen lassen,
zeigt auf, dass jemand, der in irgendeiner Form dement ist, durchaus
ernst zu nehmen ist. Im medizinischen und pflegerischen Bereich ist
dies längst bekannt und wird im geriatrischen Bereich auch
zunehmend gelebt, doch bietet dieser Titel auch eine Stütze
für die Angehörigen, die ständig zwischen
Schuld und Ärger schweben - wie auch die Geschwister Tahar Ben
Jellouns.
Letzteres ist übrigens der einzige zu findende Kritikpunkt an
diesem Werk: der Autor stellt sich trotz seiner Trauer zumeist als der
Verstehende der
Familie
heraus, während seine Geschwister deutlich
mehr Probleme mit der Krankheitsentwicklung der Mutter zu haben
scheinen. Da Tahar Ben Jelloun dieses wundervolle Zeugnis seiner Mutter
jedoch geschrieben hat, möge man ihm das verzeihen.
(Tanja Thome; 12/2007)
Tahar
Ben Jelloun: "Yemma - Meine Mutter, mein Kind"
Lesung. Sprecher: Bernt Hahn.
(Originaltitel "Yemma")
Der Audio Verlag, 2007. 3 CDs; Laufzeit ca. 240 Minuten.
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Buch:
Aus dem Französischen von Christiane Kayser.
Berlin Verlag, 2007. 208 Seiten.
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Tahar
Ben Jelloun wurde am 1.
Dezember 1944 in Fès
(Marokko) geboren. Er lebt
in
Paris.
Tahar Ben Jelloun gilt als
bedeutendster Vertreter der französischen Literatur des
Maghreb. 1987 wurde er
für seinen Roman "Die Nacht der Unschuld" mit dem "Prix
Goncourt"
ausgezeichnet, am 18. Juni 2004 erhielt er für den Roman "Das
Schweigen
des Lichts" den "IMPAC-Literaturpreis".
Lien zur Netzseite des Autors:
https://www.taharbenjelloun.org/.