Verena Mayer, Roland Koberg: "Elfriede Jelinek"

Ein Porträt


Mit der Verleihung des Literaturnobelpreises 2004 "für den musikalischen Fluss von Stimmen und Gegenstimmen in Romanen und Dramen, die mit einzigartiger sprachlicher Leidenschaft die Absurdität und zwingende Macht der sozialen Klischees enthüllen" (Jury-Begründung) hätte Jelinek eigentlich Aufnahme finden sollen im Olymp der Auserwählten. Ihre spontanen Verlautbarungen waren, dass sie "mehr Verzweiflung als Freude" empfinde, sie habe "böse Ahnungen", der Preis könne zur "Belastung" werden. Das Feuilleton sah mit ihr die Moralistin gewürdigt, die Provokateurin, die Sprachkünstlerin, die Antifaschistin, die politische Mahnerin. Friederike Mayröcker und Ilse Aichinger neideten ihr offensichtlich den Preis, Peter Handke gratulierte artig. Die "Bild-Zeitung" riet ihr, die Million Preisgeld für einen Therapeuten zu verwenden - im "Spiegel" wurde sie noch ein Jahr später anlässlich Harold Pinters Ehrung als "Vorjahres-Trutsche" geschmäht.

Etwa ein Jahr nach Jelineks Nobel-Ehrung trat das Jury-Mitglied Knut Ahnlund aus Protest zurück, u.a. weil er nicht erkennen konnte, dass Jelinek das "Vorzüglichste in idealistischer Richtung auf dem Gebiet der Literatur geleistet" habe, wie Alfred Nobel das in seinem Testament gefordert hatte. Ahnlund charakterisiert Jelineks Werk als "monomanisch ... monothematisch ... lustlose Gewaltpornographie." Abgesehen davon, dass Ahnlund behauptet, er habe als einziges der Jury-Mitglieder Jelineks Bücher gelesen (und auch das erst im Nachhinein), weist etwa Alexandra Pontzen alle Vorwürfe zurück, da er in seinem "Vertrauen auf den simplen Abbildungscharakter einer traditionellen Mimesis" die "avancierten literarästhetischen Fiktionalitätsstörungen und antimimetischen Verfahren" bei Jelinek verkannt habe (vgl. Literaturkritik.de, Nr. 11/2005). Übrigens meinte Marcel Reich-Ranicki dahingehend, "dass das Schreiben nicht gerade zu den starken Seiten der Elfriede Jelinek gehört" - und dass die Lektüre einiger ihrer Bücher "mein Wohlbefinden gefährdete, zumal meine Magennerven auf unangenehme Weise reizte" (vgl. FAZ 16.10.2005).

Das vorliegende Buch kann in der Umgebung solch abträglicher Schmähung durchaus als Ehrenrettung einer Autorin verstanden werden, die von Jugend an mit psychischen Problemen zu kämpfen hatte und auch etwa wegen ihrer schon früh einsetzenden Angstzustände nicht nach Stockholm zur Preisverleihung reisen konnte. (Ihr Vater starb übrigens 1969 in einer psychiatrischen Klinik). Jelinek (Jg. 1946) erlernte mehrere Instrumente, studierte Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte, begann in den 60er Jahren zu schreiben, engagierte sich in der Studentenbewegung, war 17 Jahre Mitglied der KPÖ und ist seit 1974 verheiratet. Mayer/Koberg sehen als das "große Thema des Werks, die familiären Strukturen, die sich als Autoritäten und Abhängigkeitsverhältnisse darstellen, als Revolten und als Demütigungsrituale." All den Verworrenheiten gehen die beiden Autoren recht einfühlsam nach, es ist, als ob sie mit diesem Porträt eine Schonzeit für Jelinek ausrufen möchten. Ihr umfangreiches Werk wird in Grundzügen vorgestellt: "Ihre Werke sind Auseinandersetzungen mit Genres, die sie sich zugleich aneignete und parodierte" (vgl. Vorwort). Jelinek wird hier als Schriftstellerin gesehen, "die sich immer wieder neu erfunden hat" (ebd.).

Durch ihre Erfahrungen mit der Psychiatrie seit ihrer Kindheit hatte Jelinek sich angewöhnt, sich ständig selbst zu analysieren. Und sie verschrieb sich einer Ästhetik, "die sich dem, was sie abbildet, verweigert." Das neurotische Mutter-Tochter-Verhältnis wird erläutert, die vielfältigen literarischen Betätigungsfelder werden geduldig dargelegt. Jelinek entwickelte sich zur Feministin, die Beziehungen zwischen Mann und Frau beschrieb sie als sexuelle Abhängigkeit. Ihre Mutter, die Sexualität und Österreich sind wohl ihre (ambivalenten) Hauptthemen. In ihrem als "Anti-Porno" propagierten Roman "Lust" möchte Jelinek die Sprache als "Widerstand gegen alles Demütigende" einsetzen. Im Nachhinein hat Jelinek "Die Kinder der Toten" (1995) als ihr Hauptwerk bezeichnet - und sie wurde in den späten 1990er Jahren (auch durch ihren Widerstand gegen Haider) zur intellektuellen Gallionsfigur Österreichs. Die Aussage Jelineks: "Alle, die glauben, sie wüssten etwas über mich, wissen nichts" (abgedruckt auf der Rückseite) könnte zwar hoffnungslos stimmen - aber das vorliegende Buch legt Schicht um Schicht dieser komplizierten Persönlichkeit sowie ihres kontroversen Werks offen - es ist zu empfehlen.

(KS; 01/2006)


Verena Mayer, Roland Koberg: "Elfriede Jelinek"
Rowohlt, 2006. 303 Seiten.
ISBN 3-498-03529-0.
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Noch ein Buchtipp:

Evelyn Annuß: "Elfriede Jelinek - Theater des Nachlebens"

In der Frage nach der sprechenden Instanz gründet - bislang unbemerkt - die politische Sprengkraft von Jelineks Texten. Der vorliegende Band arbeitet diese erstmals anhand ihrer Theaterstücke heraus und liest sie als dekonstruktive Fortschrift der brechtschen Lehrstückversuche. An der Schnittstelle zwischen Rhetorik und Theaterwissenschaft werden die Auftrittsformen einer vermeintlich selbstbezüglichen Rede im Formzitat vom neuzeitlichen Drama bis zur allegorischen Tradition des barocken Trauerspiels untersucht. Die zu Unrecht vernachlässigten frühen Stücke dienen als Ausgangspunkt, um das Zitierverfahren im Spiel mit der Aufführungssituation neu zu bestimmen und auf die Aufgabe der auktorialen Rolle zu beziehen. Jelineks Texte fingieren, so die daraus gewonnene Einsicht, über die Reflexion der sprachlichen und szenischen Bedingungen von Rede den "Ausnahmezustand" personaler Souveränität; sie geben die sprechende Instanz im Anschluss an Benjamin als Figur zitathaften Nachlebens zu denken. (Wilhelm Fink Verlag)
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