Elfriede Jelinek: "Lust"
Elfriede Jelinek hat mit ihrem Ende der
1980er-Jahre im deutschsprachigen Raum erschienenen Roman "Lust" für enormes
Aufsehen gesorgt. Grund dafür ist der Sprachduktus, welchen sie gewählt hat.
Sie demonstriert eine entmenschlichte Sprache, die von Maschinen mit Vorliebe
ausgespien wird. Diese entseelten Blechdinger sind auch als "Männer" bekannt,
für die die Autorin wenig bis nichts übrig zu haben scheint.
Eine Frau lebt einzig und allein für einen Mann. Alles ist auf diesen Mann hin
bezogen. Er kontrolliert sie, erwartet von ihr, dass sie zur richtigen Zeit
am richtigen Ort ist. Sie soll ihm zu Diensten sein, wann er es will, und ihn
sexuell befriedigen, wenn er es ihr anordnet. Sie hat keinen Freiraum zu haben
und sollte auch keinen für sich beanspruchen. Der Direktor wiederholt mit ihr
das ewig gleiche Spiel, und die Frau lässt es sich gefallen, starrt in die Luft,
und ist jedes Mal froh, wenn die eheliche Pflicht getan ist. Ihr Mann greift
nur deswegen auf sie zurück, weil er in Zeiten von
AIDS
Angst davor hat, sich bei den Prostituierten anzustecken, die er sonst gerne
konsumiert hat.
Der Direktor ist nur die eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite wird
der Student Michael auftauchen, der das genaue Gegenteil von ihrem Mann sein
mag. Fesch, adrett - und ein bisschen scheint er sie auch zu lieben. Sie hat
genug von ihrem Mann, betrinkt sich hie und da, und flüchtet immer häufiger
vor der Grausamkeit einer erstarrten Ehe. Da kommt ihr der Student mehr als
recht, der sie als Frau ernst zu nehmen scheint. Was fast romantisch beginnt,
stellt sich aber umso rascher als Hölle dar, der sie eigentlich wieder entfliehen
müsste. Wie schon bei ihrem Ehemann hat sie zu lange nicht die Kraft, den Demütigungen
zu widerstehen, die ihr Michael zufügt. Er spielt seine Rolle anfangs famos,
um sie dann nach Strich und Faden zu degradieren, und ihre weibliche Identität
in Frage zu stellen.
Im Grunde genommen sind "der Direktor" und Michael vom gleichen Schlag. Männer,
die Frauen nur als Masturbationsstütze sehen, und sie über deren Gebrauchswert
definieren.
Die Hauptfigur Gerti ist ein Spielzeug und stellt sich immer wieder selbst in
Frage, weil sie diese Identifikationsgrundlage eigentlich nicht wahrhaben will.
Sie begehrt nicht auf, sondern ergibt sich einer Rolle, die auf Dauer nur mit
dem psychischen Tod enden kann.
Der Titel des Romans ist eine reine Provokation. Mit "Lust" haben die dargestellten
Szenen, die Gerti und ihre Peiniger in "Aktion" darstellen, überhaupt nichts
zu tun. Die Frau ist nur eine Randfigur, ein Püppchen, das für perverse Fantasien
entmenschlichter Fickmaschinen herhalten muss. Liebe ist nicht einmal eine Fußnote
wert.
Elfriede Jelinek ist mit diesem Buch etwas gelungen, was in der Romanlandschaft
erstaunlich sein mag: Die Sprache ist ein Spiegelbild der ekelhaften Minderwertigkeitskomplexkompensatoren.
Ja, diese Männer sind innerlich aufgefressen; unfähig, eine menschliche Regung
zu zeigen, und lassen diesen eklatanten Mangel an einer wehrlosen Frau aus,
die für diese "Aufgabe" gerade die "Richtige" zu sein scheint.
Dieses Buch ist aufrüttelnd und schrecklich zugleich. Es stellt jene Männer
dar, die leider weit häufiger existieren, als es so manche Frau zunächst glauben
mag, und ihre Umwelt quälen oder verunsichern, weil sie sich selbst nicht ertragen
können. Männer, die sich nur über Machtgefüge definieren können, und Frauen
"brauchen", denen sie jegliches Lustgefühl absprechen, und durch ihr selbstbezogenes
"Sexualverhalten" die Frigidität der Lustobjekte schließlich bestätigt sehen.
Pervers sind so manche Männer, die das Wort LIEBE nicht einmal buchstabieren können.
"Lust" ist eine Abrechnung mit einer Männerwelt, die zweifelsfrei existiert.
Elfriede Jelinek kennt diese Männer zur Genüge, und es ist ihr und den Frauen zu
wünschen, dass diese sexistischen Psychopathen schon bald in der absoluten Minderheit
sein mögen. Allein die Tatsache, dass Kinderpornografie eine unglaubliche Nachfrage
hat, belegt, dass Perversionen rund um uns herum existieren.
Frauenhandel
und Kinderprostitution sind zudem die viel zu breite Spitze eines Eisberges,
der bis tief in viele Familien hinabreicht.
Im Zeitalter des Feminismus kann diesem Wahnsinn nur mit Vertrauen und Liebe
entgegengesteuert werden. Die Männer haben es in der Hand, und es gibt auch
viele, die Lust nicht nur empfinden, sondern auch bereiten wollen. An diese
Männer glaubte die Autorin seinerzeit nicht. Aber es gibt sie. Davon können
wir überzeugt sein.
Elfriede Jelinek wurde am 20. Oktober 1946 in Mürzzuschlag/Steiermark geboren
und ist in Wien aufgewachsen. Sie studierte Theaterwissenschaft, Kunstgeschichte
und Musik.
Sie schrieb einige Romane, u.A. "Die
Klavierspielerin" (1983), "Die Liebhaberinnen" (1975), "Die Ausgesperrten"
(1980), "wir sind lockvögel baby!" (1970) Als Theaterstücke sind "Wolken.Heim."
(1990), "Ein Sportstück" (1998), "Macht
nichts. Eine kleine Trilogie des Todes" (1999) und "Bambiland" (2003)
hervorzuheben. 2004 wurde die Autorin - auch für sie selbst überraschend - mit
dem Literaturnobelpreis
"für ihren musikalischen Fluss von Stimmen und Gegenstimmen in Romanen und
Theaterstücken, die mit außergewöhnlichem sprachlichem Eifer die Absurdität
gesellschaftlicher Klischees und ihre unterjochende Kraft enthüllen" ausgezeichnet.
(Jürgen Heimlich)
Elfriede Jelinek:
"Lust"
Rowohlt.
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Ein weiteres Buch der Autorin:
"Rein Gold"
Ausgehend vom großen Dialog zwischen Göttervater
Wotan und seiner Lieblingstochter Brünnhilde im 3. Akt der Walküre, rollt
Elfriede Jelinek die Geschehnisse in
Richard Wagners monumentalem Ring-Zyklus
noch einmal neu auf und verlängert sie in unsere Gegenwart. Dreh- und Angelpunkt
ist die Bedeutung von Gold und Geld, nach denen alles drängt und die so gut wie
alle Handlungen vorantreiben. Ihre umfassende Wirkungsmacht reicht vom Kampf um
den Nibelungenschatz in mythologischer Vorzeit über
Karl Marx' Thesen in "Das
Kapital", das fast parallel zu Wagners "Ring" entstand, bis hin
zur heutigen
Bankenkrise. In einem weitverzweigten Gedankenstrom und zugleich stets nah an
Wagners Originaltext streift Jelinek in "Rein Gold" auch tagespolitische
Phänomene wie das fragwürdige Finanzgebaren von Bundespräsidenten oder die
brutalen Morde der Zwickauer Nazi-Terrorzelle, knüpft überraschende
Zusammenhänge und kehrt doch immer wieder zu ihrem Leitmotiv zurück: der Geburt
des Kapitalismus aus dem Geist eines Erlösungswahns. (Rowohlt)
Buch
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