"Die Drachenprinzessin"
densetsu und mukashi-banashi
14 der schönsten minwa aus der Region um Nagano
Bernd Schacht hat sich in japanischen
Archiven auf die Suche nach bislang verborgenen Perlen der
Volkserzählung begeben, und der vorliegende Band bietet reizvolle
Einblicke in mehr oder minder vergangene Zeiten und Welten.
Nach dem Vorwort, in dem Bernd Schacht kenntnisreich und detailfreudig
seine Auswahlprinzipien und die historischen Hintergründe seiner
Märchen- und Sagenauswahl erläutert, folgt der Schöpfungsmythos
"Der Drachenjunge", welcher die Entstehung der Matsumoto-Ebene
schildert: Demnach sei die Mutter des ausgestoßenen Knaben Kotaro einst
wegen eines aus Hunger begangenen Diebstahles in einen gewaltigen
Drachen verwandelt worden. Als Mutter und Sohn
endlich glücklich aufeinander treffen, beschließen sie etwas zu
unternehmen, damit niemand mehr
Hunger leiden muss, und so zerschmettert
der Drache eine Felswand, die den See umgibt, in dem er lebt. Der See
fließt ab, und eine fruchtbare Ebene entsteht.
"Der Teufel vom Arakura-Berg" erzählt die Geschichte der unglücklichen
Momiji, einer anmutigen, über die Maßen mit künstlerischer Begabung
gesegneten jungen Frau, deren Unglück darin besteht, dass der Kaiser
höchstpersönlich in unbändiger Leidenschaft zu ihr entbrennt. Momiji
erwidert die kaiserlichen Gefühle nicht sondern liebt einen Anderen; sie
wird daher vertrieben und des Landes verbannt. Als die Hungernde in
ihrer Verzweiflung ein übel schmeckendes Kraut verzehrt, verwandelt sich
die bislang Engelsgleiche in einen abscheulichen Teufel. Momiji findet
eine Gefährtin in Gestalt der Räuberin Oman, und gemeinsam verbreiten
die beiden Geschöpfe Angst und Schrecken, bis Momiji schließlich in
einem entsetzlichen Gemetzel mit den Schergen des Kaisers den Tod findet ...
Die wunderschöne "Geschichte vom armen Yoshimitsu" handelt von
spiritueller Treue, dem Kreislauf der Wiedergeburt, der Verbreitung des
Glaubens an den Buddha Amida und der Entstehung des Zenko-Tempels, in
"Der Bauer und der Fuchs" spielt ein schalkhafter Fuchs dem Bauern Yosaku einen üblen
Streich, indem er ihn behext.
Traumgestalten treiben ihr Unwesen mit einem Schlafenden in "Erlebnisse
eines Entenjägers", "Der Obasute-Berg" erzählt die Geschichte von einem
reuigen Fürst, der, geläutert
durch abgewendete Gefahr, das grausame Gesetz, demzufolge Menschen, die
älter als sechzig Jahre sind, auf dem Kamuriki-Berg ausgesetzt werden
müssen, abschafft.
"Taro der Faulpelz" erzählt die köstliche Geschichte von einem
unvorstellbar trägen jungen Mann - die
Bezeichnung "stinkfaul" darf hier getrost für bare Münze genommen werden
-, der mit einer Lüge dazu motiviert wird, sein Glück in der Fremde zu
versuchen und der, zur größten Überraschung seiner Dorfgenossen, später
als wohlhabender, ehrenhafter Würdenträger in seine Heimat zurückkehrt.
Weiters sind neben dem titelgebenden Märchen "Die Drachenprinzessin" auch "Die drei Amulette", "Die Fasanenfeder", "Die Burg auf dem Katsura-Berg", "Die Frau im weißen Gewand", "Der König der Füchse" und "Die Tiere des alten Shobee" enthalten, in denen es von Sagengestalten wimmelt: Die schöne Fürstentochter Kurohime wird von einem mächtigen Drachen in menschlicher Gestalt umworben, doch die Sturheit ihres Vaters stürzt das Fürstentum ins Verderben, eine Hexe will sich den Schüler eines Meisters mit Haut und Haaren einverleiben und kann nur mit einer List besiegt werden, eine geheimnisvolle Schöne rettet die Bewohner eines Dorfes, indem sie die einzige Waffe, mit welcher der grauenerregende Riese Hachimen Daio getötet werden kann, findet. Ein Abt liefert einen stolzen Samurai samt Gefolge einem angreifenden Fürsten aus, woraufhin es verkohlte Leichen regnet, eine Erscheinung warnt Holzfäller vor dem, durch das Abholzen des Waldes verursachten, nahenden Unheil, ein "Drache auf Schienen" vernichtet die letzten in der Kunst der Magie bewanderten Füchse, und der alte Shobee erhält als Dank für seine gute Pflege von einer Schlange einen Stein, der Speis' und Trank herbeizaubern kann.
Ein besinnliches Lesevergnügen, illustriert mit traditionellen japanischen Holzschnitten.
(Felix; 10/2002)
"Die Drachenprinzessin"
Herausgegeben und aus dem Japanischen
übersetzt von Bernd Schacht.
Artemis & Winkler, 2002. 160 Seiten, mit zahlreichen
Illustrationen.
ISBN 3-538-06951-4.
ca. EUR 16,-.
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