Rachel Carson: "Der stumme Frühling"
Für die meisten Menschen, die
sich mit der Geschichte des Umweltschutzes beschäftigen, ist dies das Buch, das
diesen Begriff in der breiten Öffentlichkeit überhaupt erst publik gemacht
hat. Mit ihren Werken hat die Biologin Rachel Carson erstmals in klar verständlicher
Form darauf hingewiesen, wie wir dabei waren, durch unsere Form der
Bewirtschaftung der Natur zu Beginn der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts unsere
eigenen Lebensgrundlagen zu zerstören.
Dabei konzentriert sich die Autorin auf den Bereich der Schädlingsbekämpfung
durch den Einsatz chemischer Mittel - wobei besonders DDT und seine Varianten im
Mittelpunkt stehen. Minutiös weist sie nach, dass der Einsatz dieser Gifte -
meist durch Versprühen von Flugzeugen - in vielerlei Hinsicht nicht ihr erklärtes
Ziel erreichen. Es geht zunächst um die Begründungen, warum überhaupt gesprüht
wird und weshalb die dafür gefundenen Gründe nicht wirklich nachvollziehbar
bzw. gelogen sind.
Im nächsten Abschnitt wird auf die Geschichte und Entwicklung der chemischen
Insektizide seit 1945 eingegangen, wobei auch ausführlich auf die molekularen
Zusammensetzungen und die Wirkungskreisläufe der fraglichen Mittel hingewiesen
wird. Dies ist zum Teil heutzutage Mittelstufenchemie - sofern man Chemielehrer
in genügender Anzahl findet - aber zu Beginn der 60er Jahre waren diese
Kenntnisse teilweise noch so neu, dass man sie nicht einmal unbedingt bei allen
Medizinern voraussetzen konnte.
Im Folgenden werden die verschiedenen Bereiche beschrieben, die von Giftsprühaktionen
betroffen werden, angefangen beim Oberflächenwasser und unterirdischen Flüssen,
dem Erdreich, der Vegetationsdecke, Luft und Flüssen. Dabei weist die Autorin
immer wieder auf ältere, wirksamere und oft auch wesentlich billigere Methoden
zur Schädlingsbekämpfung hin, die zugunsten der neueren chemischen Methoden -
und damit auch gerade zugunsten der neu erwachsenden chemischen Industrie - in
den einzelnen Fällen anwendbar gewesen wären. Einmal weist sie sogar nach,
dass ein nicht vorhandener Schädlingsbefall als Katastrophe publiziert wurde
und so große Sprühaktionen absolut sinnlos etliche zigtausend Quadrathektar
Land verseuchten. Die gebotenen Beispiele stammen in der Regel dabei aus den USA
- Deutschland und Großbritannien werden hier
gelegentlich als positive Gegenbeispiele vorgestellt - wo solche Aktionen durch
die Bundesbehörden angeleiert und durchgeführt werden.
In weiteren Kapiteln werden die Probleme der Mischvorkommen von Insektiziden
und anderen Giften angesprochen - die ja auch im Moment die EU-Nahrungskontrolleure
bewegt. Die meisten Giftverordnungen und Giftuntersuchungen beschäftigen sich
in der Regel nur mit Grenzwerten für Einzelsubstanzen und selten mit Gemischen
dieser Stoffe, die eine toxische Wirkung noch potenzieren können. Neben toxischen
Wirkungen geht Rachel Carson auch noch auf die karzinogene Wirkung vieler Stoffe
ein und auf die Geschwindigkeit, mit der gerade die Insekten, die man loswerden
will, Resistenzen gegen Giftstoffe bilden - anders als deren
Fressfeinde,
so dass man nach einer Sprühaktion oft mehr Schädlinge vorfindet als davor.
Am Ende zeigt sie noch auf, wie die Selbstregulierungskräfte der Natur die Zahl
der Schädlinge in der Regel gering halten und wie man sich dieses Vorgehen
bei
der landwirtschaftlichen Arbeit zum Vorbild nehmen kann.
Das Interessanteste bei diesem Buch ist, dass selbst Jahrzehnte nach seinem
Erscheinen - und mit einer Menge Verbesserungen in vielen Bereichen des
Landschafts- und Artenschutzes - immer noch viele der darin angesprochenen
Probleme und Fragestellungen aktuell sind und auf verschiedenen politischen und
gesellschaftlichen Ebenen der Lösung harren. Insofern hat "Der stumme
Frühling", mit seinem beinahe fünfzigseitigen Endnotenverzeichnis, nichts
an Aktualität verloren. Erschreckend ist dabei, dass hier lediglich auf
Insektizide eingegangen wird. Wenn man dann noch sieht, dass Düngemittel,
Industrieschadstoffe, Haushaltsmüll und viele andere menschgemachte Probleme
ebenfalls ein mindestens genauso umfangreiches Buch verdienen, dann wird einem
klar, dass wir, bei allen Verbesserungen in den letzten Jahrzehnten, noch
Einiges vor uns haben.
(K.-G. Beck-Ewerhardy; 08/2005)
Rachel Carson: "Der stumme Frühling"
Mit einem Vorwort von Theo Löbsack.
Aus dem Amerikanischen von Margaret Auer.
C.H. Beck. 348 Seiten.
ISBN 3-406-04944-3.
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