Arnaldur Indriðason: "Frostnacht"
Island-Krimi
Psychologische
Vielschichtigkeit, Gesellschaftskritik und ein Mord im
düsteren isländischen
Winter
An einem eisigen Spätnachmittag im Januar wird in
Reykjavík die Leiche eines
erstochenen zehnjährigen Jungen aufgefunden. Das aus weiteren
Krimis des Autors
bekannte Ermittlerteam steht am Beginn einer schwierigen und
undankbaren
Aufgabe. Denn bei dem Jungen handelt es sich um den Sohn einer
geschiedenen
thailändischen Frau und eines Isländers; ein
rassistischer Hintergrund liegt
aus diesem Grund nahe.
Im Verlauf der Ermittlungen zeigt sich, dass der Junge, dessen Mutter
immer
redlich versucht hat, sich und die Jungen - sie hat noch einen
älteren Sohn aus
der Zeit vor ihrem Umzug nach Island - durchzubringen, liebenswert und
unauffällig
war. Allerdings schien er keine Freunde gefunden zu haben, was
offensichtlich
auch mit seiner Hautfarbe zu tun hatte.
Andere Jungen beschuldigen den älteren Halbbruder, mit
Drogengeschäften zu tun
zu haben. Plötzlich ist dieser verschwunden. Steht er mit der
Tat unmittelbar
in Zusammenhang, oder befindet er sich selbst in Gefahr?
Außerdem stellt sich heraus, dass ein Kinderschänder
im selben Haus wie das
Opfer wohnt - oder vielmehr, gewohnt hat: Sobald die Polizei ihn
vernommen hat,
ergreift er die Flucht. Und dann gibt es noch einen Lehrer, der aus
seinem
Rassismus keinen Hehl macht. In welcher Weise ist er in die Tat
verwickelt?
Wollte er sich an dem Halbbruder rächen, weil dieser und seine
Freunde sich
wegen seiner ständigen Hasstiraden mit ihm angelegt haben?
Als unerwartet die Tatwaffe auftaucht, ergibt sich ein
überraschender
Zusammenhang mit einem anderen Fall, den einer der Ermittler bisher
erfolglos
bearbeitet hat.
Die Figuren in diesem Krimi wirken authentisch und
überzeugend, insbesondere
die drei Ermittler, in denen der Mord teilweise Assoziationen an
scheinbar verdrängte
Erlebnisse weckt, und die Mutter des getöteten Kindes.
Auch die Auflösung des Falls ist glaubwürdig, zumal
sie auf gesellschaftlichen
Problemen basiert, die keineswegs nur in Island, sondern auch weiter im
Süden
Europas zu Gewaltexzessen führen. Mitteleuropäische
Leser werden sich jedoch
vor allem vom
Lokalkolorit
dieses Romans fesseln lassen. Die Stimmung
des isländischen
Winters ist intensiv mit der Handlung und dem Seelenleben der
Protagonisten
verwoben.
Ausgesprochen spannend ist der Krimi allerdings nicht. Bisweilen
schleppen sich
die Ermittler stundenlang durch letztlich belang- und ergebnislose
Verhöre;
dies gehört zwar zum Polizeialltag, aber dem Leser zuliebe
hätte der Autor
doch vieles raffen können beziehungsweise sollen.
Die falschen Fährten sind nicht sehr
überzeugend
angelegt und verlieren sich
meist sang- und klanglos im Nichts. Einen klassischen skandinavischen
Krimi
sollte der Leser, der den Autor noch nicht kennt, bezüglich
der Handlung und
des Konzepts somit nicht erwarten. Nur der sozialkritische Aspekt
verbindet
Indriðason mit seinen Kollegen aus Schweden und Norwegen.
Die Gabe zur Einfühlung in seine Figuren hingegen zeichnet
diesen Autor
definitiv aus. Seine psychologische Vielschichtigkeit, gepaart mit den
großartig
dargestellten Stimmungen, macht den Roman zu einer interessanten, wenn
auch
nicht gerade von atemloser Spannung geprägten
Lektüre.
(Regina Károlyi; 06/2007)
Arnaldur
Indriðason:
"Frostnacht"
Aus dem Isländischen von Coletta Bürling.
Edition Lübbe, 2007. 395 Seiten.
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Hörbuch:
Lübbe, 2007.
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