Ekkehard v. Mai (Hrsg.): "Holland nach Rembrandt"
Zur niederländischen Kunst zwischen 1670 und 1750
Epoche
des Niedergangs - oder Neuorientierung?
In der niederländischen Kunstgeschichte markiert die Mitte des
17.Jahrhunderts einen Wendepunkt: Das "Goldene Zeitalter" endet und
damit auch die internationale Bedeutung der niederländischen
Kunst. So zumindest lautet die gängige Meinung.
Die Autoren der Beiträge im vorliegenden Buch untersuchen die
Epoche, die auf Rembrandts Tod folgte, unter ganz unterschiedlichen
Gesichtspunkten.
Der erste Beitrag befasst sich mit dem Anteil niederländischer
Kunst in bedeutenden europäischen Sammlungen des 18.
Jahrhunderts. Hier zeigt sich, dass die zeitgenössische
holländische Kunst damals durchaus geschätzt wurde.
Der Autor erläutert zudem, inwiefern Kunsthändler und
Maler Einfluss auf den Kunstgeschmack ihrer Zeit zu nehmen wussten.
Die Sammlung des Kurfürsten Johann Wilhelm von der Pfalz in
Düsseldorf vermag interessante Einblicke in die Auswirkungen
der politisch-kulturellen Veränderungen um 1700 auf die
niederländische Kunst zu geben, wobei
selbstverständlich die Persönlichkeiten der
Auftraggeber eine bedeutende Rolle spielten.
Ein weiterer Beitrag untersucht, in welcher Weise ausländische
Kunst, insbesondere jene aus Frankreich, um 1700 Einfluss auf die
niederländische Kunst nahm. Als Beispiel dient der Maler
Adriaen van der Werff, der Zugang zu bedeutenden Sammlungen hatte und
sich ganz offensichtlich von manchem französischen Werk
inspirieren ließ; viele Maler handelten nebenbei mit
Gemälden und konnten auf diese Weise die Kunst der
Nachbarländer kennen lernen.
Um den "Verfall" im 18. Jahrhundert geht es im folgenden Artikel. In
den niederländischen Sammlungen dieser Zeit finden sich recht
wenige zeitgenössische holländische Gemälde.
Allerdings gab es auch weniger niederländische
Künstler als zuvor, und ihre Werke waren teuer; man muss
diesen "Verfall" also differenzierter betrachten.
Die Frage, ob die niederländische Kunst im 18. Jahrhundert den
Geschmack potenzieller Käufer traf, wird in einem weiteren
Beitrag thematisiert: Cornelis Ploos van Amstel zeichnete einen
berühmten gesellschaftskritischen Zyklus von William Hogarth
("Marriage-a-lamode") nach. Zwar stieß diese satirische Kunst
zunächst auf Interesse, das jedoch nach Van Amstels Tod rasch
verblasste.
Wie äußerte sich der Klassizismus in der
niederländischen Kunst? Noch gab es in Holland keine
Kunstakademie. Doch der Maler Samuel van Hoogstraten schuf ein Buch
über die Malkunst, in dem er zum Beispiel die Proportionen des
menschlichen Körpers, auch anhand von Skizzen, darstellte.
Daran schließt sich auch inhaltlich ein Beitrag an, dessen
Autor untersucht, inwiefern sich die Naturwissenschaftlichkeit der
Aufklärung auf die Kunst auswirkte. Tatsächlich
wurden viele bekannte Kunstwerke und auch
der menschliche
Körper genau vermessen und typisiert, sodass die Maler sich
anhand dieser Vorlagen für ihre Figuren ideale Proportionen
heraussuchen konnten.
Mittels des "Groot Schilderboek" von Gerard de Lairesse lässt
sich nachvollziehen, welche Bedeutung, welcher Stellenwert den
verschiedenen Genres nach Meinung eines bekannten Malers - und
vermutlich ebenso der Öffentlichkeit - beigemessen wurde.
An De Lairesses Werk lässt sich ebenfalls gut der Einfluss des
französischen Malers Nicolas Poussin demonstrieren; andere
französische Maler fanden ebenfalls Eingang in die
niederländische Kunst, jedoch in geringerem Maße als
Poussin. Angesichts des Konflikts der Niederlande mit Frankreich ist es
durchaus erstaunlich, dass französische Elemente in Holland
bereitwillig aufgenommen wurden.
Ein Beitrag betrachtet und vergleicht das Werk zweier
Größen des 17./18. Jahrhunderts: de Lairesse und van
der Werff. Zentrum der Betrachtung ist Van der Werffs Gartenzimmer, das
vier Jahreszeiten-Bilder enthielt, die Entlehnungen aus
Gemälden von De Lairesse aufweisen.
In Frankreich verachtete man die "einfache" niederländische
Genre-Malerei. Die Holländer passten sich im 18. Jahrhundert
an und entwickelten, wie der nächste Beitrag
erläutert, das "Genre noble", eine Art
niederländischer Antwort auf französische
Ansprüche.
Aus dem "Goldenen Zeitalter", sprich: von Werken der berühmten
und auch im folgenden Jahrhundert sehr beliebten Künstler
Frans Hals, Jan Vermeer
und Rembrandt, übernahmen manche spätere Genremaler
Motive oder auch die gesamte Ausgestaltung - eine Anpassung an den
Markt.
Eine besondere Stellung nimmt hier Eglon van der Neer ein, der Motive
anderer Maler übernahm, um ihnen eine Reverenz zu erweisen,
oft aber auch kopierte, weil er so Zeit und Geld sparen konnte.
Dieses anspruchsvolle Buch - einige Beiträge liegen
übrigens in englischer Sprache vor - richtet sich an Leser,
die sich bereits mit der niederländischen Malerei befasst
haben und einige Grundkenntnisse auf diesem Gebiet besitzen: als
Fachbuch bietet es viele neue und vertiefungswürdige Impulse
zum Verständnis der nachweislich nicht unbedeutenden
niederländischen Kunst nach Rembrandt, doch es wendet sich
ebenso an Laien mit entsprechendem Interesse und Hintergrundwissen. Die
einzelnen Beiträge bieten eine sehr vielseitige Synopse
verschiedener kunsthistorischer Ansätze und Schwerpunkte zur
Erläuterung des Themas. Durch die zunehmende
Internationalisierung der Märkte und somit auch des
Kunstgeschmacks wurde eine Anpassung an sich wandelnde Anforderungen
notwendig, die sich die holländischen Maler in
unterschiedlicher Weise zu Eigen machten. Die Einflüsse aus
dem Ausland drohten einerseits die typische Genremalerei zu
verdrängen, andererseits jedoch wirkten sie befruchtend und
stießen nachhaltige Entwicklungen an.
Statistische Vergleiche von Sammlungen aus ganz Europa zeigen auf, dass
holländische Kunst auch im 18. Jahrhundert nicht
"außen vor" war und von einem weiten Interessenkreis
geschätzt wurde.
Die Autoren erläutern ihre jeweiligen Themen
schlüssig und kompetent.
Das Buch enthält eine Vielzahl von Illustrationen; die
bedeutenden sind in der Buchmitte als Farbendrucke zusammengefasst.
Somit lassen sich die Betrachtungen zu den jeweiligen Kunstwerken gut
nachvollziehen. In Kapiteln, die eher statistische Inhalte haben,
finden sich zur besseren Übersicht zahlreiche Tabellen und
Grafiken. Insofern lässt auch die Aufmachung nichts zu
wünschen übrig.
"Holland nach Rembrandt" besetzt in der Tat eine Lücke, denn
die Autoren weisen nach, dass die betrachtete Epoche zwar in jeglicher
Hinsicht als eine Zeit des Umbruchs angesehen werden muss, nicht
zwingend jedoch gekoppelt mit einem Verfall der
niederländischen Kunst.
(Regina Károlyi; 11/2006)
Ekkehard
v. Mai (Hrsg.): "Holland nach Rembrandt"
Böhlau Verlag Köln, 2006. 262 Seiten.
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