Adolf Holl: "Brief an die gottlosen Frauen"
"Wäre der Zivilisationsprozess in weiblichen Händen geblieben, dann lebten wir immer noch in Grashütten." (Camille Paglia)
Die Verwaltung der Gottesidee war seit Anbeginn
ihres Bestehens Männersache. Und soweit man auch immer in die Religionsgeschichte
der Menschheit zurück blickt, weibliche Priester sind und bleiben die Ausnahme
von der Regel, was, wie wir alle wissen, die Regel bestätigt. Warum das allezeit
schon so gewesen ist, liegt wohl nicht nur daran, dass die Stellung des Priesters
immer auch eine herrschaftliche Stellung war, welche dem untergeordneten weiblichen
Geschlecht verwehrt wurde. Holl wusste im Interview mit der österreichischen Wochenzeitschrift
FORMAT (35/02) nämlich einen weiteren Grund zu nennen, der, so formuliert, als
Grundthese zu seinem neuesten Buch erachtet werden kann: "Ich vermute, dass Frauen
einen stärkeren Bezug zu den Realitäten des Lebens, zu Geburt und Tod haben. Dieser
Wirklichkeitssinn manifestiert sich in einer skeptischen, ja ironischen Haltung
gegenüber der männlichen Spektakelkultur" - zu der die Religion zweifellos zählt.
In dieser Wirklichkeitsbezogenheit des weiblichen Geschlechts sei also dessen
Gottlosigkeit begründet, hingegen dem männlichen Geschlecht - dem jagenden und
kriegführenden Mann - immer schon eine gewisse Neigung zum Übersinnlichen zupass
kam. Schien ihm doch schon in uralten Zeiten Jagdglück und Kriegsglück immer nur
dann hold, wenn dazugehörende Götter ihr Einverständnis damit zeigten.
Holls
These von der quasi natürlichen Gottlosigkeit der Frau scheint mir eine gewagte
These zu sein, begründet er sie doch auf einer differenziellen Wesensbetrachtung
von Mann und Frau, die sich aus persönlichen Lebenserfahrungen und tendenziösen
Auslegungen kulturhistorischer Aspekte speist. Diese höchst subjektive Methode
scheint jedoch gerechtfertigt, handelt es sich bei dem vorliegenden Buch doch
um einen Essay und nicht um eine streng wissenschaftliche Studie.
In gewohnt
ironischer Manier räsoniert Holl über das Verhältnis der Geschlechter, welches
seit dem Abschied aus dem Tierreich allemal noch problematisch gewesen sei, und
belangt zugleich die linksfeministische Erzählung vom steinzeitlichen Matriarchat,
das bis dato keineswegs hinlänglich bewiesen werden konnte, mit einem skeptischen
Lächeln. Denn, seit unvordenklichen Zeiten haben Männer ein Gewaltmonopol über
Frauen, und eben gar wenig deutet darauf hin, es sei je anders gewesen. Warum
das immer so war?
Simone de Beauvoir hatte eine bestürzend einfache Erklärung
für die Ungleichheit im Verhältnis der Geschlechter gefunden: "Das höchste Ansehen
innerhalb der Menschheit", schrieb die Beauvoir, "genießt nicht das Geschlecht,
das gebiert, sondern das Geschlecht, das tötet. Der schlimmste Fluch, der auf
der Frau lastet, ist in ihrem Ausschluss von den kriegerischen Unternehmungen
begründet."
Adolf Holl, ein unbequemer Quergeist und Provokateur, welcher
1976 von seinem Priesteramt suspendiert wurde, ist seinem Lebensthema, dem Christentum,
noch nie so untreu geworden wie in diesem im lockeren Plauderton verfassten "Brief
an die gottlosen Frauen". Das Problem der Religion und des ihn ewig nur anschweigenden
Jesus, der selbst noch im Traum abwesend bleibt, tritt zurück hinter das lebensbestimmende
Geschlechterverhältnis zwischen Mann und Frau. Weniger handelt es sich bei diesem
Essay letztlich um religiöse Literatur denn um eine Abhandlung über die weibliche
Abkehr von der Welt einer allemal noch männlich geprägten Mystik.
Dieser
Brief, der sich an drei namentlich angeführte Freundinnen des Autors richtet,
an Irena, Felicitas und Natascha, die exemplarisch für die "gottlosen Frauen"
stehen, bezeugt wieder einmal den abgründigen Humor und die Gelehrtheit des Wiener
Theologen, welcher seit jeher mit seinen Buchpublikationen wie "Jesus in schlechter Gesellschaft", "Mystik für Anfänger" oder "Falls ich Papst werden sollte" den Zorn
der Kirchenbürokratie zu erregen verstand. Die hinter der Maske des Literaten
verborgene Berufung des Existenzialisten Jean-Paul Sartre zum Priester, kommt ebenso zur Sprache, wie das freche Aufbegehren der
amerikanischen Literaturwissenschafterin Camille Paglia gegen die Verharmlosung
der Barbarei weiblicher Fleischlichkeit im Feminismus. In zurückhaltender Weise
erheitert er sich über die eifrige Suche Erich Fromms nach Spuren menschlicher
Unschuld in den prähistorischen Resten aus Gemäuern und Artefakten von Chatal
Hüyük in der heutigen Türkei. Für den marxistischen Humanisten Erich Fromm ("Haben oder Sein") war der
jungsteinzeitliche Ort ein willkommener Nachweis für seine Annahme, dass Neid
und Habgier, Sadismus und destruktives Verhalten nicht immer schon zur menschlichen
Natur gehörten, sondern historisch bedingte Charakterdeformierungen, also krankhafte
Folgen des oft so hochgelobten Zivilisationsprozesses seien, die es zu heilen
gelte. Der Lebensalltag in Chatal Hüyük sei unter mutterrechtlichen Verhältnissen
recht verträglich verlaufen, ohne Waffengeklirr und Kommandostimmen, ohne Klassengegensätze,
ohne Besitzanhäufung in den Händen weniger Chefs, ohne Palast und Gefängnis. Eine
Ordnung ohne Herrschaft,
wie sie der Anarchismus erträumt, wurde in den Ruinen aus ferner Vergangenheit
in den Augen archäologischer Betrachtung - oder humanistischen Wunschdenkens?
- wirklich, doch merkt Holl dazu kritisch an: "Eine Antwort auf die Frage nach
der Verträglichkeit des - männlich kodierten - kapitalistischen Menschenwesens
mit der - weiblich kodierten - Lebensbejahung musste Fromm schuldig bleiben. Nach
Chatal Hüyük führt kein Weg zurück."
Holl konstatiert in seinen Ausführungen zu Sartre über männliche Daseinsbefindlichkeit:
"In der Gestalt des Priesters, die sich in der katholischen Kirche konserviert
hat, verkörpert sich die männliche Unfähigkeit, ohne immaterielle Beglaubigung
existieren zu können." Einer Frau muss dieser in vielerlei Gestaltungsweisen
(u. a. der des Literaten) verkörperte priesterlicher Radikalismus des Mannes
eher merkwürdig erscheinen, und so wendet sie sich in unseren Tagen still und
klammheimlich davon ab, läutet dem männlichen Priestertum unhörbar die Totenglocken.
Dabei handelt es sich bei der weiblichen Abkehr von der Religion des Mannes
um eine sympathische Verweigerung von Teilnahme, die mit wenig dramatischer
Gestik, ohne erst lange Streit mit den Hütern väterlicher Heilsordnung zu suchen,
alternative Pfade der Lebensverwirklichung beschreitet. Sonderbar erscheint
Holl letztlich nur, dass es jüngst Frauen gab, die ausgerechnet dieses sich
im Absterben befindliche männlich-katholische Priestertum für sich reklamierten
und Priesterinnen sein wollen. (Der Vatikan hat die Priesterinnen kürzlich exkommuniziert.)
Natürlich sollte das Priesteramt auch Frauen offen stehen, doch handelt es sich
dabei um ein bloßes Minderheitenthema in Hinblick auf die in ihrer überwiegenden
Mehrheit "gottlosen" Frauen, an welche sich dieses Buch in erster Linie richtet.
Die Forderung nach Priesterweihe für Frauen ist sodann auch nicht Gegenstand
des "Briefes an die gottlosen Frauen", deren Wünschen und Verlangen sich von
den Strukturen römisch-katholischer Kirchlichkeit sowieso längst schon verabschiedet
hat.
Wir leben in einer Zeit, welche die einstigen Glaubensverkünder aus der Wüste,
Moses,
Jesus und
Mohammed,
wieder in die Wüste zurück geschickt hat. Zumindest scheint es uns Europäern
so, wo die Gotteshäuser sonntags immer leerer werden. Das Leben geht trotzdem
weiter, und global betrachtet liegt Religion - insbesondere der
Islam
und neureligiöse Vereinigungen - im Megatrend. Doch auch der katholische Papst
füllt ganze Stadien, und
der Dalai Lama
tourt als spiritueller Star durch säkularisierte Räume. Holl, der die Macht
frommer Riten aus eigener Erfahrung kennt, erlaubt es sich nicht, den "gottlosen
Frauen" einen endgültigen Abschied von ihnen zu empfehlen. Zumal auch die um
sich greifende Spaßkultur keine gangbare Alternative zu den Litaneien, Mantren,
Hymnen, Psalmen und Rezitationen der alten Patriarchen zu sein scheint, denn
Holl vergisst nicht zu bekennen: "Mein Brief fängt dort an, wo der Spaß aufhört."
(Harald Schulz; 16. September 2002)
Adolf Holl: "Brief
an die gottlosen Frauen"
Zsolnay, 2002. 200 Seiten.
ISBN 3-552-05203-8.
ca.
EUR 17,90.
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