Mahatma Gandhi: "Was ist Hinduismus?"
Einheit
in Wort und Tat
Erstmals in deutscher Übersetzung (von Ursula Gräfe)
werden hier die bereits 1994 in Neu Delhi auf Englisch erschienenen
Artikel Gandhis (ursprünglich in Hindi und Gujardi verfasst)
gesammelt veröffentlicht, worin sich seine zentralen Gedanken
zur Lebensform des Hinduismus und ihrer Umsetzung im Alltag
wiederfinden. Gandhi sieht im Hinduismus die "unermüdliche
Suche nach Wahrheit", er bezeichnet ihn als die "toleranteste aller
Religionen ... frei von jeglichem Dogma." Als Gandhi Indien 1947 in die
Unabhängigkeit führte, basierten seine Vorstellungen
von Wahrheit und Gewaltlosigkeit auf dem Hinduismus, der für
ihn weniger eine Religion als eine Lebensform war.
Im historischen, religionswissenschaftlich verstandenen Hinduismus gibt
es unterschiedliche Ausprägungen (Ramakrishna, Aurobindo,
Tantrismus, Hindutva), denen gemeinsam ein spirituelles Wachsen an
Gottes Prüfungen ist, während Gandhi mehr an
praktischen Lösungen interessiert war. Insofern
können seine Ansichten nicht als repräsentativ
für den Hinduismus gelten, da es
für ihn eben keine Zweiteilung der Wirklichkeit in
"spirituell" und "weltlich" gab: alles im Universum ist
göttlich durchdrungen - woraus Gandhi einen
spirituell-moralischen Impetus ableitet: einerseits Verzicht -
andererseits das zum Leben Notwendige annehmen.
Gandhi (geb. 1869) wurde streng traditionalistisch erzogen, war Asket,
Vegetarier, Nichtraucher, lustfeindlich. Nach seinem Studium der Rechte
in London wurde er in Südafrika zum Sprecher der
diskriminierten indischen Minderheit. Aus seinem
Gerechtigkeitsempfinden entwickelte er die Methode der Gewaltlosigkeit,
die er ab 1915 in Indien praktizierte. Es war der Dichter
Rabindranath
Tagore, der ihn als "Mahatma" = Große Seele
titulierte. Statt meditativer Abkehr in der Einsamkeit wollte Gandhi
"im Dienst an den Menschen seine Befreiung erringen" (vgl. Nachwort von
Martin Kämpchen). Gandhi lehnte die Ungleichheit des
Kastenwesens ebenso ab wie die Verehrung Gottes durch Bilder, Statuen
und Rituale. Statt die Bedürfnislosigkeit zu glorifizieren
trat er für soziale Gerechtigkeit ein sowie einen Pluralismus
der Religionen. Er hat "Wort und Tat in Einklang" gebracht, um "radikal
wahrhaftig zu leben" (ebd.).
Gandhi wollte seinen Glauben nicht verkünden sondern
praktizieren. Er war überzeugt von der "Einheit all dessen,
was lebt. (...) Der Glaube an die Seelenwanderung ist eine unmittelbare
Konsequenz aus dieser Überzeugung." Und wenn es
tatsächlich gelingen könnte, Religion ohne Dogma zu
sehen, so wie Gandhi den Hinduismus verstehen wollte, dann
könnten uns diese seine Gedanken zu Toleranz und
Gewaltlosigkeit zumindest inspirieren zu einem friedlichen,
gleichberechtigten Zusammenleben.
(KS; 09/2006)
Mahatma
Gandhi: "Was ist Hinduismus?"
Aus dem Englischen von Ursula Gräfe. Mit einem Nachwort von
Martin Kämpchen.
Insel, 2006. 151 Seiten.
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Weitere Buchtipps:
Mohandas K. Gandhi: "Eine Autobiografie oder Die Geschichte meiner
Experimente mit der Wahrheit"
Mahatma Gandhis Autobiografie wurde von Gandhi in den 1920er Jahren in
Form wöchentlicher Beiträge zu seiner
Gujarati-Zeitschrift "Navajivan" niedergeschrieben, dann von seinem
Sekretär Mahadev Desai ins Englische übersetzt und
nach Durchsicht und Billigung Gandhis in Buchform
veröffentlicht. Sie ist ein einzigartiges Dokument seiner
Wahrheitssuche und der Nachwelt gegenüber ein lebendiger
Protest gegen die Verflüchtigung des Mahatma-Bildes zur
Legende, denn sie schildert mit einer Offenheit, die gleich weit
entfernt ist von eitler Selbststilisierung wie von koketter
Selbstentlarvung, die Entwicklung dieser ebenso bedeutenden wie
eigenartigen Persönlichkeit, bei der der Mensch deshalb nicht
vom Politiker zu trennen ist, weil beide gleichermaßen im
religiösen Grunde wurzeln. Zeitlich bis an die Schwelle von
Gandhis Wirksamkeit als Befreier Indiens im großen Stil
führend, legt sie alle jenen Elemente seines Geistes und
Charakters, die ihn zu seiner welthistorischen Rolle
befähigten, mit einer Rückhaltlosigkeit dar, die sein
Denken und Handeln von den Fundamenten her verstehen lehrt. Der Leser
nimmt teil an Gandhis Jugenderlebnissen, seiner Begegnung mit der
englischen Welt, seinen ihn ins politische Leben hineinziehenden
Erfahrungen in Südafrika und seinem Hineinwachsen in das
Freiheitsstreben Indiens, dem er dann die moralische Basis und die
geistige Richtung geben sollte. (Hinder + Deelmann)
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Albrecht Hagemann: "Mahatma Gandhi"
zur Rezension ...
Sudhir
Kakar: "Die Frau, die Gandhi liebte"
Eine junge Engländerin aus bestem Hause, die zur wichtigsten
Gefährtin Gandhis in der Auseinandersetzung mit der britischen
Kolonialmacht wird: ein weiter Weg, eine überraschende
Biografie. Der indische Psychoanalytiker Sudhir Kakar erzählt
die Geschichte der Begegnung von Gandhi und Mira-behn und das Leben
dieser höchst ungewöhnlichen Frau.
Im Jahr 1925 machte sich eine 33jährige junge Lady, Tochter
eines englischen Admirals, auf den Weg nach Indien. Ihr Ziel: ein 56
Jahre alter indischer Rechtsanwalt, ein ehemaliger Häftling
der britischen Krone, der einige Jahre zuvor die Hoffnung Indiens auf
die Befreiung vom britischen Kolonialjoch verkörpert hatte.
1925, im Jahr ihrer Ankunft, schien politisch Ruhe eingekehrt, und
Gandhi war mit Spinnen beschäftigt, als die junge
Engländerin in seinen Ashram - und damit in sein Leben eintrat.
Sudhir Kakar erzählt - auf einen reichen Fundus von Briefen
und Dokumenten gestützt -, wie sich die höchst
ungleiche Beziehung entwickelte, wie Gandhi die junge Adeptin aufnahm,
wie sie in die politische Mission Gandhis hineinwuchs und wie sich
gleichsam in einer anderen Dimension Gefühle entwickelten, die
nicht immer beherrschbar und teilweise unvereinbar waren mit den
tiefsten Überzeugungen der eigenen Lebensaufgabe. Gandhi
wollte sich von seiner Umgebung möglichst unabhängig
machen, sich von Bindungen lösen, um seine Ziele zu verfolgen,
Mira,
wie Gandhi Madeline Slade nannte, suchte die absolute
Nähe, um sich ihm, den sie zutiefst verehrte, völlig
auszuliefern. Es war schließlich Mira, die einen neuen
Schritt wagte, und als der Zweite Weltkrieg ausbrach, nahm auch ihr
Leben eine unerwartete Wende ... (C.H. Beck)
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