Lyndal Roper: "Hexenwahn"

Geschichte einer Verfolgung


Eine beeindruckende und fesselnde Studie

Was konnte intelligente, gebildete Menschen dazu bewegen, dem Hexenglauben anzuhängen und derart grausame und entwürdigende Handlungen wie beispielsweise die Folter an ihren Mitmenschen vorzunehmen? Eine monokausale Erklärung kann es wohl nicht geben, und auch Lyndal Roper hat keine solche parat. Man muss sich in diesem Zusammenhang auch bewusst machen, dass die meisten der so genannten Hexenjäger alles andere waren als perverse Sadisten, denen es Vergnügen bereitete, anderen Menschen Schmerz und Leid zuzufügen. Sie waren im Gegenteil nicht selten mitfühlende Menschen, die angesichts ihres Tuns schwere innere Konflikte durchzustehen hatten, die aber letztendlich von der Notwendigkeit ihres Handelns doch überzeugt waren. Schlüssige Antworten zu geben, fällt also schwer. Ein zentrales Thema, um das sich die Fantasien der Menschen zur Zeit der Hexenverfolgungen jedoch immer wieder rankten, kristallisierte sich im Rahmen von Lyndal Ropers Forschungen, im Laufe der sich über vierzehn Jahre hinziehenden Arbeit an ihrem Buch stets wieder von neuem heraus: das Thema Fruchtbarkeit.

Lyndal Roper versucht in ihrer umfassenden Studie, den psychologischen Mechanismen auf den Grund zu kommen, die dazu geführt haben, ganze Dorfgemeinschaften oder sogar die Bevölkerung ganzer Landstriche in einen kollektiven Wahn zu treiben, wenngleich ihr vorliegendes Werk doch eher eine historische Abhandlung als eine psychologische Studie darstellt. Die Autorin beleuchtet das Phänomen Hexenwahn von unterschiedlichen Gesichtspunkten aus und geht dabei u. a. folgenden Fragen nach:

Warum waren es zumeist Frauen, die der Hexerei bezichtigt wurden, in erster Linie alte Frauen, die das gebärfähige Alter bereits hinter sich gelassen hatten? Und was hatte es mit der polarisierenden Betrachtungsweise des damaligen Frauenbildes überhaupt auf sich? Auf der einen Seite stand die Idealisierung der Frau in Gestalt der Gottesmutter Maria, auf der anderen Seite ihre Dämonisierung in Gestalt einer alten, hässlich und abstoßend wirkenden Hexe. Inwieweit steht der Antisemitismus, der in Süddeutschland eine lange Tradition aufzuweisen hat, in Zusammenhang mit den Hexenverfolgungen? Welcher Art waren die Triebkräfte, die Menschen dazu führten, ihre Nachbarn, Bekannten und selbst Mitglieder der eigenen Familie bei der Obrigkeit als Hexen anzuschwärzen? Wie stark war der Einfluss der sexuellen Komponente in den Fantasien der Menschen, die in die Mühlen des Hexenwahns geraten waren? Woher rührt zum Beispiel die Vorstellung, dass Hexen fliegen können, und welche Art von sexueller Symbolik steckt in diesem Zusammenhang im Ritt auf dem Besenstiel oder auf dem Rücken einer Ziege? Welchen Anteil hatten Katholiken auf der einen und Protestanten auf der anderen Seite an der Bekämpfung des Hexenwesens? Alles Fragen, auf die Lyndal Roper Antworten sucht, denen sie auf subtile Art und Weise nachgeht, ohne jemals in jene Effekthascherei zu verfallen, die den Stil des Sensationsjournalismus kennzeichnet.

Weitere Themen- und Fragenkomplexe in vorliegender Studie sind Kannibalismus und Hexerei, dann die eben schon angesprochene Marienverehrung und Hexerei, dann die für uns "aufgeklärte Menschen" heute so abstrus erscheinenden Diskussionen über Dämonologie und Zauberei, und schließlich die Faszination des Grauens, die mitunter von den detaillierten, unter der Folter herausgepressten Geständnissen ausging. Eine tragende Rolle kam selbstverständlich dem Teufel zu, ein Punkt, dem Lyndal Roper in einem eigenen Kapitel über die 'Teufelsbuhlschaft' Rechnung trägt. Die Einflussnahme des Teufels, des Verführers oder Versuchers also, auf die Gedanken und Handlungen der Menschen, ermöglichte es den der Hexerei Angeklagten aber auch, die Schuld von sich abzuwälzen und sich in die Rolle des Opfers zu flüchten.

Das alles beherrschende Thema aber war die Fruchtbarkeit und hier vor allem die Fruchtbarkeit der Frau, wiewohl man den Begriff Fruchtbarkeit in diesem Zusammenhang viel weiter fassen muss. Hungersnöte und Missernten, Kindbett und Säuglingssterblichkeit, Zeugungsunfähigkeit und Frigidität, auf der anderen Seite die angeblich so unersättliche sexuelle Begierde und Lüsternheit des Weibes; Kühe, die keine Milch mehr geben ... das alles subsumiert sich unter dem Thema Fruchtbarkeit. Und der Neid der älteren Frauen auf ihre jungen, noch fruchtbaren Geschlechtsgenossinnen machte die Alten nach damaligem Glauben besonders empfänglich für Einflüsterungen des Teufels und ließ sie schließlich zur Hexe werden. Einige aufschlussreiche Fallstudien werden von der Autorin anhand der von ihr ausgewerteten Gerichtsprotokolle ausführlich dokumentiert und geben Einblick in die damalige Gefühls- und Gedankenwelt. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts richtete sich der Hexenwahn, der allgemein schon längst im Abflauen begriffen war, sogar für eine kurze Zeit gegen Kinder. Kindliche Fantasien wurden als Teufelsfantasien angesehen, und Eltern denunzierten ihren eigenen Nachwuchs als Teufelsbrut.

Eine späte Fallstudie von 1745 zeigt, dass selbst im Zeitalter der Aufklärung noch vereinzelt so genannten Hexen der Prozess gemacht wurde, dass auch da noch alte Frauen nach allen Regeln der Kunst gefoltert wurden. Zum Schluss ihrer Studie über den Hexenwahn macht Lyndal Roper noch einen Abstecher in die Mythologie und in die Psychoanalyse. Dort kommen dann auch Besessenheit und Exorzismus sowie die Widerspiegelung des Hexenwahns im Kinder- und Volksmärchen zur Sprache. Und in das Märchenbuch wurde die Hexe dann ja auch endgültig verbannt.

Die zahlreichen Anmerkungen zum Text, die sich immerhin über fast achtzig Seiten erstrecken, finden sich im Anhang, ebenso wie eine ausführliche Bibliografie von handschriftlichen Quellen, gedruckten Quellen sowie von Sekundärliteratur. Lyndal Ropers Werk ist rein wissenschaftlich konzipiert, geschrieben aus der Sicht der Historikerin mit Anleihen aus der Psychologie, doch die Autorin hat es glänzend verstanden, den Anspruch wissenschaftlicher Seriosität mit den Erwartungen und Ansprüchen einer breiteren Leserschaft in Kongruenz zu bringen. Ein lesenswertes Buch für alle an Geschichte, Psychologie, Politik-, Religions- und Sozialwissenschaft Interessierte, denn einige unserer modernen Erscheinungen wie Rassismus oder religiöser Fundamentalismus erinnern doch fatal an den im 16. und 17. Jahrhundert grassierenden Hexenwahn.

(Werner Fletcher; 04/2007)


Lyndal Roper: "Hexenwahn. Geschichte einer Verfolgung"
Aus dem Englischen von Holger Fock und Sabine Müller.
C.H. Beck, 2007. 470 Seiten mit 66 Abbildungen.
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Lyndal Roper, geboren 1956, lehrt als Professorin für Geschichte der Frühen Neuzeit am Balliol College der Universität Oxford.