Fritz von Herzmanovsky-Orlando: "Scoglio Pomo oder Rout am Fliegenden Holländer"

Hrsg. Klaralinda Ma-Kircher


Ein Meisterwerk der Groteske

Einen unverfälschten, lupenreinen Herzmanovsky-Orlando, unbekrittelt vom Korrekturstift des Lektors, offeriert der Residenz Verlag dem geschätzten Lesepublikum. Das liegt zum einen daran, dass sich zu Lebzeiten des Autors kein Verleger bereit gefunden hatte, das Werk zu verlegen, zum anderen liegt es daran, dass Verlag und Herausgeberin es als problematisch empfunden haben, den Text nach dem Tod des Autors noch einmal zu verändern. Und man ist nach der Lektüre des Buches versucht, zu sagen: eine weise Entscheidung, denn es gibt hier kaum etwas zu verbessern. Und auch die Herausgeberin betont in ihrem Nachwort, der Text habe so viele Stärken, dass ihm die wenigen Schwächen zugestanden werden könnten. Immerhin hat Herzmanovsky-Orlando circa vierzig Jahre am Text von "Scoglio Pomo" gefeilt, von 1913, dem Jahr der Inspiration, bis 1953, dem Jahr der Vollendung des Werkes. Und als ein vollendetes Werk kann man diesen Roman tatsächlich auch gelten lassen. Fritz von Herzmanovsky-Orlando ist letztendlich aus dem Selektionsprozess der Literaturgeschichte völlig zu Recht als ein wichtiger Vertreter deutschsprachiger Fantastik und Satire hervorgegangen, der im übrigen auch einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf jüngere österreichische Autoren dieses Genres wie Peter Marginter oder Peter von Tramin ausübte. Friedrich Torberg gebührt in erster Linie das Verdienst, Herzmanovsky-Orlando in den fünfziger Jahren der Vergessenheit entrissen zu haben. Seine Bearbeitungen der Werke Herzmanovsky-Orlandos sind allerdings heftig umstritten. Die vorliegende Ausgabe hält sich an den Originaltext.

Und nicht nur hier zeigt sich Fritz von Herzmanovsky-Orlando als ein Dichter mit klarem Eigenprofil, ausgestattet mit einem perfekten Sensorium für das schnöde Blech hinter einer goldglänzenden Fassade, um respektlose Lanzen des Parodistischen daraus schmieden zu können. In seinem Roman "Scoglio Pomo" beleuchtet er die grellen Farben des Kulturlebens in der untergehenden österreichischen Monarchie mit dem Bannstrahler der Satire. Mit treffsicheren Pointen nimmt er die lächerlichen kleinen Vertreter einer degenerierten Boheme aufs Korn, die im Überfluss des Überflüssigen vegetieren, und die sich "Scoglio Pomo", eine paradiesische Ferieninsel, als ihren letzten Zufluchtsort auserkoren haben. Eine Versammlung von Müßiggängern und Taugenichtsen in einer dem Untergang geweihten mondänen Scheinwelt. Die Schablone eingefahrener Umgangsformen, in die das Leben der feinen Herrschaften gezwängt ist, gerät immer mehr aus den Fugen, ganz wie die überkommene Staatsform der Monarchie, und unter der Tünche sich zur Schau stellender Großmannssucht lauert der nackte Wahnsinn. Herzmanovsky-Orlando beschert uns ein sprachliches Feuerwerk der Ironie, eine Orgie von aberwitziger Tollheit und pfauenhafter Buntscheckigkeit. Er verfügt über einen Wort- und Sprachwitz, der seinesgleichen sucht. Ein gewitzter, gepfefferter doch niemals überwürzter Worthagel prasselt auf den Leser ein und versetzt dessen Zwerchfell in Erschütterungen der Stärke 7 auf der Richter-Skala. Das Ganze kulminiert in einem bizarren Bacchanal auf den Seiten 194 bis 196 des Buches, wo alles, auch die Sprache Herzmanovskys außer Rand und Band gerät. Doch nur drei Seiten weiter kündigt sich bereits das Verhängnis an: "Und stärker werdendes Wetterleuchten zuckte um die Insel." Das Fanal des bevorstehenden Untergangs. Und dann segelt auch noch der Fliegende Holländer, das Flaggschiff der drohenden Apokalypse, in den Hafen von Pomo ein. Das Ende naht schließlich in Gestalt der englischen Flotte unter dem Kommando des Admirals Whiskydoodle, der das Ferienparadies Pomo aufgrund einer tragischen Verwechslung in Grund und Boden schießen lässt. Nachdem sie schon vorher kulturell und geistig ausgebombt waren, gibt Whiskydoodle der dort versammelten Oberschicht nun den Rest.

Noch einmal zurück zum Anfang des Romans, der zunächst ein wenig zäh erscheint. Das liegt an der Vielzahl der Personen, die der Autor seinen Lesern vorstellt, man braucht einige Zeit, um da so richtig durchzublicken. Doch es ist gar nicht so wichtig, Ordnung in das Beziehungsgeflecht der bunten Gesellschaft zu bringen, als wesentlicher erscheint mir die Verrottung im Allgemeinen, die ganze Aufgeblasenheit und Absurdität dieser illustren Gesellschaft von Müßiggängern. Und die Moral von der Geschichte? Wer überlebt am Ende das Gemetzel Admiral Whiskydoodles? Natürlich die größten Schurken wie beispielsweise Professor Sherlock Drumsteak Rabenseifner, Schwarzmagier, Kollaborateur und Agent des unergründlichen Chaos, "ein schwarzrotziger Lehrbube einer düsteren Spiegelwelt aller Ausschussdämonie."

Ein köstliches Buch, das durch seine sinnträchtige Absurdität sowie durch die Ausdrucksfülle an Wortwitz und Sarkasmus besticht, eine Fülle, die wirklich beachtlich ist. Sehr zu empfehlen!

(Werner Fletcher; 11/2007)


Fritz von Herzmanovsky-Orlando: "Scoglio Pomo oder Rout am Fliegenden Holländer"
Hrsg. Klaralinda Ma-Kircher.

Residenz Verlag, 2007. 348 Seiten.
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Fritz von Herzmanovsky-Orlando, geboren am 30. April 1877 in Wien, war nach dem Studium einige Zeit als Architekt tätig, bevor er sich ganz dem zeichnerischen und literarischen Schaffen zuwandte. Er übersiedelte 1916 nach Meran, wo er bis zu seinem Tod am 27. Mai 1954 seinen ständigen Wohnsitz hatte.