Florian Ebeling: "Das Geheimnis des Hermes Trismegistos"

Geschichte des Hermetismus von der Antike bis zur Neuzeit


Der Geheimlehre auf der Spur

Laut "Meyers Lexikonverlag" ist "Hermes Trismegistos [griechisch "Hermes, der dreimal Größte"], der griechische Name des ägyptischen Gottes Thot, der in der Spätantike mit Hermes gleichgesetzt wurde. Er soll die hermetischen Schriften verfasst haben (Corpus Hermeticum), meist griechische, auch lateinische und koptische Texte aus dem 2.-3. Jahrhundert n. Chr., die eine mystische Geheimlehre, beeinflusst von ägyptischen und orphischen Mysterien und neuplatonischem Gedankengut, verkünden. Sie wirkten auf die christliche Gnosis sowie auf Albertus Magnus, Paracelsus und die Freimaurer."

In "Das Geheimnis des Hermes Trismegistos" verschafft Florian Ebeling, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für Ägyptologie der Universität Heidelberg tätig ist und bereits zahlreiche Publikationen zum Hermetismus, zur europäischen Ägyptenrezeption und zur Operngeschichte vorlegte, dem interessierten Leser auf knapp mehr als 200 Seiten einen allgemeinverständlichen, nichtsdestoweniger anspruchsvollen Einblick in bzw. Überblick über Traditions- und Rezeptionsgeschichte(n) nicht nur des "Corpus Hermeticum" von der Antike über Renaissance und Aufklärung bis zur Gegenwart und bezieht dabei auch magisch-alchemistische Texte in seine Betrachtungen ein.

Geradezu anspruchslos ist hingegen der Klappentext des Buches geraten, der da lautet: "Hermes Trismegistos, der 'dreimal größte Hermes', ist eine der rätselhaftesten Gestalten der Geistesgeschichte. Der legendäre weise Ägypter gilt seit der Antike als Autor einer Reihe von mystischen und magischen Schriften. Philosophen der Renaissance feierten Hermes Trismegistos als Begründer der Philosophie, Freimaurer machten ihn zu ihrem Ahnherrn, Aufklärer kämpften in seinem Namen für religiöse Toleranz. Bis heute ist Hermes Trismegistos eine der Zentralfiguren der Esoterik." (Auszug)

Es ist kein Geheimnis, dass jene Bücher, die wohl allein aus vermarktungstechnischen Gründen damit geschmückt werden, sogenanntes esoterisches Gedankengut zu enthalten, kein Dasein als Ladenhüter führen, doch lässt die Qualität mutmaßlich umsatzsteigernder Aussagen auf Buchumschlägen nicht selten zu wünschen übrig.
Kurzum: Kein Hermes Trismegistos musste oder muss sich irgendeinem Zeitgeist anbiedern, derlei möge getrost banaler Wegwerfliteratur und der entsprechenden Zielgruppe vorbehalten bleiben; doch vor allem war der "legendäre weise Ägypter" wohl eine Fiktion, wie beispielsweise nachstehender Textauszug aus dem bei Artemis & Winkler erschienenen Sachbuch "Alchemie im Mittelalter" (Autor: Bernhard Dietrich Haage) erläutert:
"Niemand aber erlangte in ihr (der alchemistischen Literatur; Anm. d. Rez.) größere Bedeutung als Hermes Trismegistos, der 'Dreimalgrößte Hermes', dessen Name der 'Hermetischen Kunst' anhaftet (...) Seine Göttergestalt erscheint ein weiteres Mal als exemplarisches Produkt des hellenistischen Synkretismus in Ägypten. Die Griechen sahen nämlich ihren Gott Hermes, den Führer auf allen Wegen, auch dem letzten ins Jenseits, den kundigen, listenreichen Götterboten, vornehmlich im ägyptischen Gotte Thot [Thoth, koptisch Thout] mit dem Kopf des ihm geheiligten Tieres, des Ibis, Erfinder der Schrift, Gott der Schreiber und der Wissenschaft. Beide verquicken sich zu Hermes Trismegistos. Schon Platon kennt den ägyptischen Thoth ['Theut']. Diesem weisen Gott der Wissenschaft wird zwischen dem 1. Jahrhundert v. Chr. und etwa dem 3. Jahrhundert n. Chr. eine Vielzahl von Werken zugeschrieben, von denen 18 Fragmente im so genannten 'Corpus Hermeticum' auf uns gekommen sind. Die Hermetica waren dem Mittelalter aus Zitaten der Kirchenväter und frühchristlicher Schriftsteller bekannt und aus dem 'Asclepius', der lateinischen Übertragung eines nur sehr fragmentarisch erhaltenen griechischen Traktats, den bereits Augustinus in 'De civitate Dei' heranzieht." (S. 74 f.)

Es liegt in der Natur der Sache, dass die Beschäftigung mit allumfassenden übergeordneten Naturgesetzen in Bereichen wie Religion, Philosophie, Astrologie, Magie, Alchemie und Medizin in jedem Fall Interesse und eigenständiges Denken voraussetzt. Heutzutage wird das Adjektiv "hermetisch" ("dicht verschlossen"), dessen Ursprung übrigens in der Diktion der Alchemisten liegt, verwendet, um verschlossene, schwer zugängliche Lehren zu charakterisieren.
Bei Ebelings Buch handelt es sich freilich keineswegs um einen hermetischen Text, sondern um - in Anbetracht der Thematik - verhältnismäßig zugängliche und verständliche Lektüre.

(Franka Reineke)


Florian Ebeling: "Das Geheimnis des Hermes Trismegistos.
Geschichte des Hermetismus von der Antike bis zur Neuzeit"

Mit einem Vorwort von Jan Assmann.
C.H. Beck, 2009. 214 Seiten.
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Weitere Buchtipps:

"Das Corpus Hermeticum deutsch. Teil 1"

Die griechischen Traktate und der lateinische "Asclepius". Herausgegeben von Carsten Colpe und Jens Holzhausen. Übersetzt und eingeleitet von Jens Holzhausen. (frommann-holzboog)
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"Das Corpus Hermeticum deutsch. Teil 2"
Exzerpte, Nag-Hammadi-Texte, Testimonien. Herausgegeben von Carsten Colpe und Jens Holzhausen. (frommann-holzboog)
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Carsten Colpe: "Das Corpus Hermeticum deutsch. Teil 3"
Forschungsgeschichte und fortlaufender Kommentar. Mit einem Beitrag zum Hermetismus des 16. bis 18. Jahrhunderts von Wilhelm Kühlmann.
Im dritten Teilband liefert Carsten Colpe eine Einleitung in das Gesamtwerk und einen fortlaufenden religionsgeschichtlichen Kommentar zu den zentralen Problemen des "Corpus Hermeticum" in der antiken Tradition. Wilhelm Kühlmann stellt zudem den Hermetismus vom 16. bis 18. Jahrhundert in seinen Grundzügen dar. Die Hermetik vermittelt in ihrer Verbindung von Philosophie und Religion Einblicke in die geistige Atmosphäre der Spätantike und der Frühen Neuzeit und ist deshalb für den Philologen, Theologen und Philosophen von erheblicher Bedeutung. Der Kommentarband bietet eine Geschichte des Hermetismus von der Antike bis ins Zeitalter der Aufklärung und ermöglicht damit auch einen Einblick in die historischen Grundlagen der Esoterik. (frommann-holzboog)
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Marco Frenschkowski: "Die Bücher des Hermes. Das Corpus Hermeticum und andere hermetische Schriften der Antike und des Mittelalters"
In der Begegnung zwischen altägyptischer Religion, Judentum und griechischer Philosophie ist in der römischen Kaiserzeit eine Gruppe von Schriften entstanden, die unter dem Namen des Hermes Trismegistos, des "dreimalgrößten Hermes" überliefert wurde. Hermes ist kein Anderer als der altägyptische Gott der Weisheit, Thot. Diese Schriften behandeln viele philosophische Themen, den Aufstieg der Seele zu Gott, ethische und kosmologische Fragen, aber auch praktische Lebensweisheit. Viele "hermetische" Schriften sind auch stark an magischen und okkulten Themen interessiert; der Zusammenhang dieser Gruppe mit den eher "philosophischen" Hermetica ist erst in den letzten Jahren deutlich geworden. In der Renaissance trug die Übersetzung hermetischer Schriften ins Lateinische durch Marsilio Ficino wesentlich zur Wiederentdeckung des antiken Erbes bei. Der Band bietet eine vollständige deutsche Übersetzung des "Corpus Hermeticum", der wichtigsten antiken Sammlung hermetischer Schriften, und daneben weitere hermetische Texte sowohl aus der philosophischen wie aus der magisch-okkulten Hermetik. Ausführliche Einführungen zu den Texten erschließen sie für den heutigen Anspruch. (Marixverlag)
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Leseprobe:

Vorwort

von Jan Assmann

Der Hermetismus gehört zu den Unterströmen des abendländischen Kulturgedächtnisses; er war nie Hauptstrom, aber er war auch nie vollkommen marginal oder gar ganz verschollen. Die landläufige These, daß es sich hier um eine Wiederentdeckung der Renaissance handele, von der das Mittelalter nichts geahnt habe, wird in diesem Buch schlagend widerlegt. Zwar bedeutete in der Tat das Auftauchen einer Handschrift des Corpus Hermeticum und seine im Jahre 1463 abgeschlossene Übersetzung durch Marsilio Ficino eine geistige Revolution und begründete zumindest in Florenz und Norditalien eine hermetische Tradition eigener Prägung; daneben aber gab es drei Überlieferungswege, auf denen hermetisches Gedankengut durch das ganze Mittelalter hindurch präsent geblieben war: die Zitate der Kirchenväter (vor allem Laktanz und Clemens von Alexandrien), der Traktat Asclepius in lateinischer Übersetzung und arabische, bereits im 12. und 13. Jahrhundert ins Lateinische übersetzte Texte.
So kann Florian Ebeling zwei hermetische Traditionsströme unterscheiden: Der eine, der auf den Schriften des Corpus Hermeticum basiert, ist in Italien zuhause und verbreitet sich von dort aus über Europa, der andere, der vor allem auf der Tabula Smaragdina und anderen ursprünglich arabischen Texten gründet, hat seine Schwerpunkte nördlich der Alpen. Der italienische Hermetismus versteht sich als eine Philosophie in engster Verschwisterung mit dem Neuplatonismus, der nordalpine Hermetismus dagegen versteht sich eher als eine praktische, alchemistisch-medizinische Wissenschaft. Gemeinsam ist beiden Traditionen lediglich die Berufung auf Hermes Trismegistos. Bisher hat man unter dem Stichwort der "hermetischen Tradition" immer den Hermetismus der Florentiner Renaissance und seine Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte verstanden; die Entdeckung eines eigenständigen nordalpinen Hermetismus durch Florian Ebeling hat jetzt unser Verständnis der hermetischen Traditionen grundlegend verändert und erweitert. Dieses Buch fasst daher nicht nur das bekannte Wissen über den Hermetismus zusammen, sondern entwirft zugleich ein ganz neues Bild dieses Gegenstands. In seiner Heidelberger Dissertation hat Ebeling auf der Basis eines Textcorpus von weit über hundert teils bekannten, teils unbekannten alchemistischen Traktaten des 17. Jahrhunderts die Konturen eines eigenständigen Ägyptenbildes gewonnen, in dem Ägypten nicht als eine alte, untergegangene Kultur, sondern als eine lebendige Tradition erscheint, die man beerben und weiterführen kann. So konnte etwa Paracelsus als ein neuer Hermes verstanden werden. Das ist das Ägyptenbild der Rosenkreuzer und Freimaurer, wie es uns zum Beispiel noch in der Zauberflöte entgegentritt.
Hermes Trismegistos gilt als ein ägyptischer Weiser. Das macht die hermetische Tradition so außerordentlich interessant für die Ägyptologie. Unter den verschiedenen Überlieferungen und Erinnerungsfiguren, die ein je unterschiedliches Bild der altägyptischen Kultur im abendländischen Kulturgedächtnis lebendig gehalten haben, ist Hermes Trismegistos die wichtigste und das von ihm repräsentierte Ägyptenbild das großartigste. Neben dem Hebräer Mose und dem Griechen Platon stand für das Abendland daher immer, wenn auch nur selten auf gleicher Höhe, der Ägypter Hermes Trismegistos. Als prototypische Figur des Dritten zwischen Christentum und Heidentum hatte Hermes Trismegistos seine größte Stunde in der Renaissance, und zwar im Rahmen der von Marsilio Ficino als Ur-Theologie (prisca theologia) begründeten Tradition. Damals sah es für etwas mehr als hundert Jahre so aus, als ob sich der Exklusivismus des christlichen Monotheismus mit seiner scharfen Unterscheidung zwischen Religion und Götzendienst sowie zwischen Orthodoxie und Häresie in einer übergreifenden, universalistischen Perspektive aufheben ließe - bis dann im Zuge der Gegenreformation die Grenzen wieder geschlossen wurden und Francesco Patrizi mit seinen Büchern auf dem Index, Tommaso Campanella im Gefängnis und Giordano Bruno gar auf dem Scheiterhaufen landeten. Im Rahmen der Prisca Theologia galt Hermes Trismegistos als ein prominenter, zuweilen gar als der größte, Träger einer Offenbarung, die Gott nicht nur den Juden und Christen, sondern auch den Heiden zuteil werden ließ.
Das Hauptproblem des Hermetismus besteht darin, daß einerseits die verschiedenen sich auf Hermes berufenden Traditionen kaum unter einen Hut zu bringen sind, andererseits aber einige dieser Traditionen anderen Richtungen wiederum zum Verwechseln ähnlich sehen, die sich nicht auf Hermes berufen. "Den" Hermetismus als eine in sich einheitliche und von anderen klar geschiedene Richtung oder gar als ein philosophisches System gibt es nicht. Das macht Ebeling in seinem Buch klar. Der Alchemo-Paracelsismus, der hier erstmals als eine eigenständige hermetische Tradition herausgestellt wird, hat mit dem platonisierenden Hermetismus Florentiner Provenienz kaum etwas gemeinsam. Wenn sich dennoch so etwas wie gemeinsame Elemente herausstellen lassen, dann sind sie wiederum nicht exklusiv "hermetisch", sondern lassen sich auch in anderen Traditionen wiederfinden.

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