Annegret Held: "Das Zimmermädchen"
"So, dann konnte ich ja jetzt endlich in die Neunzehn. Ich nahm mir Eimerchen und rosa Gummihandschuhe und frische Handtücher und meinen allgewaltigen Schlüsselbund. Dieses Geräusch liebte ich am meisten, das Geräusch des drehenden Schlüssels im friesischen Schloss, das Klacken, die Tür öffnete sich. Sesam, Sesam. Ich sah erst mal nicht viel. Es war alles dunkel, und eine eigenartige Schwüle lag in dem Zimmer. Es roch nach schwerem Parfüm und Räucherwerk und Körperausdünstungen und schwersten menschlichen Gefechten. Aber wie sollte der Doktor Wüller das alleine hinbringen, in der ersten Nacht auf Langeoog, eine solche Geruchsintensität und gleichzeitig schwüle Schwingungen wie nach einer schweren, arabischen Nacht? Ich stieß die Fensterläden auf und ließ Licht herein und sah die Verwüstung."
"Das Zimmermädchen" führt uns auf die
schöne Nordseeinsel Langeoog, ein Ort, an dem nur die Feuerwehr und der Notarzt
Auto fahren dürfen und den Familien innerhalb ihrer eigenen Reihen als Ferienort
vererben. Doch um hier Urlaub machen zu können, muss es Menschen geben, die
einem diesen Urlaub gut gestalten, und dazu gehören die Zimmermädchen in den
Hotels und Pensionen. Von einem dieser Zimmermädchen handelt diese Novelle,
die einige private Erfahrungen der Autorin verarbeitet.
Carla ist in den Bergen
geboren, und nach dem Abitur beschließt sie in die weite Welt hinaus zu gehen,
um dort etwas zu lernen. Die weite Welt soll zunächst am Meer sein, und weil
Carla ganz unten anfangen will, bewirbt sie sich als Zimmermädchen auf Langeoog
in der Pension "Zum Deichgrafen". Hier stürzt sie sich in Hausarbeit, wie sie
es zuhause niemals in Erwägung gezogen hätte. Und so, dass es Frau Sörensen,
ihre Chefin, immer wieder irritiert. Carlas Mitstreiterinnen an der Putzfront
amüsieren sich eher darüber, wenngleich sie der Fleiß der Kollegin nicht durchwegs
begeistert.
Diese Novelle wurde nach ihrer Veröffentlichung in der Presse hier und da angegriffen,
weil sie einen Gutmenschen, Carla nämlich, allzu vereinfachend einer Reihe von
nicht so guten Menschen gegenüber stellt. Aber das verkennt, meiner Meinung
nach, das Thema der Novelle. Genauso wenig ist das Buch eigentlich ein reiner
Inselroman, auch wenn er gerne so beworben wird. Begeisterte Inselbesucher werden
ein wenig erstaunt darüber sein, dass man es in sieben Wochen nicht schafft,
die Seehundbänke, das
Birkenwäldchen,
den Hafen, den Flughafen und einiges Andere auf dieser Insel zu sehen, was für
die meisten "Profis" selbst in zwei Wochen zum festen Pflichturlaubsprogramm
gehört. Aber Carla lernt hier in ihrer Art und Weise eben eine neue Welt kennen
und auch ein wenig über sich selbst. Es handelt sich hier nicht um eine Großstädterin,
sondern um eine verhältnismäßig isoliert aufgewachsene Frau, die hier - in einem
gewissermaßen abgegrenzten Umfeld - ihren ersten kleinen Ausbruchsversuch macht,
wobei sie auf ihre Umgebung genauso fremdartig wirkt, wie diese auf sie.
Im Umgang mit den Teilnehmern eines Ärztekongresses, die in der
Friesenpension logieren, mit den Kolleginnen und der Chefin und auch bei
Besuchen in der damals noch existierenden Inseldiskothek "Givtbude" lernt Carla
in der kleinen Welt Langeoog wirklich etwas Neues, bevor sie ihren weiteren
Lebensweg an anderer Stelle fortsetzt.
Stilistisch und emotional mag diese
Novelle ein wenig einfältig oder platt wirken, aber diejenigen, die heute über
30 sind, sollten sich bei der Beurteilung ehrlich fragen, wie sie selbst im
Alter von 18 oder 19 Jahren über das Leben gedacht und gefühlt haben und wie
ihnen ihre Eindrücke von damals heute erscheinen würden. Dieses Fühlen und
Denken hat Annegret Held in "Das Zimmermädchen" vor der Kulisse einer sehr
heilen Welt, denn das ist Langeoog für viele, wieder zum Leben erweckt und dies
dergestalt, zwischen Komik und Tristesse, zwischen Banalität und Raffinesse,
dass man es in seiner ganzen Peinlichkeit nachvollziehen kann.
(K.-G. Beck-Ewerhardy; 09/2004)
Annegret Held: "Das
Zimmermädchen"
marebuch, 2003. 250 Seiten.
ISBN 3-936384-06-1.
ca.
EUR 18,50.
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Annegret Held, geboren 1962, war als
gelernte Polizei-Hauptwachtmeisterin einige Jahre auf Streife, ehe sie
Ethnologie und
Kunstgeschichte studierte. Bekannt wurde sie mit ihrem Roman "Die
Baumfresserin". Annegret Held lebt in Pottum bei Koblenz.
Ein weiterer
Buchtipp:
"Die Baumfresserin"
Sägen, Hobel, Nagelmaschinen,
Stanzen rattern, zischen und kreischen, übertönt nur vom Gatter, der in einer
tiefen Gruft verankerten, gewaltigen, dröhnenden Senkrechtsäge. Die Magie der
geschälten, glatten Oberfläche, der betörende Duft des frischen Holzes hat es
allen angetan, die hier arbeiten. Den Kistenweibern und den Kerlen. Der
Kistenfranz ist als Chef zu weich, dafür mögen ihn alle sehr, und viele tanzen
ihm auf der Nase herum. Estella, die Mannstolle, hat ein Geheimnis, Rudi ist ein
Altenschinder. Paula will später studieren und jobbt vorab in der Kistenfabrik.
Sie hat ein Problem: Ihr Alex sieht immer so merkwürdig aus, beim Lieben.
Veronika, auch eine von den Kistenweibern, will ihrem Hardy jede Nacht eine
verführerische Geliebte sein ... In der Fabrik verknoten sich die Lebensfäden.
(Rowohlt)
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