Markus Bernauer, Norbert Miller (Hrsg.): "Wilhelm Heinse"
Der andere Klassizismus
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Aufsätze rund um Wilhelm Heinse
Im Jahre 2003 jährte sich der zweihundertste Todestag des
Wilhelm Heinse (15.2.1746-22.6.1803), weitgehend unbemerkt und im
Schatten des ebenfalls 1803 verstorbenen Herder und des 1903 geborenen
Adorno. Insel brachte 2003 das inzwischen nicht mehr
erhältliche "Tagebuch einer Reise nach Italien" auf den Markt.
Ebenfalls 2003 gab Hanser den Frankfurter Nachlass in zwei
Bänden heraus, die 2005 durch drei Kommentarbände
ergänzt wurden. Doch selbst in der Subskription liegen diese
fünf Bände zusammen bei über 300 Euro, womit
sie nicht nur thematisch, sondern auch preislich eher für
einen kulturwissenschaftlichen Leserkreis gedacht sind.
Ähnliches gilt für einen 2002 bei Olms erschienen
Band über Heinses "Hildegard von Hohenthal", wofür
man auch eher Literatur- und Musikwissenschaftler im Auge hatte.
Heinses Hauptwerk "Ardinghello und die glückseligen Inseln"
wurde 1975 von Reclam verlegt und 2000 von Manesse. Beide Ausgaben sind
erhältlich und stellten abgesehen von dem "Frankfurter
Nachlass" und der "Hildegard" alles dar, was derzeit über
Heinse verfügbar ist, lässt man antiquarische Quellen
einmal außer Acht. Es existiert weder eine Biografie noch
eine über den "Ardinghello" hinausgehende
Primärliteratur. Doch der köstliche "Ardinghello",
dieses Sprachfeuerwerk, das seitenweise mit gelehrten Monologen und
Dialogen zu Kunst, Wissenschaft und Philosophie daherkommt, zwischen
Antike und Renaissance changierend, teils ernst und sachlich, teils
frivol, dieser "Ardinghello" macht neugierig auf den Autor Wilhelm
Heinse, der mit Gleim verkehrte und den Jacobis, der
Wieland kannte,
Goethe
und
Hölderlin. Interessiert man sich für diese
Epoche, so interessiert man sich zwangsläufig auch
für Heinse.
Angesichts des Mangels an Primärliteratur und
Sekundärliteratur sind die Erwartungen an ein Buch sehr
groß, das auf dem Buchrücken wirbt mit: "Dieser
reich bebilderte Band bietet ein Resümee der
gegenwärtigen Forschung zu Wilhelm Heinses Leben und Werk aus
interdisziplinärer Sicht - und damit die Gelegenheit, eine der
schillerndsten Figuren des 18. Jahrhunderts (wieder) zu entdecken."
Die meisten Aufsätze des vorliegenden Buches gehen auf ein
Wilhelm Heinse-Symposium zurück, das vom 25. bis 27. September
2003 in der Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz
stattfand. Wesentlich beeinflusst wenn nicht initiiert sind die meisten
Aufsätze auch durch den jüngst herausgegebenen
"Frankfurter Nachlass", was sich allein daraus ergibt, dass neun der 17
Autoren auch an diesem Nachlass mitwirkten.
In 17 Beiträgen werden einzelne Aspekte Heinses und
insbesondere seiner großen Italienreise von 1780 bis 1783
untersucht, aus der auch letztlich der "Ardinghello" hervorging. Hier
die Themen:
- Wilhelm Heinses Kunst des sinnlich erfassten Augenblicks
- Heinse Libertin
- Heinse und die Französische Kunst
- Anmerkungen zu Heinses Reproduktionsästhetik
- Heinse als Leser Winckelmanns
- Heinses Aristoteles-Studien in der ersten Düsseldorfer Zeit
- Heinse in der Schweiz
- Zur Darstellung des Rheinfalls in Landschaftsmalerei und (Reise-)
Literatur 1760-1850
- Wilhelm Heinse und
Raffael
- Heinses Verständnis frühchristlicher Architektur
- Heinses Umgang mit antiker Skulptur
- Zur Aneignung der Antike bei Wilhelm Heinse
- Das Bacchanal im Ardinghello
- Heinses Werkstattnotizen zur Musik
- Heinses Auseinandersetzung mit Jean Paul
- Heinses "Anastasia und das Schachspiel" als [...] Beitrag zur
Lebenskunst um 1800
- Wilhelm Heinses Briefwechsel mit Friedrich Heinrich Jacobi
Für Kulturwissenschaftler ist dieses Buch eine
überaus interessante Lektüre. Hier helfen die oben
stehenden Kapiteltitel sicherlich zur Einordnung. Für
interessierte Laien wird dieses Buch aber erst dann seine
Vorzüge ausspielen können, wenn es eine gute und
umfassende Biografie ergänzen kann und ein deutlich besseres
Angebot an Primärliteratur, vielleicht auch in Form einer
erschwinglichen Werkausgabe. Verdient hätte Heinse es allemal.
Zwei Artikel seien jedoch hervorgehoben. Der Herausgeber Markus
Bernauer präsentiert mit "Heinse Libertin" den wohl
biografischsten Beitrag des Buches. Der Lerneffekt bezüglich
des eigentlichen Gegenstands des Buches Wilhelm Heinse ist hier am
intensivsten. Der überaus interessante Aufsatz von Almut
Hüfler wiederum, der sich mit "Anastasia und das Schachspiel"
beschäftigt, betont zwar durchweg den etwas
nüchternen Charakter dieses Stückes, vermag aber
andererseits ein solche Neugierde darauf zu wecken, dass man umso mehr
wieder einmal den bedauerlichen Mangel an Primär- und
Sekundärliteratur beklagen muss.
Die Anmerkungen befinden sich jeweils auf den betreffenden Seiten. Die
auch nachträgliche Erschließung des Werkes anhand
von Registern wurde leider nicht vorgesehen.
(Klaus Prinz; 09/2007)
Markus
Bernauer, Norbert Miller (Hrsg.):
"Wilhelm Heinse - Der andere Klassizismus"
Wallstein Verlag, 2007. 400 Seiten.
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Markus
Bernauer, geboren 1959,
ist Dozent für Deutsche, Allgemeine und Vergleichende
Literaturwissenschaft an
der TU Berlin und war Verantwortlicher Herausgeber von Wilhelm Heinses
Aufzeichnungen.
Norbert Miller, geboren 1937, ist Prof. em. für Deutsche,
Allgemeine und
Vergleichende Literaturwissenschaft an der TU Berlin; edierte u.a. die
Werke
Jean Pauls, Daniel Defoes und Henry Fieldings und gehörte dem
Herausgebergremium von Wilhelm Heinses Aufzeichnungen an.
Weitere Buchtipps:
Wilhelm Heinse: "Ardinghello und die glückseligen
Inseln"
In diesem farbenprächtigen Renaissance-Roman, mit dem Wilhelm
Heinse berühmt
wurde, gehen Lust und Utopie ineinander über. Mit einer
sinnlichen Radikalität,
die ihresgleichen sucht, stellt der Autor die Frage nach der
Perspektive des
Bunten und der Möglichkeit, das Leben durch die Kunst zu
erkennen. Ardinghello
Frescobaldi, ein Florentiner Edelmann des 16. Jahrhunderts und
Inbegriff des
Renaissance-Menschen, ist in eine spannende
Mantel- und Degen-Handlung
verwickelt, die ihn von Venedig über Genua
nach Rom
führt. Dort gewinnt er die
Liebe der hochgebildeten und geistreichen Fiordimona. Um ihretwegen
tötet er
einen Verwandten des Papstes, muss fliehen und wird
Seeräuber.
Auf den Kykladen-Inseln Paros und Naxos gründen Ardinghello
und Fiordimona
schließlich mit Freunden und Geliebten eine Republik der
Freiheit, der Liebe
und des Genusses der Schönheiten von Natur und Kunst.
Dieser Briefroman, den Hölderlin nachhaltig beeinflusste, ist
- in seiner Fülle
von Eindrücken - die Frucht von Heinses dreijähriger
Italienreise und sein
bedeutendstes Werk. (Manesse)
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Wilhelm Heinse: "Die Aufzeichnungen. Frankfurter Nachlass. Band I:
Aufzeichnungen von 1768 bis 1783"
Wilhelm Heinse (1746-1803) gilt zu Recht als einer der bedeutendsten
deutschsprachigen Schriftsteller und Kunsttheoretiker des 18.
Jahrhunderts. Die
erste vollständige Edition seiner in Frankfurt aufbewahrten
Nachlasshefte erschien
in fünf Bänden. Mit ihren literarischen,
kunsthistorischen, archäologischen,
philosophischen und naturwissenschaftlichen Notizen gewährt
sie nicht nur einen
breitgefächerten Einblick in die Kunstgeschichte der damaligen
Zeit, sondern
zeigt zugleich einen großen Sprachmagier am Werk. (Hanser)
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Wilhelm Heinse: "Die Aufzeichnungen. Frankfurter Nachlass. Band II:
Aufzeichnungen 1784-1803"
Band 2 der erstmals vollständigen Edition von Wilhelm Heinses
in Frankfurt
aufbewahrten Nachlassheften umfasst seine von 1784 bis zu seinem Tod im
Jahr
1803 niedergeschriebenen Aufzeichnungen. Ergänzt durch Briefe
von und an Heinse
sowie drei sogenannte Sammelhefte mit verstreuten, posthum
zusammengefassten
Notizen aus verschiedenen Epochen seines Lebens eröffnet sich
dem Leser mit
diesem Band "eines der bedeutendsten Zeugnisse des von Heinse
in Frage
gestellten europäischen Neoklassizismus" (Norbert
Miller). (Hanser)
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Wilhelm Heinse: "Die Aufzeichnungen. Frankfurter Nachlass. Band III:
Kommentar zu Band I"
Der handschriftliche Nachlass von Wilhelm Heinse, in aller
Bescheidenheit
"Aufzeichnungen" genannt, ist ein dichterisches Werk von
weltliterarischer Bedeutung und zugleich eine Fundgrube zur
europäischen
Kulturgeschichte des 18. Jahrhunderts. Der vorliegende Kommentarband
enthält
neben Abbildungsteil und Nachwort den Kommentar zu Band I. (Hanser)
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Wilhelm Heinse: "Die Aufzeichnungen. Frankfurter Nachlass. Band IV:
Kommentar zu Band II"
Der letzte Band der "Aufzeichnungen" rundet mit dem Kommentar zu Band
II, dem Register und einer Bibliografie die Ausgabe ab. (Hanser)
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Wilhelm Heinse: "Die Aufzeichnungen. Frankfurter Nachlass. Band V:
Dokumente, Bibliographie, Nachworte, Bildtafeln, Register"
Der handschriftliche Nachlass von Wilhelm Heinse ist im Rang
vergleichbar mit
den Schriften Georg Christoph
Lichtenbergs. Auf die beiden Textbände folgen
zwei Kommentarbände mit ausführlichen Anmerkungen,
die sich gleichermaßen an
Wissenschaftler und Laien richten, und ein Anhangband mit einem
Register,
Wilhelm-Heinse-Bibliografie und Nachwort sowie einem reichhaltigen
Abbildungsteil. (Hanser)
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