Christoph Hein: "In seiner frühen Kindheit ein Garten"
Von einem Vater, dessen Kind die Familie verriet, um sich in den Dienst der RAF zu stellen; ein wichtiges, oft verdrängtes Stück bundesdeutscher Geschichte
Ein
junger Mann wird wegen Terrorismusverdachts sechs Monate in Haft
gehalten und anschließend aus Mangel an Beweisen
freigelassen. Wenig später taucht er unter, und seine Eltern
und seine Geschwister bekommen einen letzten Brief von ihm.
Danach verfolgen die Eltern - Friederike und Richard Zurek - stets
aufmerksam und regelmäßig die Nachrichten, bis sie
eines Tages von einem Einsatz einer Bundesgrenzschutzeinheit bei
Kleinen hören, in dessen Verlauf zwei Terroristen verhaftet
wurden und einer bei der Verfolgung auf den Geleisen Selbstmord
begangen haben soll. Der Tote ist Oliver Zurek, der nun im wahrsten
Sinne des Wortes verlorene Sohn. Schwer geschockt sitzen die Eltern vor
dem Fernsehapparat und sehen, wie sich die Grundlagen ihrer beiden
Leben zu verschieben scheinen - besonders, weil Oliver vor seinem
Freitod einen Polizisten erschossen haben soll.
Speziell der Vater hat als ehemaliger Schulleiter eines Gymnasiums sein
Leben lang junge Menschen zur Wertschätzung der Demokratie und
des Rechtsstaats erzogen, weil er als Veteran des Zweiten Weltkriegs
vom Gegenteil genug erlebt hatte. Und ausgerechnet sein eigener Sohn
soll nun gegen den demokratischen Staat, dem er Treue geschworen hatte,
in einem Maße vorgegangen sein, der seine direkte oder
indirekte Tötung durch die Staatsgewalt rechtfertigen sollte.
Auch die Mutter, der Helfen und Erhalten von Leben als ehemalige
Hebamme Berufung war, steht verständnislos vor den Ereignissen
um ihren Sohn.
Sowohl "Kameraden" des Sohns als auch die Medien versuchen den Tod auf
dem Bahnsteig und die damit zusammenhängenden Dinge
für ihre eigenen Zwecke zu instrumentalisieren, doch tauchen
schnell Zweifel an der offiziellen Version der Ereignisse auf, so dass
einige sehr bedeutende Männer ihre Hüte nehmen
müssen. Davon aufgestachelt macht sich Richard Zurek an die
Arbeit, die Wahrheit herauszufinden, wobei ihm ein Anwalt helfen soll.
Mit seinem Wunsch und seinem Plan findet er nicht bei allen Verwandten
Zustimmung, denn seine Tochter und sein Schwiegersohn haben kein
Interesse daran, ständig als Angehörige eines
Terroristen in den Medien aufzutauchen. Deswegen ergeben sich zwischen
den Eltern und der Tochter immer mehr Spannungen; besonders nachdem
nach einem langwierigen Ermittlungsprozess jeder Zweifel von
Staatsanwaltsseite für nicht nachvollziehbar erklärt
wird.
Richard, der mit über 70 des Kämpfens müde
zu sein scheint, wird nichtsdestotrotz von einigen Leuten weiter
angetrieben, die Flinte noch nicht ins Korn zu werfen. Und so treibt er
seine Sache weiter voran - auch auf die Gefahr hin, seine Tochter
ebenfalls zu verlieren - und erfährt im Zuge der Geschehnisse
eine Menge über sich selbst sowie seinen Platz in der
Gesellschaft.
Eigentlich ein interessantes und spannendes Thema, das ja auch auf
einem realen Fall basiert, aber der Autor lässt an keiner
Stelle wirkliche Spannung aufkommen. Der Leidensweg der Eltern des
toten Oliver wird zwar bis zu einem Bruchpunkt nachgezeichnet und
erscheint dabei sehr realistisch, aber es ist eine Art jenes Realismus,
der über die realistische Darstellung hinaus keinen
Aussagewert zu haben scheint.
(K.-G. Beck-Ewerhardy; 05/2006)
Christoph
Hein: "In seiner frühen Kindheit ein Garten"
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Christoph
Hein wurde am 8. April 1944 als Sohn einer Pfarrerfamilie in
Heinzendorf/ Schlesien geboren. Nach Kriegsende zog die Familie nach
Bad Düben bei Leipzig, wo Hein aufwuchs. Da ihm als Kind eines
Pfarrhaushalts der Zugang zu einem Gymnasium in der DDR verwehrt war,
zog er im Jahre 1958 nach Westberlin und besuchte als
Internatsschüler ein humanistisches Gymnasium. Der Mauerbau
verschlug ihn wieder in die DDR.
Von 1961 bis 1967 arbeitete er in den unterschiedlichsten Berufen:
Montagearbeiter, Buchhändler, Kellner, Journalist,
Schauspieler kleinerer Rollen und Regieassistent. 1964 holte er sein
Abitur an einer Abendschule nach, und 1967 schrieb er sich an der
Universität Leipzig für das Studium der Philosophie
und der Logik ein, das er 1971 an der Humboldt Universität
Berlin abschloss.
Danach wurde Christoph Hein zunächst Dramaturg an der
Volksbühne Berlin unter der Leitung von Benno Besson. 1974
erhielt er eine Festanstellung als Hausautor und noch im selben Jahr
wurde sein Stück "Schlötel oder Was solls"
uraufgeführt. Mit Benno Besson verließ auch Hein
1979 die Volksbühne und ist seitdem freier Schriftsteller.
Er beschäftigte sich zunächst mit
Übersetzungen, Beiträgen für den Rundfunk
und verfasste Theaterstücke. 1980 gelang ihm mit seinem
Prosadebüt "Einladung zum Lever Bourgeoise" der
öffentliche Durchbruch sowohl in Ost- als auch in
Westdeutschland. 1989 erhielt Christoph Hein eine Dozentur für
den Poetik-Lehrstuhl an der Essener Folkwang-Schule. Seit 1992 ist er
Mitherausgeber der Wochenzeitung "Freitag" sowie Mitglied der Akademie
für Sprache und Dichtung in Darmstadt. 1996 stellte er einen
Antrag auf die Übernahme in den West-PEN. Am 30. Oktober 1998
wurde er zum Präsidenten des vereinigten PEN gewählt.
Weitere Bücher des Autors (Auswahl):
"Landnahme"
Bernhard Haber ist zehn, als er 1950 mit seinen Eltern aus
Breslau
in eine sächsische Kleinstadt kommt, wo man Vertriebene und
Ausgebombte lieber heute als morgen wieder abreisen sähe. Zwar
werden Handwerker gebraucht, und Bernhards Vater ist Tischler, aber die
Einheimischen bestellen ihre Möbel natürlich nicht
bei dem Fremden.
Dem Jungen begegnet man in der Schule nicht viel besser, sich
durchbeißen und immer wieder Schläge einstecken -
das erkennt er rasch als den einzigen Weg. Dass Bernhard nach der 8.
Klasse eine Tischlerlehre beginnt, wundert niemanden, eher schon, dass
er später zeitweise als Karussellbesitzer sagenhaft viel Geld
verdient. Peter Koller, der in einem selbstgebauten Auto zahlende
Gäste nach Westberlin gebracht hat und dafür ein paar
Jahre ins Gefängnis muss, weiß genauer, woher
Bernhards Wohlstand stammt, aber er verpfeift ihn nicht.
Überhaupt hat Haber Glück mit den Leuten um sich
herum: mit seiner Frau Friederike, die ihn anhimmelt, mit seiner
Schwägerin Katharina, die ihm beigebracht hat, was Liebe ist,
mit dem Sägereibesitzer Sigurd, der dafür sorgt, dass
Bernhard als Tischlermeister in den Kegelklub aufgenommen wird, wo die
Selbstständigen sich treffen, um den nötigen Einfluss
auf die Politik des Ortes zu nehmen ... vor 1989 und erst recht in den
wilden Jahren danach.
Christoph Hein erzählt die Lebensgeschichte Bernhard Habers
über fast fünfzig Jahre aus der Sicht und mit den
Stimmen von fünf Wegbegleitern. Es ist der Lebenslauf eines
Außenseiters in der Provinz, der mit der großen
Geschichte scheinbar nichts zu tun hat und doch den Verlauf deutscher
Geschichte vom zweiten Weltkrieg bis zur Jahrtausendwende exemplarisch
spiegelt. (Suhrkamp)
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"Aber der Narr will nicht. Essais"
Dieser Band versammelt Aufsätze, Reden und Essais von
Christoph Hein seit Beginn der 1990er Jahre. Der Autor, ausgewiesen als
scharfsinniger Kritiker der Verhältnisse in der DDR, deren
Untergang er, lange bevor dieser Realität wurde, literarisch
mindestens "elfmal beschrieben hat", richtet seinen unbestechlichen
Blick nun auf die Verhältnisse im vereinigten Deutschland, auf
die Fluchtpunkte des Rechtsstaats und auf dessen Begriffe von Freiheit
und Sicherheit.
Dass etwa in einem konkreten Fall ein Agenturfoto vom Besuch des
amerikanischen Präsidenten in Deutschland zur
Veröffentlichung retuschiert wurde, und nunmehr statt eines
kritischen Plakats ins Bild montierte Gesichter zu sehen sind, erinnert
Hein an alte Erfahrungen. Er regiert darauf mit einem
bitterbösen Plädoyer für den Stalinpreis.
Immer wieder thematisiert Hein Ausländerfeindlichkeit und
Migrationsprobleme. Ein langer Aufsatz ist dem Werk Arno Schmidts
gewidmet, ein anderer den "unabdingbaren Voraussetzungen beim
Kleist-Lesen". Kürzere Text gelten den Lieblingsautoren und
Freunden wie Hans Mayer, Thomas Brasch, Benno Besson, Heiner
Müller und Siegfried Unseld.
Hein fragt nach der Rolle des Intellektuellen in der modernen Welt,
nach der moralischen Verpflichtung des Künstlers, durchaus
auch in der Sphäre des Politischen, und er preist den
"lebenswichtigen Nutzen der Kirschblüte". (Suhrkamp)
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"Der Ort.
Das
Jahrhundert. Essais"
Christoph Heins schriftstellerische Arbeit ist seit ihren
Anfängen von Essais begleitet, in denen er über die
Voraussetzungen seines Schreibens nachdenkt, etwa über
"Sprache und Rhythmus", über
Heine,
Proust und
Goethe
oder auch über Geschichte und aktuell Politisches bzw. das
Verhältnis von Intellektuellen und Politik. Wie in seiner
Prosa und in den Theaterstücken erweist sich der Autor auch
hier als ein wacher und genauer Chronist der Zeit.
Dieser Band versammelt Essais von Christoph Hein aus etwa 20 Jahren,
deren zentraler Bezugspunkt der Ort des
Jahrhunderts ist: Auschwitz. Darunter befinden sich solche
berühmt gewordenen wie "Die fünfte Grundrechenart"
über Stalins
Verbrechen und die weißen Flecken der Geschichtsschreibung
oder "Die Zensur ist überlebt, nutzlos, paradox,
menschenfeindlich, volksfeindlich, ungesetzlich und strafbar",
vorgetragen auf dem X. Schriftstellerkongress der DDR 1987. Daneben
gibt es neue, in Buchform bislang ungedruckte Texte aus den Jahren nach
dem Mauerfall wie die Eröffnungsrede zur Frankfurter Buchmesse
1994 oder einen Essay über "Wanderschaft und Exil", in dem
Christoph Hein
über Ausländerfeindlichkeit und
Antisemitismus nachdenkt bzw. über das Verhältnis zu
sich selbst und zum jeweils als fremd Empfundenen. (Suhrkamp)
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"Guldenberg" zur Rezension ...
"Trutz" zur Rezension ...
"Weiskerns Nachlass" zur Rezension ...
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"Glückskind mit Vater" zur Rezension ...
"Die
Stücke"
Christoph Hein ist in Deutschland nicht nur als Prosaautor und Essayist
von großer literarischer Bedeutung, sondern ebenso als
Dramatiker. Als Dramatiker begann er seine schriftstellerische
Karriere, und während er eigene Stücke verfasste,
arbeitete er als Regieassistent bei Benno Besson, später als
Dramaturg und Autor an der Berliner Volksbühne.
Dass Hein ein scharfer Beobachter und Chronist ist, hat er in seinen
Romanen vielfach bewiesen. Auf ähnliche Weise hält er
der Gesellschaft in seinen bislang sechzehn Stücken - zumeist
Komödien, Schauspiele und Bearbeitungen - den Spiegel vor,
schildert politische und soziale Umbruchsituationen, hinterfragt den
gesellschaftlichen Status des Intellektuellen, blickt hinter die
Fassaden bürgerlicher Wohlanständigkeit.
Alle Stücke wurden zur Aufführung gebracht, vor allem
auf den Bühnen von Düsseldorf und
Dresden.
Das komplette dramatische Werk Heins in einem Band. (Suhrkamp)
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