Heiko Michael Hartmann: "Das schwarze Ei"


Schon in seinen beiden ersten Romanen "MOI", 1997 erschienen, und in dem 2000 ebenfalls bei Hanser veröffentlichten Roman über einen deutschen Beamten "Unterm Bett" hat Hartmann eine Komik ganz eigener Art kreiert und gezeigt, mit einer Sprache voller sarkastischer Bemerkungen und schneidender Schärfe.

In seinem neuen Roman erzählt er die Geschichte eines jungen Mannes, der sich kurz nach seinem Studienabschluss unter anderem bei einer der großen deutschen Parteien in Berlin bewirbt. Deren Parteizentrale, "Das schwarze Ei" genannt, ist der Hauptort der Handlung. Der im ganzen Roman namenlos bleibende Bewerber gerät an eine Sekretärin, von der sich später herausstellt, dass sie nur vertretungsweise auf dieser Stelle gearbeitet hat. Aus unterschiedlichen Gründen, gibt sie dem Protagonisten zu verstehen, habe sie seine Unterlagen "überarbeitet" und ihm eine ganz neue Vita verpasst. Gefragt, warum sie solche Betrügereien unternehme, gibt sie an, denen da oben einmal richtig eins auswischen zu wollen und endlich auch einmal etwas selbst entscheiden zu können. Studium und Abschluss in Princeton, eine Verwandtschaft mit dem Bundespräsidenten - sie greift ins Volle.

Der Protagonist erhält die Stelle und soll auch gleich für den Generalsekretär der Partei eine Rede für einen Aids-Kongress schreiben. Dies gestaltet sich jedoch problematisch, grenzt doch sein Arbeitsraum direkt an einen Videoraum, wo mehrere Angestellte 25 Fernsehprogramme beobachten, um vielleicht irgendwann einmal etwas zuerst zu entdecken, so wie damals, als in einer "Talkshow" weit nach Mitternacht der rheinland-pfälzische Ministerpräsident die Gesundheitsministerin mit Göring verglich, und man sofort einen vielleicht wahlentscheidenden Skandal witterte.

Der Protagonist lernt die Gesundheitsministerin einige Zeit später persönlich kennen, sie bietet ihm eine Referentenstelle an, und sie hat es ihm fortan angetan. Permanent kreisen seine Gedanken um sie, und er meint ein Komplott am Werk zu sehen, das zu ihrem Rücktritt führen soll.

Seine Wohnsituation dagegen ist prekär; er wohnt, von einer Freundin vermittelt, in einem abbruchreifen Haus, in dem auch Kriminelle verkehren. Er erhält den Auftrag, eine Grundsatzrede zum Thema "Die Zukunft der Freiheit" zu schreiben, wird zwischendurch mit allerlei geheimnisvollen Botengängen beauftragt, muss unter abenteuerlichen Bedingungen die Parteifahne retten (!) und kommt mit vielen , z.T. recht skurrilen Mitarbeitern der Parteizentrale zusammen, von denen er die unglaublichsten Sachen erfährt. Womit sich eine Partei alles befasst ...

Ob seine falsche Identität hält, soll hier offen bleiben. Hartmann gelingt es, mit viel Witz den Politikbetrieb in Berlin auf die literarische Schippe zu nehmen.
Ob er allerdings dazu unbedingt eine solch verschachtelte, schwer lesbare, manchmal regelrecht abgehackte Sprache braucht, sei dahingestellt. Ein Beispiel für die Sprache, die das Buch von Anfang bis Ende durchzieht:
"Sie hatte, er sagte, sich wieder dem Regal zugewandt, ja, das sei, so denke er, in einer Gesellschaft, die, bar sonstiger, er suchte nach einem Wort, das glatte, exakt geschnittene Haar, es fiel, blond, voll, ihm nicht ein, weshalb, sie wandte wieder den Kopf, er neu begann und, redend, fuchtelnd, sich, es flüchtig bemerkend, wünschte, sie, dicht über ihm, schüttle hin und her, wie manche Frauen mit Babys spielen, den Kopf, so dass, die Haare, glatt, voll, ihm, das wäre wunderbar, übers Gesicht strichen. Die freie, sagte, nur zum Beispiel, er, Entwicklung der Persönlichkeit oder, wollte, bevor der Satz, er konnte, mittendrin, zog, die Reihe prüfend, sie jetzt plötzlich - was ? - mit Wut aus dem Regal und sagte: 'Schon wieder!'"

Doch man gewöhnt sich beim Lesen daran und gewinnt dieser Kunstsprache etwa ab der Mitte des Buches sogar einiges an Stil ab.
Ich werde diesen Autor im Auge behalten und bin gespannt auf seinen nächsten Roman.

(Winfried Stanzick; 09/2006)


Heiko Michael Hartmann: "Das schwarze Ei"
Hanser, 2006. 234 Seiten.
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Heiko Michael Hartmann wurde 1957 in Miltenberg geboren, studierte Rechtswissenschaft und Philosophie. Er arbeitet als Jurist in Berlin. Für seinen ersten Roman "MOI" wurde er 1996 beim Klagenfurter Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb ausgezeichnet.

Weitere Bücher des Autors:

"MOI"

Überträger des schrecklichen MOI-Virus ist ein Geldschein. Während der infizierte Held dieser zum Sterben komischen Krankengeschichte grübelnd im Isoliertrakt eines Spitals auf sein Ende wartet, leidet er, als echter Misanthrop, bald mehr unter seinen Mitmenschen als unter dem Virus. Der rabenschwarze Roman zwingt einen zu lachen, wo ein anständiger Mensch definitiv nicht lacht.
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"Unterm Bett"
Dominik Vogel, der traurige Held aller Amtsstuben, will fortan sein Leben nicht mehr in einen Leitz-Ordner sperren lassen. Schlüsselroman über den höheren Unsinn des (Beamten-)Lebens.
Dort, wo schon die Überwachung einer Putzfrau zum Scheitern verurteilt ist, soll Dominik Vogel Banken beaufsichtigen: in einem Amt, das die staatliche Aufsicht über die Finanzwelt ausübt. Banken! Dieser Inbegriff glanzvoller Macht, geheimnisvoll und unnahbar! Dominik Vogels Kampf ("Ich bin ein Beamter") ist ein aussichtsloser: der Kampf einer nationalen Beamtenschaft gegen die erfolgreiche, globalisierte Bankenmacht.
Wo schrullige Beamte in verbeulten Hosen von Urlaub, Sex oder der nächsten Beförderung träumen und die Zeit in den Amtsstuben noch ein guter Freund ist, der jedem aus der Patsche hilft, haben die Mächtigen "da draußen" nicht allzuviel zu fürchten. Manchmal legt Dominik Vogel seinen Kopf an die Weltkarte neben seinem Schreibtisch und träumt davon, sich unter seinem Bett verstecken zu dürfen. Aber dann! Eine stürmische Affäre mit einer Kollegin, ein Korruptionsfall mit tödlichen Folgen und eine überraschende Reise zum Wirtschaftsgipfel nach Japan drohen ihn aus seiner heilen Welt hinauszukatapultieren ...
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Noch ein Buchtipp:

Iain Levison: "Abserviert. Mein Leben als Humankapital"

Iain Levison erzählt in dieser bitter-witzigen Gesellschaftssatire voll Galgenhumor von einer Odyssee durch über 40 verschiedene Anstellungen in sechs Staaten. Er beschreibt eine erbarmungslose neue Arbeitswelt, in der man sich nur mit zynischem Humor und listigen Überlebensstrategien durchzuschlagen vermag.
Er ist gebildet und höflich, sieht ordentlich aus, hat einen Hochschulabschluss - und ist auf Arbeitssuche. Den Wunsch, einen Beruf ergreifen zu können, in dem er sich selbst verwirklichen kann, hat er aufgegeben, längst geht es nur noch darum, eine Tätigkeit zu verrichten, mit der er sich über Wasser halten kann. Allerdings ist er so anständig wie er aussieht und so klug wie sein Lebenslauf es verspricht, aber auch individuell und Selbstdenker genug, um für viele Anstellungen nicht in Frage zu kommen. Gezwungenermaßen nimmt er sie dennoch an, erweist sich jedoch stets wie erwartet als völlig unbrauchbar. Besonders dann, wenn es um "Kompetenzen" wie als "Teamgeist" bezeichnete Willenlosigkeit geht, Anpassungsfähigkeit, Arschkriecherei oder Sadismus. Und so ist er jede Beschäftigung auch bald schon wieder los ...
Gebannt folgt man dieser spannend, rasant und witzig erzählten Odyssee durch erniedrigende Dienstverhältnisse, von denen man noch nicht einmal wusste, dass es sie gibt. Levison beginnt mit dem Durchblättern der Stellenangebotsanzeigen und endet konsequent damit: Der Arbeitnehmer muss mobil sein und flexibel, er hat eine unendliche Reise begonnen. (Matthes & Seitz)
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Leseprobe:

"Die Stelle - worauf kommt es am meisten an?"
Sie lachte und deutete, der Wind blies ihr in die Haare. In der Richtung ihres Arms erkannte er die Kuppel des Parlamentsgebäudes.
"Glauben Sie an Gerechtigkeit?"
Widerwillig - wozu die Frage? - nickte er.
"Dann darf ich Ihnen keine Vorteile verschaffen."
Er errötete. Sie begann zu lachen. Ob er denn keinen Humor habe, im Grunde gehöre ihm die Stelle schon. Er blickte zurück zur Parlamentskuppel. Ein neuer dummer Scherz der Sekretärin? Was wußte sie? Spielte sie sich bloß auf? Offenbar hatte sie keine Ahnung, wie wichtig es für ihn war, die Stelle zu bekommen. Sie deutete und gab ein paar Erklärungen über Gebäude und Straßen. Es handle, sagte sie, sich um ein altes, historisches Viertel, das im Krieg, und lächelte dabei, sei alles, was, hörte er und dachte nach, jetzt noch davon da, endlich, begriff er: Eine Inszenierung, eine Falle, das Vorstellungsgespräch hatte längst begonnen!
Den Kopf still, bewegte er die Augen. Gab es Kameras? Oder reichte die Zeugenschaft der - war sie überhaupt Sekretärin? Schauspielerin? Abteilungsleiterin? Worauf kam es jetzt an? Oder hatte er schon alles vermasselt? Ob er, unterbrach sie sich plötzlich selbst, wirklich geglaubt habe, sie fahre, wenn er keine Chance habe, die Stelle zu bekommen, mit ihm aufs Dach und zeige ihm alles?
Er schüttelte den Kopf, deutete auf ein Gebäude und fragte. Zeit gewinnen! War es richtig, der Sekretärin aufs Dach zu folgen? Hätte er nicht widersprechen müssen, um seine Zielstrebigkeit zu beweisen? Ihr Verhalten im Aufzug - eine einzige Provokation, wie konnte er das dulden? Wer nicht einmal eine Sekretärin in den Griff bekommt ...
"Statt zum Vorstellungsgespräch", unterbrach er sie, vielleicht ein wenig zu laut, "haben Sie mich aufs Dach gebracht."
"Bloß um Ihnen erst mal einen Überblick zu verschaffen. Schauen Sie, das schwarze Ei!"
Sie deutete auf einen kleinen Anbau mit ovalem Grundriß, dessen Außenseite mit glasierten schwarzen Kacheln verkleidet war. Er hielt sich an der Brüstung fest.
"Schwarzes Ei?"
"Da wollen Sie doch rein."
Machte sie sich über ihn lustig? Oder hieß der ovale Bau wirklich so?
"Sie brauchen nicht zu glauben, daß ich keine andere Stelle finden würde."
"Ihre Bewerbungsunterlagen sind hervorragend."
Das also wußte sie.
"Ich könnte habilitieren und an der Universität bleiben."
Sie lachte. Sein Blick fiel zurück aufs schwarze Ei. War sie dumm oder ungewöhnlich intelligent? Das war nicht normal, was sie sich ihm gegenüber herausnahm. Sie drehte sich in eine andere Richtung. Die Art, wie sie die Arme verschränkte, zeigte, daß sie fröstelte. Der Wind blies ihr das Haar übers Gesicht. War sie schön? Sie zog sich von hinten hoch und setzte sich, ihm zugewandt, auf die Brüstung.
"Haben Sie eine Freundin?"
Sein Blick streifte von ihr ab.
"Wird Sie mitkommen, wenn Sie hierher ziehen?"
Ein winziger Stoß, und die Sekretärin würde nach hinten über die Brüstung fallen. Sie grinste, er brauchte sie nicht anzusehen, um das zu wissen. Mit einem Ruck drehte er sich um: Waren sie nicht schon viel zu lange auf dem Dach? Keine Angst, Toledo sei selber der Unpünktlichste. Toledo? Ihr Chef, er entscheide über die Einstellung. Er blickte noch einmal zur Kuppel, dann, als habe er’s verstanden, das ganze, von ihr eingefädelte Spiel, faßte er sie am Arm.
"Wir müssen sofort los!"
Auch sie geriet nun in Eile. Also hatte er recht. Oder war sie nur dumm? Hastig verließen sie das Dach.
"Gibt es keine Treppe?"
Der Aufzug kam nicht, vergeblich drückte er den Knopf.
"Sie müssen Herrn Toledo sagen, daß Sie mich aufs Dach geführt haben."
"Wozu? Er interessiert sich nicht für meine Freizeit."
"Freizeit?"
"Es ist doch Mittagspause."
Als der Aufzug endlich kam, drängte er, die Sekretärin sollte seine Wut ruhig bemerken, sich an ihr vorbei. Doch schien das bei ihr nur Trotz auszulösen. Kaum waren sie im Aufzug, drückte sie mehrere Knöpfe zugleich.
"Was soll das? So kommen wir nie hinunter."
"Reden Sie nicht so mit mir. Sie glauben wohl, eine Sekretärin habe keinen Einfluß?"
Wieder erfaßte ihn der Gedanke, alles sei nur inszeniert. Unmöglich, daß eine Sekretärin auf eigene Faust so mit den Stellenbewerbern sprach. Welche, vielleicht hat sich auch ihr Freund beworben, Absicht verfolgt sie?
"Sie wollen wohl verhindern, daß ich die Stelle bekomme?"
"Im Gegenteil. Der Ausflug aufs Dach sollte Ihnen die Steifheit nehmen. Aber Sie haben alles verdorben."
Er blickte durchs Glas nach unten. Dort warteten bereits Leute und deuteten zum Aufzug hoch, der auf jeder Etage hielt, ohne daß jemand ausstieg. War Toledo dabei?

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