Ludwig Harig: "Kalahari"
Ein wahrer Roman
Porträt
einer deutsch-französischen Freundschaft
Mit diesem Roman legt Ludwig Harig, ein Autor aus dem Saarland, dem die
deutsch-französische Verständigung ganz besonders am
Herzen liegt, die Biografie seines französischen Freundes
Roland Cazet vor.
Die beiden lernen sich Ende der 40er-Jahre, kurz nach dem Krieg also,
als junge Studenten in Lyon kennen und freunden sich sofort eng an. Die
Freundschaft wird bis an Rolands Lebensende 1999 halten und durch
regelmäßige Besuche gefestigt werden.
Roland stammt aus einer Familie, die dem Deutschen sehr verbunden ist:
Bereits sein Großvater hatte reges Interesse daran und
ließ sich von deutscher Technik faszinieren, und dem Vater
konnte nicht einmal sein Einsatz im Ersten Weltkrieg die Begeisterung
für die deutsche Kultur austreiben.
Auch Roland spricht vorzüglich Deutsch. Bald lernen sich die
Familien der Freunde bei gegenseitigen Besuchen in herzlicher
Atmosphäre kennen, Roland ist ein gern gesehener Gast im
damaligen Saargebiet, Ludwig in Burgund. Und beide verfolgen
hochtrabende Pläne, es zieht sie in die Ferne. Für
Roland, dessen Maxime lautet: Ich nehme mir das Meine, wo ich es finde,
verkörpert die Kalahari die ganze Sehnsucht seines Lebens,
dort möchte er einmal hin.
Während Ludwig sich schließlich wieder im Saarland
niederlässt, nähert sich Roland dem Traum von der
Kalahari schrittweise an, ohne ihn je wahrzumachen. Als Lehrer arbeitet
er nacheinander in Ägypten, Äthiopien und Djibouti
und geht für die Dauer seines Aufenthalts ganz in der Kultur
dieser Länder auf, doch Erfüllung findet er nirgends;
auch ein Aufenthalt auf Tahiti - er folgt den Spuren Gauguins - wird
diesbezüglich zur Enttäuschung. Syrien kann ihn
ebenfalls nicht halten.
Als Roland älter wird, kehrt er heim nach Frankreich, nach
Burgund. Es verwundert nicht weiter, dass er niemals bis zur Kalahari
vorgedrungen ist, vermutlich möchte er sich diese letzte,
sozusagen ultimative Enttäuschung ersparen.
Roland stirbt qualvoll an einem Krebsleiden.
Bis der Leser zur eigentlichen Biografie Rolands vordringt, hat er rund
ein Drittel des Buchs gelesen, denn vorab stellt der Autor Rolands
Großvater und Vater vor, die sich, jeder auf die seiner
Generation angemessene Weise, mit Deutschland, den Deutschen und ihrer
Kultur und Sprache auseinandergesetzt haben. Als Quelle benutzt Harig
Aufzeichnungen seines Freundes, vor allem aber eine von dessen Nichte
zusammengestellte Chronik, die er allerdings mit einer ordentlichen
Portion Selbstgefälligkeit immer wieder scharf kritisiert und
zugleich nach seinem eigenen Gusto ausschmückt. Ab und an
wirken die so entstandenen Lebensbilder etwas romantisch
verklärt.
Das häufige Aus- und Abschweifen gehört ohnehin zu
Ludwig Harigs Stil - daran muss man sich als Leser gewöhnen,
auch wenn man mit einem außerordentlichen
Erzähltalent, angenehm flüssigem, griffigem Stil,
einem Schuss Humor und schöner Sprache buchstäblich
verwöhnt wird. Die Personen aus Harigs Umfeld (zum Beispiel
Angehörige der "Stuttgarter Gruppe"), die unvermittelt
auftauchen, werden nur selten vorgestellt, weshalb es sich lohnt, vor
der Lektüre erst einmal in seiner Biografie nachzusehen; dann
allerdings tut sich vor dem Leser so authentisch wie nur
möglich die Welt der 50er, 60er und 70er in der jungen, immer
wieder spannungsgeladenen und von heftig geführten
Kontroversen geprägten Bundesrepublik auf, wie sie einerseits
ihren Bürgern, andererseits einem einigermaßen
objektiven Besucher wie Roland erschien. Und auch die Entwicklung des
Nachbarlandes Frankreich aus der Sicht des Franzosen und seines
deutschen Freundes ist lesenswert, ebenso wie die kurzen
Reisebeschreibungen.
Angesichts der Vielfarbigkeit dieses Romans und der Bewegtheit von
Roland Cazets Leben kann der Leser es dem Porträtierten
verzeihen, dass er die Kalahari letztlich nicht gesehen hat.
Schwieriger ist es zuweilen, mit der sehr persönlichen
Färbung der Erzählung zurechtzukommen, die den Leser
zu allzu enger Intimität nötigt, zum Beispiel mit der
sehr detaillierten Schilderung des Krankheitsverlaufs und Rolands
einsamem Tod - so nahe ist man Roland im Verlauf der Lektüre
dann doch nicht gekommen, als dass dies gerechtfertigt wäre.
(Regina Károlyi; 02/2007)
Ludwig
Harig: "Kalahari.
Ein wahrer Roman"
Hanser, 2007. 214 Seiten.
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Ludwig
Harig wurde am 18. Juli
1927 in Sulzbach/Saarland geboren. Seit 1950 Volksschullehrer; erste
Veröffentlichungen
eigener literarischer Texte, zunächst in kleineren
Literaturzeitschriften und
Anthologien. 1961 erste Buchveröffentlichung (‘haiku
hiroshima’). Seit 1960
Übersetzungen aus dem Französischen, vor allem
einiger Werke Raymond Queneaus.
Mitte der 1960er Jahre brachte Harig die Erfahrungen des
experimentellen Autors
ins ‘Neue Hörspiel’ ein und entwickelte
sich zu einem der wichtigsten
Erneuerer dieser Radiogattung.
1974 quittierte Harig den Schuldienst und lebte seither als freier
Schriftsteller.
Er war Mitglied des PEN Zentrums der Bundesrepublik Deutschland, der
Akademie für
Sprache und Dichtung in Darmstadt, der Mainzer Akademie der
Wissenschaften und
der Literatur, und der Mannheimer Freien Akademie der Künste.
1982 Gastdozentur an der University of Texas, Austin. 1987
Poetikvorlesungen an
der Frankfurter Goethe-Universität. 1989 Poet in Residence an
der Universität
von Warwick in England.
Ludwig Harig starb im Alter von 90 Jahren am 5. Mai 2018 in seiner Heimatstadt Sulzbach.