Elizabeth Hardwick: "Herman Melville"
Für Eine
wie mich, die nie über ein paar Seiten von "Moby Dick" hinaus gekommen ist und für
die alles, was sie von Herman Melville kennt, die kleine Erzählung, der wieder
und wieder gelesene und noch immer funkelnde Diamant "Bartleby,
der Schreibgehilfe" ist, ist Elizabeth Hardwicks
brillante Biografie die perfekte Einführung in ein Universum, das aus Walfang,
Südsee und Verzweiflung besteht. Mit einer herkömmlichen Biografie hat diese Studie
allerdings nur ganz entfernt zu tun, ist sie doch fast ganz aus den Elementen
der Melvilleschen Werke gebaut, und die spärlichen biografischen Informationen
werden uns nur gegeben, wo es notwendig scheint.
Das hat einen einfachen Grund:
"Es existieren wohl überhaupt keine Unterlagen für eine ausführliche, befriedigende
Biografie des Mannes" (S. 54).
Die Kapitel haben klare, einfache
Namen wie "Walfang",
"New York" oder die Titel Melvillescher Werke wie "Taipi", "Omu", "Mardi" oder
eine Kombination aus beiden: "Familie", "Pierre", "Benito Cereno", "Bartleby".
Das sagt schon einiges aus über Hardwicks destillierenden Stil, und eine Destillation,
ein Konzentrat ist dieses "eigene Körnchen von meinem Hinterhof" denn auch. Genau
das Richtige, um hinter dem warmen Ofen von der Südsee zu träumen, während es
draußen schneit: "Mit den Jahren weckte dieses unaufhörliche In-die-Ferne-Schweifen
in mir eine unbestimmte prophetische Vorstellung, dass ich vom Schicksal ausersehen
sei, eines Tages ein großer Reisender zu werden ..." (S. 34).
Im Nachwort
entschuldigt sich die Autorin dafür, "den 'homoerotischen Refrain in Melvilles
Büchern ein wenig zu Gehör gebracht zu haben." "Aber", fügt sie hinzu,
"dieses
wiederkehrende, musikalische Thema hat Melvilles heutiger Reputation keinen Schaden
getan. Ich muss gestehen, ich fand es bemerkenswert, und so habe ich die Noten
jeweils an jenen Stellen vermerkt, an denen ich die Melodie vernommen habe. Was
sie bedeutet, können wir nicht wissen. Die jungen Männer sind von jener traumhaften
Schönheit, die vergeht, wenn der Tag anbricht. Und dabei wollen wir es belassen."
Das ist ein Beispiel für Hardwicks hymnische und zugleich
witzige, aber dem Thema durchaus angemessene Sprache, denn jemand der wie der
Ich-Erzähler, also vielleicht Melville selbst, in ""Bartleby, der
Schreibgehilfe" auf die Frage, ob er,
Bartleby schlafe, antwortet: "Mit Königen und Ratsherren", um zu sagen, dass er
tot ist, verdient nichts Anderes und muss selbst zu jenen außergewöhnlichen Geschöpfen
gezählt werden, die Elizabeth Hardwick so präzise porträtiert wie
Ahab,
den vom Wunsch den Wal zu töten Besessenen, der das "Moby
Dick"-Kapitel
beherrscht, das den Kern der Studie bildet, wie das Ich in "Taipi", das später zu
Ismael wird "als wollte es endlich offenbaren, was es über sich selbst dachte.
Dieses Ich hielt sich für einen Ausgestoßenen, einen Sohn Abrahams,
wenn auch nicht von königlichem Geblüt" (S. 54), wie Billy Budd, den Engel Gottes,
Redburn, den Sohn eines Gentleman in der Handelsmarine, Bartleby, der lieber nicht
möchte und an seiner sanften Verweigerung stirbt und dessen Leben genauso traurig
gewesen zu sein scheint wie
Melvilles
Leben.
Wirklich wissen
können wir aber nichts darüber, und auch Elizabeth Hardwick weiß es nicht - und
diese Frage offen gelassen zu haben ist einer der vielen Vorzüge dieser Biografie.
(Barbara Zanotti; 10/2002)
Elizabeth Hardwick: "Herman Melville"
Übersetzt von Bernhard Robben.
Claassen Verlag, 2002. 200 Seiten.
Buch
bei amazon.de bestellen