Hans Höller: "Peter Handke"
Sprache
und Politik
"Zum ersten Mal werden Leben und Werk dieses Welt-Autors in
einem biografischen und historischen Zusammenhang dargestellt."
- so der vielversprechende Klappentext über einen ebenso fast
in Vergessenheit geratenen wie umstrittenen Autor. Handke wurde am 6.
Dezember 1942 in dem Südkärntner Dorf Griffen in der
Nähe des von deutschen Truppen besetzten Jugoslawien geboren.
Die Mutter Maria Suitz war Slowenin, der leibliche Vater Handkes, ein
verheirateter Wehrmachtssoldat, verließ die Mutter noch vor
dessen Geburt - der deutsche Soldat Bruno Handke heiratete die Mutter
noch im November 1942. Handke spricht in seinen Kindheitserinnerungen
oft von traumatischen Erfahrungen. Nach Höller sei
für Handke der Bruch "zwischen der vormodernen,
dialektalen Sprachwelt der Provinz (...) und der technisierten Welt
der
Metropolen, der neuen Kommunikations-, Zeichen- und Bildmedien"
prägend gewesen. Dieses "Zerbrechen der
Kontinuitäten" taucht in seinen Texten immer wieder thematisch
und sprachlich auf. Über seine Zeit im bischöflichen
Stiftsgymnasium Tanzenberg sagt Handke, er sei "eigentlich
nie von den offiziellen Erziehern erzogen worden, sondern (ich) habe
mich immer von der Literatur verändern lassen."
(vgl. 'Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms'). Als eine Befreiung
empfindet Handke ab 1959/60 die Busfahrten zum Klagenfurter
Bundesgymnasium. Nach einen sehr guten Abitur studiert Handke in Graz
Rechts- und Staatswissenschaften (1961/66). Bereits ab 1964 kann Handke
veröffentlichen (z.B. in der Zeitschrift 'manuskripte') und
für den Rundfunk arbeiten (z.B. 'Studio Steiermark'). Anfang
1966 bricht Handke sein Studium ab, lebt als freier Schriftsteller -
und Suhrkamp veröffentlicht seinen ersten Roman 'Die
Hornissen'.
So wie Handke auf dem Autorenfoto von 1967 haben viele von uns damals
ausgesehen, die wir uns für Literatur und Beatmusik
interessierten: Pilzkopf mit Sonnenbrille. Abgesehen davon, dass das
gelangweilte Feuilleton begierig den "ersten Popstar der
deutschen Literatur" hochjubelte, weil er wie ein Beatle
aussah, sorgte ein rabiater Auftritt bei der Gruppe 47 noch dazu in
Princeton für eine Sensation, als er der deutschen
literarischen Elite "Beschreibungsimpotenz"
vorwarf. Hans Mayer nahm als einer der maßgeblichen Kritiker
damals die Realismuskritik bereitwillig auf. Handkes Diktum
mündete in der Essenz, "dass die Literatur mit der
Sprache gemacht wird, und nicht mit den Dingen, die mit der Sprache
beschrieben werden." Handke wollte eine Mischkultur -
Literatur und Leben sollten zueinander kommen - seine Lesungen wurden
zu Happenings, seine beiden Stücke
'Publikumsbeschimpfung' (1966) und 'Kaspar' (1968) waren die
literarischen Sensationen, welche die Literatur aus ihrer
elitären Existenz befreien sollten.
Reich-Ranicki und
Grass
waren sich einig in ihrer Verteidigung des
Realismus gegen Handke - Adorno unterstützte die
Sprachsensibilität Handkes, die er mit dem Feingefühl
der 'Prinzessin
auf
der Erbse' verglich. Im 'Kaspar' ist angelegt, was
im Grunde viele Handke-Figuren umtreibt: Versuche des Ich, sich in
einem "sprachlichen und außersprachlichen
artifiziellen Zeichensystem zu bewegen" - was in ein "verzweifeltes
Um-sich-Schlagen
oder in Erstarrung und Stummheit"
münden kann. Handke exerziert die "begriffsauflösende
Funktion der Kunst" - weil er die Gefahr sieht, der Mensch
könne an den (gesellschaftlich) aufoktroyierten Begriffen
zerbrechen, bzw. an deren Aneignung scheitern - und damit die
gesellschaftliche Integration freiwillig/unfreiwillig verweigern.
Als Handke in der BRD lebt (1966/73) will er sich als Literat in die
gesellschaftlichen Vorgänge einmischen mit seinem "Gegenwort",
der Gegenmacht des Poetischen - in einer Zeit, als Roland Barthes den
'Tod des Autors' und Karl Markus Michel den 'Tod der Literatur'
proklamierten. Allerdings muss Handke dann in seiner Erzählung
'Wunschloses Unglück' (1972) den Selbstmord seiner depressiven
Mutter verarbeiten. In Paris (1973/78) erregen v.a. seine
Theaterstücke Aufmerksamkeit, z.B. 'Der Ritt über den
Bodensee' (1974). Auffällig werden nun seine intertextuellen
Beziehungen zum Werk von Walter
Benjamin. Die Erzählung 'Die
linkshändige Frau' (1976) wurde in Frankreich einer der
größten Handke-Erfolge überhaupt. Eine
kollegiale Großtat ist seine Vermittlung des fast vergessenen
Hermann Lenz an den Suhrkamp Verlag. In einem Beitrag zum 50. Todestag
Kafkas hat Handke dessen Werk als "Gravitationszentrum"
des eigenen Schreibens charakterisiert - allerdings hat er sich auch
wieder von Kafka
abgewandt.
Es gilt auch eine Affinität zum Klassischen zu registrieren:
beim Theatergespräch in 'Der kurze Brief zum langen Abschied'
(1972) geht es um Schillers 'Don Carlos', das Filmbuch 'Falsche
Bewegung' (1975) ist nach Höller "eine heutige
Wilhelm-Meisteriade als Roadmovie", sein dramatisches Gedicht
'Über die Dörfer' (1981) nennt Handke selbst seinen
'Tasso' - und sein 'Spiel vom Fragen' (1989) bezeichnet Handke als
seinen 'Faust' - während die Forschung auf viele Beziehungen
zu 'Wilhelm Meisters Wanderjahre' in 'Mein Jahr in der Niemandsbucht'
(1994) hinweist. Ende 1978 erlebt Handke eine tiefe Krise - an seinen
älteren Freund Hermann Lenz schreibt er: "ich ...
weiß oft nicht mehr, was ein Wort mit dem andern zu tun hat -
was 1 Wort überhaupt sagt." Handke verbringt mehrere
Wochen in New York, wo ihn sogar Siegfried Unseld besucht - Ergebnis
des manischen Notierenmüssens ist die 'Langsame Heimkehr'
(1979), der erste Teil einer Tetralogie, die er in Salzburg (1979/87)
vollenden wird.
Mit dem Stück 'Über die Dörfer' und der
Erzählung 'Die Wiederholung (1986) ergreift Handke quasi das
Slowenien-Thema, das ihn unterschwellig seit seiner Kindheit nicht
verlassen hat. Wie im klassischen Bildungsroman reist ein junger Mann
nach Jugoslawien (nicht nach Italien!) und begegnet dort dem Ideal des
brüderlichen, freien Menschen. In seiner Salzburger Zeit
unternimmt Handke auch v.a. Übersetzungen aus dem
Slowenischen. Auch seine Übersetzungen aus dem Griechischen,
dem Französischen und Englischen werden als kongenial
geschätzt. Im März 1990 lässt sich Handke
endgültig in Chavill, südwestlich von Paris nieder
(nachdem er einige Jahre "unterwegs" war). Er konzentriert sich mehr
auf die Thematik Krieg und Ökonomie und reist öfters
in das vom Krieg zerstörte Jugoslawien. Handke
fordert
'Gerechtigkeit
für
Serbien' (SZ-Artikel vom 5./6. und
13./14.1.1996), sein Schreiben richtete sich von Anfang an gegen den
Krieg - und dieser Krieg gegen Serbien trifft ihn sozusagen
persönlich. Handke ist sich der Widersprüchlichkeit
aller Positionen bewusst - auch seiner eigenen. Er behauptete dennoch
seine "narrative" Position gegenüber der allgemeinen
Medienschelte - interessanterweise bestätigte ihn im Februar
2007 ein Urteil des Internationalen Gerichtshofs der Vereinten Nationen
in Den Haag dahingehend, dass "Serbien nicht des
Völkermordes in der einstigen Bosniaken-Enklave Srebrenica im
Sommer 1995 schuldig und daran auch nicht beteiligt gewesen"
sei.
Politik und Literatur - ein heikles Thema, gewiss. Aber ein Autor mit
gesellschaftsbewusster Position ist allemal wertvoller für
seine Leser als ein gleichgültiger Schöngeist. 'Die
Fahrt im Einbaum oder Das Stück zum Film vom Krieg' (1999)
wird hier von Höller als Schlüsselstück zur
Jugoslawien-Problematik und zu Handkes Gesamtwerk gesehen. Die
vorliegende Biografie ist gerade wegen ihrer relativen Kürze
und gezielten Einarbeitung der literarischen Reflexe Handkes auf sein
persönliches Leben und die Politik um ihn herum eine
Herausforderung. Man wird so manches von ihm und über ihn
ergänzend nachlesen müssen - eventuell auch
über die "Handke-Netzseite" des
Suhrkamp Verlages (https://www.suhrkamp.de/autoren/peter_handke_1738.html) -
letztendlich
sollten wir einen Autor sowieso aus seinen Texten kennenlernen wollen.
(KS; 01/2008)
Hans
Höller: "Peter Handke"
Rowohlt Taschenbuch Verlag, 2007. 159 Seiten.
Buch
bei amazon.de bestellen
Weitere Buchtipps:
Peter Handke: "Das zweite Schwert" zur Rezension ...
Peter Handke: "Versuch
über den Stillen Ort"
zur
Rezension ...
Buch
bei amazon.de bestellen
Peter Handke: "Wunschloses Unglück"
"Unter der Rubrik Vermischtes stand in der
Sonntagsausgabe der Kärntner Volkszeitung folgendes: 'In der
Nacht zum Samstag verübte eine 51jährige Hausfrau aus
A. (Gemeinde G.) Selbstmord durch Einnehmen einer Überdosis
von Schlaftabletten.' Es ist inzwischen fast sieben Wochen her, seit
meine Mutter tot ist, und ich möchte mich an die Arbeit
machen, bevor das Bedürfnis, über sie zu schreiben,
das bei der Beerdigung so stark war, sich in die stumpfsinnige
Sprachlosigkeit zurückverwandelt, mit der ich auf die
Nachricht von dem
Selbstmord
reagierte." (Suhrkamp)
Buch
bei amazon.de bestellen
Digitalbuch bei amazon.de
bestellen
Peter Handke, Alfred Kolleritsch:
"Schönheit ist die
erste
Bürgerpflicht. Briefwechsel"
Ausgezogen in die Welt der Literatur
ist Peter Handke bekanntlich, wie so manche damals, Anfang der 1960er
Jahre, von
Graz aus, aber niemand ist weiter gekommen als er. Princeton, wo er
nachhaltig
am Sockel der
Gruppe
47
gerüttelt hat, war da gewiss eine
entscheidende
Station, später Alaska, wo er seiner eigenen Literatur eine
entscheidende Wende
gab, Deutschland und Frankreich kamen als Wohn- und Schreiborte hinzu,
die er
aber bald überall auf der Welt entdeckte, bis er am Rand des
Waldes von
Versailles das Haus fand, von dem aus er heute seine Briefe schreibt.
Von Beginn an war Alfred Kolleritsch ein freundschaftlicher und
mitsorgender
Begleiter und Partner, der mit seiner einzigartigen Zeitschrift
"manuskripte"
das Forum für die kommende Literatur offen hielt, wo auch
Peter Handke immer
wieder publiziert hat. Kolleritschs eigenes Dichten setzte zu dem
seines
Freundes immer einen nachdenklichen Kontrapunkt.
Die vielen Briefe, die beide miteinander gewechselt haben, sind nicht
nur ein
laufender Kommentar zum literarischen Treiben jener Jahrzehnte, sie
sind auch
ein Zeichen wachsender gegenseitiger Anteilnahme. Und sie sind auf eine
zwanglose Weise großartige Zeugnisse einer verschwindenden
Textsorte: es sind
Briefe zweier empfindsamer Männer, die mitteilen, auffordern
und immer auch
etwas von der Freude spüren lassen, die sie am anderen und
beim Schreiben
gehabt haben müssen. (Jung und Jung)
Buch
bei amazon.de bestellen
Germain Nyada:
"Schreiben über sich selbst?"
Die (post-)moderne Autobiografik am Beispiel von Peter Handkes Versuchen
Ichbezogene Werke, die im Zeitalter der Obsoleterklärung
autobiografischer Textformen oder in der Epoche des tot
erklärten Subjekts produziert werden, weisen zweifelsohne
Merkmale auf, die sie von den Formen auktorialer Expressivität
bzw. von der damals ontologisch ausgerichteten Subjektauffassung
deutlich unterscheiden. In der vorliegenden Arbeit werden solche
abweichenden Schreibverfahren untersucht. Spezialitäten der
(post)modernen Autobiografik werden in Anlehung an Peter Handkes Versuche-Trilogie
hinterfragt. In diesem Rahmen sind die drei Versuche stellvertretend
für neue ichbezogene Schriftarten. Der Schwerpunkt der Analyse
besteht nicht darin, Konvergenzen und Divergenzen zwischen Handkes
Poetik und Theorien über die autobiografische Literatur
systematisch zu erstellen. Es geht vielmehr darum, den
Innovationsanspruch der ausgesuchten Texte sowohl im
Verhältnis zu traditionellen autobiografischen Schreibformen
zu beleuchten, als auch in Bezug auf Handkes Werk im Ganzen. Genauer
wird der Frage nachgegangen, wie und mit welchen Gründen der
Rückgriff auf die Ichbezogenheit in den Versuchen
erfolgt
und durchgeführt wird.
Germain Nyada, Jg. 1974. Studium der Soziologie, DaF-Didaktik und
Germanistik an der Universität Yaoundé I, Kamerun.
2001 M.A. Wissenschaftliche Veröffentlichungen zu
Erich
Maria
Remarque. Weiteres Forschungsfeld: Deutsch-kamerunische Kontakt-
und
Kommunikationssituationen
in
der Kolonialzeit. (SAXA Verlag)
Buch
bei amazon.de bestellen
Peter Handke,
Siegfried Unseld: "Der Briefwechsel"
Herausgegeben von Raimund Fellinger
und Katharina Pektor
Einen feierlichen Ton wählt Siegfried Unseld im Eingangssatz seines
ersten Briefs an Peter Handke: "ich freue mich, Ihnen mitteilen zu
können, daß wir nach genauer Lektüre Ihres Manuskriptes uns
entschieden haben, Ihre Arbeit in den Suhrkamp Verlag zu übernehmen."
Mit diesem Schreiben vom August 1965 setzt eine Korrespondenz ein, in
der nach annähernd 600 Briefen Peter Handke dem Verleger zum 75.
Geburtstag gratuliert: "Du bist und warst wie selten einer zum
stillen, wohltätigen Dasein und Mitgehen (und Vorausschwimmen) fähig."
Über einen Zeitraum von mehr als 35 Jahren besprachen Peter Handke und
Siegfried Unseld das ihnen Wichtigste schriftlich: die Literatur, die
Bücher, unterrichtete der Autor den Verleger von seinen Vorhaben, hielt
Unseld schriftlich seine Eindrücke über die neuen Manuskripte fest,
diskutierten beide Erscheinungstermin und Ausstattung von Büchern,
Publikationsstrategien und Kritikerrezensionen.
Am Leitfaden der intensiven Arbeit an und für Literatur eröffnet dieser
Briefwechsel völlig neue Einsichten in die Bedingungen des Schreibens
und der Verbreitung von Büchern, zeichnet die intellektuelle Biografie
beider Korrespondenten, ihr unablässiges Arbeiten an neuen
Ausdrucksformen sowie deren materiellen, geographischen, politischen und
persönlichen Begleitumstände. Konflikte zwischen beiden sind
unausweichlich - ebenso unausweichlich ist es, dass sie beigelegt
werden, denn für
Peter
Handke wie für
Siegfried
Unseld gilt: allein die Literatur schafft Möglichkeiten eines
freien Lebens, in dem Phasen des Glücks vorherrschen können. (Suhrkamp)
Buch bei amazon.de bestellen
Digitalbuch bei amazon.de bestellen
Peter Handke im Gespräch: mit Hubert Patterer und
Stefan Winkler
Buch
bei amazon.de bestellen