Wolf Haas: "Das Wetter vor 15 Jahren"


Der Roman über den Roman ist kein Roman - aber ...

Wolf Haas:
[...] Wobei ich sagen muss, dass ich das schon grundsätzlich ganz wunderbar gefunden habe. Dass sich einer mit dem Wetter der Vergangenheit beschäftigt. Gerade das Wetter ist ja so ein Thema, wo uns immer nur zu interessieren hat, wie es morgen wird.
Literaturbeilage: Immer tüchtig zukunftsorientiert.
(Seite 13)

Wolf Haas’ neues Werk nennt sich Roman, ist aber kein Roman, sondern ein Buch über einen nicht wirklich geschriebenen Roman; es ist auch keine Prosa, sondern ein Dialog zwischen dem Autor Wolf Hass und einer nicht namentlich genannten Literaturkritikerin. Doch ist es kein literaturtheoretisches Werk, sondern dennoch Fiktion, auch wenn der fiktive Wolf Haas dieselbe Biografie teilt wie der echte Autor Wolf Haas ...

Literaturwissenschaftler könnten sich stundenlang den Kopf darüber zerbrechen, wie "Das Wetter vor 15 Jahren" zu klassifizieren ist - mit der Lektüre des Buches vergehen diese Stunden aber bedeutend schneller und vergnüglicher.

Fünf Tage lang stellt sich der fiktive Wolf Haas den bohrenden Fragen einer trendigen deutschen Literaturexpertin; es geht um einen neuen Roman, dessen Handlung, die kitschig-einfache Liebesgeschichte von Vittorio Kowalski, sich den Lesern erst im Gespräch zwischen Autor und Journalistin ("Literaturbeilage" genannt) entschlüsselt:

Seit fünfzehn Jahren fährt Vittorio Sommer für Sommer mit seinen Eltern aus dem Ruhrgebiet ins österreichische Farnach auf Urlaub. Hier verliebt er sich in die gleichaltrige Tochter der Zimmervermieter, Anni, die er nach einem Unglücksfall während eines Unwetters für fünfzehn Jahre aus den Augen verliert. Ohne Kontakt zu Anni beschäftigt sich Vittorio mit dem Wetter in Farnach; er kennt es für jeden Tag der fünfzehn Jahre auswendig. Mit dieser Gedächtnisleistung wird er sogar zum Wettkönig in Thomas Gottschalks "Wetten, dass ...?" Eine gefälschte Karte seines Freundes Riemer, die angeblich von Anni stammt, lockt ihn wieder in den Tourismusort seiner Kindheit. Hier muss er erfahren, dass seine Jugendliebe in den nächsten Tagen den Hotelbesitzer Lukki heiraten soll, der schon in Jugendtagen Vittorios schärfster und brutalster Rivale war. Kann Vittorio die geplante Hochzeit verhindern?

Die einfache und doch spannende Handlung - Krimifans, es gibt auch einen Toten! - erfährt man ganz nebenbei aus dem Interview, meist in zwei leicht unterschiedlichen Versionen, der lustbetont unkomplizierten des fiktiven Autors und jener schon durchinterpretierten und nach tiefgründigen Andeutungen analysierten der "Literaturbeilage". Vittorios Geschichte entwickelt sich aus dem Gespräch assoziativ und setzt sich so in Gedanken der Lesenden fort, bis sich eine überraschende Wendung ergibt.

Der Dialog zwischen Haas und Kritikerin ist oft ironisch konfrontativ, ein Spiel zwischen österreichischem Schmäh und deutscher Katalogisierungssucht, auch zwischen einem erzählenden männlichen Schelm und einer durchorganisiert literarisch ergriffenen Frau - Wolf Haas, der echte Autor, lässt dabei kein Stereotyp aus und nimmt auch keines ernst. Wie schon die Brenner-Krimis gewinnt das Buch über weite Strecken weniger durch die Handlung als durch höchst kreativen Wortwitz und ausgereift subversive und auf die Spitze getriebene Missverständnisse zwischen den Gesprächspartnern, auch durch den zu Absurditäten führenden Drang der "Literaturbeilage", noch dort Interpretationsspielwiesen zu suchen, wo der Autor solche leugnet:
    Literaturbeilage: [...] die phallische Symbolik der Luftmatratze [...]
    Wolf Haas: Für mich sind Luftmatratzen irgendwie geile Geräte.
(Seite 25)

Wolf Haas hat nicht nur die literarische Ehre der gelben Luftmatratze gerettet: sie ziert den Umschlag eines Buches, das die kreative Selbstreflexion der Postmoderne neu erfand.

(Wolfgang Moser; 11/2006)


Wolf Haas: "Das Wetter vor 15 Jahren"
Gebundene Ausgabe:
Hoffmann und Campe, 2006. 223 Seiten.
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Taschenbuchausgabe:
dtv, 2008. 224 Seiten.
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Ein weiteres Buch des Autors:

"Verteidigung der Missionarsstellung"

"Als ich mich das erste Mal verliebte, war ich in England, und da ist die Rinderseuche ausgebrochen. Als ich mich das zweite Mal verliebte, war ich in China, und da ist die Vogelgrippe ausgebrochen. Und drei Jahre später war ich das erste registrierte Opfer der Schweinegrippe. Sollte ich je wieder Symptome von Verliebtheit zeigen, musst du sofort die Gesundheitspolizei verständigen, versprich mir das."
Gegen das Verlieben kämpft Benjamin Lee Baumgartner einen aussichtslosen Kampf. Diese Seuche bringt ihn um den Verstand. Mit Kopfverdrehen fängt es an. Mit Gehirnerweichung geht es weiter. Und das Schlimmste daran: Der Patient infiziert auch noch seinen Autor. Vorsicht, höchste Ansteckungsgefahr! (Hoffmann und Campe) zur Rezension ...
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