Michael Guttenbrunner: "Lichtvergeudung"
Wenn ein Rebell mit
historischem Bewusstsein das Menschsein beleuchtet:
Dichten im Affekt, Widerstand ohne Schlangenlinien
Bedeutungsvoll klingenden Buchtiteln geht man als interessierter Leser
mitunter gern auf den Grund, und so zog ich in diesem Fall ein kluges
Buch, das "Herkunftswörterbuch"
nämlich, zu Rate, wo unter "vergeuden" Folgendes zu finden ist:
"'nutzlos vertun': Mhd. verguiden ist eine Präfixbildung zu
dem im Nhd. untergegangenen einfachen Verb mhd. guiden 'prahlen,
großtun; verschwenderisch leben'. Dieses Verb gehört vermutlich im
Sinne von 'den Mund aufreißen" zu der unter 'gähnen' behandelten idg.
Wortgruppe."
Doch beleuchten wir vorab einmal den Autor
Michael Guttenbrunner wurde am 7. September 1919 in Althofen
(Kärnten) geboren und wuchs in bäuerlichem Milieu heran. Er arbeitete
u.A. als Rossknecht und Maurergehilfe. Nach dem "Anschluss" - der
kompromisslose Antifaschist Guttenbrunner musste die 1937 an der
Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt in Wien begonnene Ausbildung
abbrechen - wurde er aufgrund seines Engagements in der (damals
illegalen) sozialdemokratischen Partei zweimal inhaftiert. Im Jahr 1940
wurde Michael Guttenbrunner zur Wehrmacht eingezogen, musste
Kriegsdienst an der Front in Jugoslawien, in der Sowjetunion, in
Frankreich und Griechenland
leisten und wurde verwundet.
1944 wurde er aufgrund der Anklage "tätlicher Angriff auf einen
Vorgesetzten und Aufwiegelung" von einem Kriegsgericht zum Tod
verurteilt. Die
Todesstrafe
wurde in "Frontbewährung" umgewandelt - Geschehnisse, die kaum
Eingang in das Werk des Schriftstellers gefunden haben.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs kehrte er nach Klagenfurt zurück
und arbeitete in verschiedenen Berufen, darunter Arbeiter in einem
Sägewerk und Holzfäller. 1954 ging er nach Wien, wo er bei einer
Gartenbaufirma tätig war. In den 1950er- und 1960er-Jahren zählte man
Guttenbrunner zu den angesehensten österreichischen Lyrikern der zu
jener Zeit jüngeren Generation, auch bekannt für seine punktgenaue
Kritik an der kollektiven Verdrängung der nationalsozialistischen
Vergangenheit, am fortgesetzten Einsickern hohler Begriffshülsen in das
(öffentliche) Sprachbewusstsein der "Wirtschaftswundergesellschaft", wie
auch an der Alltagsdumpfheit und Herdenmentalität seiner Landsleute ("öffentliche
Fäulnis, allgemeine Schuld, Terror, Krieg und Völkermord").
Guttenbrunners präziser Umgang mit den Rohmaterialien und Werkzeugen des
Literaten bekundet den Einfluss des streitbaren Ideologie-, Sprach- und
Kulturkritikers
Karl Kraus (1874-1936).
Zu den eher sonderbaren Begebenheiten eines Literatendaseins zählen
Geschichten wie diese: 1957 soll Guttenbrunner, unter Alkoholeinfluss
stehend, mit einer Hacke bewaffnet auf einen Omnibus und einen
Personenwagen losgegangen sein, wie die "Kleine Zeitung" damals zu
berichten wusste.
Im Blickpunkt der kulturinteressierten österreichischen Öffentlichkeit
stand der zu keiner Zeit konfliktscheue Schriftsteller, der am 12. Mai
2004 starb, freilich in erster Linie bei anderen Gelegenheiten:
Michael Guttenbrunner erhielt zahlreiche Preise und Auszeichnungen,
darunter 1954 den "Georg-Trakl-Preis"
für
Lyrik des Bundesministeriums für Unterricht und Kunst,
1955 den "Anerkennungspreis des Literaturförderungspreises der
Landeshauptstadt
Klagenfurt", 1956 und 1966 den "Förderungspreis für Literatur
des Theodor-Körner-Stiftungsfonds zur Förderung von
Wissenschaft und Kunst", 1966 den
"Österreichischen Staatspreis des Bundesministeriums für
Unterricht und Kunst für
Lyrik", 1966 den "Förderungspreis der Stadt Wien für
Literatur", 1975 den "Würdigungspreis des Bundesministeriums
für Unterricht und Kunst für
Literatur", 1981 den "Würdigungspreis der Stadt Wien für
Literatur", 1987 den
"Kulturpreis des Landes Kärnten für Literatur", 1994 das
"Große Goldene Ehrenzeichen des Landes Kärnten", 1994 das
"Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst Erster
Klasse", 1995 das "Goldene Ehrenzeichen der Stadt Wien". 1994 wurde ihm
das Ehrendoktorat der Universität Klagenfurt verliehen.
Der vorliegende, erstmals 1987 erschienene Gedichtband enthält
thematisch geordnete Kapitel, die u.A. zeitgeschichtliche Inhalte
behandeln oder auch Bezüge zu mythischen Epochen herstellen, wie auch
solche, die Autobiografisches transportieren (z. B. gediegen
wortgewordene Erotik) sowie Antikriegslyrik im weiteren Sinn.
Und auf Seite 41 findet sich des Rätsels Lösung, die eingangs erwähnte
"Lichtvergeudung" betreffend:
"Der Vater, müde von der Nachtschicht,
stieg oft zu mir herauf unters Dach
und murrte über die Lichtvergeudung.
Ich senkte ohne aufzuschaun den Docht,
und er ging brummend fort.
In jener Zeit schlug ich ein Buch erst zu,
wenn die Lampe versiechte
oder der erste Morgenstrahl
auf die
Schrift fiel."
Dass sich die Zeiten geändert haben, ist - zumindest was die
Verfügbarkeit künstlicher Lichtquellen betrifft - komfortabel.
Michael Guttenbrunners Lyrik entspringt einem klaren historischen
Bewusstsein, sie zeigt Gegenwärtiges vor dem Hintergrund mythischer
Kontexte, wobei allerdings gelegentlich das Belesen-Schwelgerische im
Wortwerk überhand nimmt.
Doch enthält "Lichtvergeudung" eine breite Palette an Gedichten für
vielerlei Geschmäcker. Die politisch Interessierten werden ebenso
Leckerbissen in dem Band finden wie Sehnsüchtige und Liebende oder auch
Österreichbeargwöhner - eben Dichtungen, die nicht lecken, um es in der
Sprache der Installateure zu sagen.
Abschließend hat noch einmal der Autor selbst das Wort, dem Anlass
entsprechend mit dem Gedicht "Schluss":
"Nicht ewig sinnlos wie des Meeres Brandung,
die sich gebiert zu immer neuer Strandung,
geschehen Lust und Schmerz in unsrer Brust.
Von nun an rein und heilig wie die Firne
stehn über uns die leuchtenden Gestirne
der Wiederliebe und der Aberlust."
(kre; 05/2004)
Michael Guttenbrunner: "Lichtvergeudung"
Rimbaud, 2000. 89 Seiten.
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Weiterer
Buchtipp: "Das Beste von Wilhelm Rudnigger"
Selbst mehr als drei Jahrzehnte nach seinem Tod ist der Kärntner
Humorist Wilhelm Rudnigger nach wie vor in lebendiger Erinnerung – bei
Alt und Jung! Rudnigger war ein großartiger Beobachter, er hatte sein
Ohr ganz nah am Menschen. Aus den alltäglichen Gesprächen und
Begegnungen mit ihnen schuf er seine amüsanten Gedichte und Geschichten.
Bekannt und beliebt war er, weit über die Landesgrenzen hinaus, als
Sprecher von Hörspielen im Kärntner Radio und auf Schallplatte, vor
allem aber als Autor. Die meisten seiner Bücher, großteils in
Mundartreimen verfasst, sind seit dem Jahr 1952 („Gesetzt den Fall“) bei
Carinthia bzw. Styriabooks erschienen. Eine Auswahl seiner Werke findet
sich in dieser Neuauflage wieder. Ergänzt wird der vorliegende
Sammelband durch farbige Illustrationen, die ebenfalls von Wilhelm
Rudnigger stammen. (styria regional)
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