Batya Gur: "Und Feuer fiel vom Himmel"


Spannende, unterhaltsame Krimi-Kost auf gehobenem Niveau

Nun liegt er also auch in deutscher Übersetzung vor, Inspektor Ochajons bedauerlicherweise letzter Fall, bedauerlicherweise vor allem, weil die Quelle der Fantasie, die ihn auf den Namen Michael Ochajon getauft und ins literarische Leben gerufen hat, für immer versiegt ist. (Batya Gur verstarb im Mai 2005). Michael Ochajons letzter Fall war für mich persönlich der erste seiner Fälle, da ich die anderen Ochajon-Romane nicht gelesen habe. Die Geschichte und die Art, wie sie erzählt wird, vermochten allerdings nicht, trotz aller unbestrittenen Qualitäten, die das Buch besitzt, ein großes Interesse für die früheren Fälle Ochajons in mir wachzurufen. Bei Henning Mankells Kommissar Wallander erging es mir - nebenbei bemerkt - nicht anders.

Da sowohl Gur als auch Mankell zur crème de la crème internationaler Krimi-Autoren zählen, Batya Gur zum Beispiel hat bereits mit ihrem ersten Buch den deutschen Krimipreis erhalten, drängten sich mir sogleich einige Fragen auf. Gibt es wirklich nichts Besseres auf dem Buchmarkt, da die Messlatte der Juroren so niedrig angesetzt wird? Müssen die Kritiker jeden Zwerghahn, der seine literarischen Federn aufplusternd zur Schau stellt, gleich zum Adler erklären? Tritt der Erfolg tatsächlich immer nur in die Fußstapfen der Mittelmäßigen, oder beruht - andersherum formuliert - der Erfolg des Hochwertigen stets auf einem Irrtum, auf einem Missverstehen oder Missdeuten seitens der Rezipienten? Nun, ich gebe zu, dass ich sogenannte "Bestseller" gern durch die verzerrende Linse des Vorurteils betrachte, aber da mir dies bewusst ist, hoffe ich, trotzdem die nötige Objektivität wahren zu können.

Zurück zum eigentlichen Thema, Batya Gurs Roman "Und Feuer fiel vom Himmel". Die ersten Seiten empfand ich als ziemlich verwirrend, man wird konfrontiert mit einer Unmenge von Personen und deren Beziehungen zueinander. Quasi (augenscheinlich das Lieblingswort der Autorin) die gesamte Belegschaft des israelischen Staatsfernsehens wird dem Leser im Verlauf der Erzählung namentlich präsentiert, dazu die Funktion, die ein jeder ausfüllt. Wer sich die Mühe macht, alle diese Namen aufzuzählen, wird sicher auf eine Zahl nahe der hundert kommen. Der Leser tut also gut daran, sich am Anfang Notizen zu machen, um jedem Namen die jeweilige Bedeutung oder Funktion zuordnen zu können. Im Verlauf der Handlung lichtet sich der Personenwirrwarr dann, die wichtigsten Protagonisten kristallisieren sich doch deutlich heraus, die Autorin versteht es, ihnen Konturen zu verleihen, sie gemäß ihrer Bedeutung in das Bewusstsein des Lesers zu rücken. Auch hat sie die Fäden der Handlung wie auch diejenigen der zum Teil parallel laufenden Nebenhandlungen fest in der Hand, gekonnt spielt sie mit diesen Fäden und führt so ihre Leser sicher durch alle Verwicklungen.

Die Hauptfigur, die des Michael Ochajon, gerät ihr etwas blass, wie ich finde. Sie stellt ihren Helden, den sie stets liebevoll Michael nennt, vor als eine alterslose Erscheinung, von beeindruckender Größe, von beherrschter Unbeugsamkeit und mit Augen, die viel Geheimnis bergen. Doch die Figur des Michael Ochajon bleibt im Zuge seiner Ermittlungstätigkeit meist farblos, blutleer und emotionslos. Eine Emotionslosigkeit, die wohl eine Überlegenheit, ein über den Dingen Stehen ausdrücken soll. Ein Mensch wie mit einem Heiligenschein, der ihm etwas Schwebendes, zugleich aber auch Langweilendes verleiht.

Auch Batya Gurs Erzählstil lässt einiges zu wünschen übrig und kommt bisweilen etwas holprig daher. Das Fragmentarische ihrer Satzkonstruktionen, ganz besonders die verhackstückte wörtliche Rede (die gewiss auch ein zulässiges Stilmittel sein kann, um das Tempo zu forcieren) wirkt auf mich doch stark übertrieben. Zwei kurze Beispiele: "Ich ... denk nicht, dass ich ... du ... normalerweise?" Oder: "Es ist nur ... ich war überrascht ... ich hatte verstanden, dass ... aber unwichtig, Sie können ... wir können anfangen, von mir aus." Es wimmelt im Buch von diesen bruchstückhaften Aussagen, und Batya Gur lässt - wohlgemerkt - alle ihre Protagonisten auf diese abgehackte Art und Weise sprechen.

Ein Fehler ist der Autorin bei der Charakterisierung des Leiters der Nachrichtenabteilung, "Chefez", unterlaufen, einer der Hauptpersonen des Romans. Zu Anfang redet er in nahezu jedem Satz, als sei er geradewegs einem "Derrick"-Fernsehfilm entsprungen. Zum Beispiel: "Niemand weiß, was er einmal kann und was nicht, wer weiß schon, was er kann? Weiß jemand, was er kann? Niemand weiß es. Kann man es wissen? Nein." Zum Schluss des Romans, nachdem er lange nicht mehr in Erscheinung getreten ist, befleißigt sich Chefez einer völlig anderen Ausdrucksweise. Da hat wohl das inflationäre Auftreten von Handelnden und Sprechenden im Roman seinen Tribut gefordert.

Auffällig sind einige Wiederholungen, das allgegenwärtige "quasi", das nahezu alle im Roman auftretenden Personen immer wieder in ihre Rede einflechten und das am Ende schon etwas penetrant wirkt; alle Leute "legen den Kopf schief", wenn sie jemanden ansehen und Ähnliches. Dazu gesellen sich ein paar Klischees und Unglaubwürdigkeiten, auf die ich nicht näher eingehen möchte, sie kommen halt in jedem Krimi vor, mehr oder weniger.

Bleibt denn nichts Positives mehr? Doch! Das Buch ist spannend geschrieben, es ist voll pulsierenden Lebens, auch Sterbens natürlich, wie sich das für einen Krimi gehört. Die Handlung ist klug aufgebaut, sie ist in sich schlüssig und überzeugend. Batya Gur verfügte zweifellos über einen scharfen analytischen Verstand, der ihr bei der konzeptiven Gestaltung ihres Romans zur Seite stand. Zudem besaß sie ein feines Gespür für Details. Da sie selbst als Journalistin tätig war, kannte sie sich im Milieu, über das sie hier geschrieben hat, aus und kann somit auch eine gewisse Glaubwürdigkeit für sich beanspruchen. Der Mut und die Klarheit, mit der sie brisante Themen angeht, verdienen Respekt. Es sind Themen, die bis an den Kern und das Wesen des Judentums rühren, Batya Gur scheut sich auch nicht, unbequeme Fragen aufzuwerfen und zur Diskussion zu stellen. Wie sie das wohl auch in ihren früheren Romanen gemacht hat, legt sie ebenso in "Und Feuer fiel vom Himmel" einen anklagenden Finger auf wunde Punkte (nicht nur) der israelischen Gesellschaft, deren vordergründiger Lack unter dem respektlosen Kratzen ihrer Feder bedenklich abschilfert.

Da jeder interessierte Leser für sich selbst den Inhalt und Gehalt des Buches entdecken und erschließen sollte, möchte ich hier nicht als Nacherzähler auftreten und etwas Wesentliches zur Handlung preisgeben.

Auch wenn das in meiner Besprechung vielleicht nicht immer so deutlich wurde, das Positive überwiegt meiner Ansicht nach schon in Batya Gurs neuem und bedauerlicherweise auch letztem Roman. Es handelt sich hier um spannende, unterhaltsame Kriminal-Lektüre auf gehobenem Niveau. Man kann ja schließlich die Messlatte bei Kriminal- oder Unterhaltungsliteratur nicht zu hoch legen.

Die letzten Seiten des Romans, man kann sie als eine Art Epilog betrachten, ein Gespräch zwischen Michael Ochajon und seinem Sohn, veredeln das Ganze noch mit einem leichten Tupfer Sahne, und Batya Gur setzt als Kirsche sogar noch eine kleine Pointe obendrauf, nachdem sie uns als amuse geule leider einen allzu zähen Personen- und Beziehungskäse aufgetischt hat.

(Werner Fletcher; 01/2006)


Batya Gur: "Und Feuer fiel vom Himmel"
(Originaltitel "Shooting a Murder")
Aus dem Hebräischen von Barbara Linner.
Goldmann, 2006. 480 Seiten.
ISBN 3-442-30837-2.
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Batya Gur wurde 1947 in Tel Aviv als Kind polnischer Einwanderer geboren. Sie arbeitete zunächst als Lehrerin und Journalistin, bevor sie mit ihren Kriminalromanen um Inspektor Ochajon von der Jerusalemer Polizei internationalen Ruhm erlangte. Für ihren ersten Roman "Denn am Sabbat sollst Du ruhen" (1992) erhielt sie den deutschen Krimipreis. Ihre Ochajon-Romane wurden weltweit zum berühmten Markenzeichen literarisch-intelligenter Kriminalunterhaltung, und in ihrer Heimat galt sie als Begründerin des israelischen Krimi-Genres. In allen ihren Romanen spielte aber auch die Auseinandersetzung mit der israelischen Gesellschaft und Politik eine ganz wesentliche Rolle.
Neben der schriftstellerischen Tätigkeit war Batya Gur als bedeutende Literaturkritikerin bekannt. Viele Jahre schrieb sie eine regelmäßige Literaturkolumne für die angesehene israelische Tageszeitung "Ha'aretz". Batya Gur starb 19. Mai 2005 an Krebs.

Weitere Bücher der Autorin (Auswahl):

"Denn am Sabbat sollst du ruhen"

Inspektor Michael Ochajon von der Jerusalemer Kriminalpolizei steht vor einem Mordfall, wie er ungewöhnlicher nicht sein kann. Die hochangesehene Analytikerin Eva Neidorf wird am Morgen ihres großen Vortrages tot aufgefunden.
Alle Verdächtigen sind ehrenwerte Mitglieder der Jerusalemer Psychoanalytischen Gesellschaft und mit der Toten in einem engen Netz gegenseitiger Abhängigkeiten verstrickt. Doch mit jedem Schritt in das Labyrinth dieser fremden Welt werden für Michael Ochajon die Risse in der glatten Oberfläche offensichtlicher.
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"Denn die Seele ist in deiner Hand"
Auf dem Speicher eines verlassenen Wohnhauses am Rande der Jerusalemer Altstadt wird eines Tages die Leiche einer jungen Frau entdeckt. Um den Hals der 22-jährigen Zohra Baschari ist ein roter Seidenschal geschlungen, ihr Gesicht ist zerschmettert. Bei seinen Ermittlungen stellt Inspektor Ochajon schon bald fest, dass Zohra Geheimnisse in ihrem Leben barg, von denen niemand etwas ahnte. Als kurz darauf auch noch die zehnjährige Nesja spurlos verschwindet, spitzen sich die Ereignisse zu. Das kleine Mädchen vergötterte die schöne Zohra zu Lebzeiten und war ihr oft wie ein unsichtbarer Schatten gefolgt. Offensichtlich weiß das Kind etwas über die Hintergründe der Tat und schwebt nun selbst vielleicht in höchster Gefahr. Inspektor Ochajon muss handeln, und zwar schnell ...
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Shabi versteht die Welt nicht mehr: Weshalb verhält sich sein bester Freund auf einmal so feindselig? Als auch noch eine wertvolle Schatulle verschwindet und im Schulkiosk eingebrochen wird, ahnt Shabi, dass es einen Zusammenhang zwischen den seltsamen Vorfällen geben muss - und macht sich auf die Suche danach. Ein gefährliches Unterfangen ...
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