Christoph Güsken: "Dr. Jekyll und Mr. Voss"

Gefühlskälte - eine anerkannte Krankheit? Henk Voss mag das nicht glauben ...


Wieder einmal lässt Christoph Güsken seinen Ermittler Henk Voss durch Münster irren. Dieser ist zu Beginn dieses Romans aber eigentlich gar nicht mehr als Ermittler tätig, sondern bemüht sich seit dem Verschwinden seines Kollegen Kittel und einer verworfenen Karriere als "Prügelknabe" um den Broterwerb als Würstchenverkäufer mit Bauchladen. Und gerade zum Besuch der katholischen Jugend und des Papstes in der Domstadt sollte sich dieses Geschäft grundsätzlich lohnen, wenn man seinen Waren einen katholisch-kirchlichen Namen gibt und eine einfache Currywurst zu "Blut und Wunden" mutiert. Doch die vielen Radfahrer und diverse Straßenmusikanten machen das Herumlaufen mit einem Bauchladen unerfreulich und zum Teil sogar lebensgefährlich, sodass Voss sich nur allzu gerne von anderen Dingen ablenken lässt.

Eine dieser Ablenkungen ist der Besuch der Feier zum 50. Geburtstag eines ehemaligen Klassenkameraden, was sich allerdings auch schnell als deprimierend erweist, denn jeder außer Voss scheint es seit der Schulzeit zu etwas gebracht zu haben. Dies gilt vor allen Dingen für Lars Süverkrüpp, den Voss schon in der Schule nicht ausstehen konnte, und der sich nun wieder an ihn hängt - unter anderem um ihm zu erzählen, dass er die heilige Fahrradzusammenkunft in Münster maßgeblich mit seiner "Event-Agentur" managt. Doch auch er hat ein Problem, und dabei soll ihm Henk Voss helfen. Da er unter Emotionskälte leidet, hat er sich einer experimentellen Kur unterzogen, die bei ihm zu einer Persönlichkeitsspaltung geführt zu haben scheint und ihn in eine Art Dr. Jekyll und Mr. Hyde verwandelt hat. Weil er kürzlich mit Blut an der Hose und ohne Erinnerung an die zurückliegenden Stunden nach Hause gekommen ist, bittet er den ehemaligen Detektiv nun, ihn Tag und Nacht zu bewachen um sicherzustellen, dass er niemandem etwas antut. Ein Auftrag, den Voss schließlich aus rein pekuniären Erwägungen annimmt.

Während er sich also um die Probleme Süverkrüpps kümmert, muss sich die Polizei mit einer seltsamen Anschlagserie herumschlagen, die anscheinend gegen Autofahrer und ihre Förderer gerichtet ist und immer wieder auch Henks Arbeit in die Quere kommt. Je weiter sich die Geschichte entwickelt, desto mehr scheinen Henks Beobachtungen und die Ermittlungen der Polizei miteinander zu tun zu haben.

Trotz der interessanten Prämisse wirkt die Handlung selbst ein wenig dünn, und verschiedene Fragen bleiben am Ende offen. Die Auflösung, die auf eine Reihe eingeschobener E-Mails aufbaut, wirkt arg konstruiert, und die gesamte Kriminalgeschichte fungiert eher als ein Vehikel, um den Autor von einer lustigen Beobachtung zur nächsten zu treiben. Diese Beobachtungen sind auch für sich genommen wirklich lesenswert und sprachlich eine wahre Freude, die Geschichte selbst retten sie jedoch nicht, was schade ist, weil dadurch am Ende auch die Wahrnehmung dieser überaus humorigen Abschnitte leidet.

(K.-G. Beck-Ewerhardy; 10/2007)


Christoph Güsken: "Dr. Jekyll und Mr. Voss"
Grafit, 2007. 190 Seiten.
Buch bei amazon.de bestellen

Ein Buchtipp:

Robert Louis Stevenson: "Dr. Jekyll und Mr. Hyde"

Der erste Entwurf dieser unheimlichen Geschichte geht auf einen Traum Stevensons zurück. Der Arzt Dr. Jekyll ist sich von Jugend an seiner zwiespältigen Natur bewusst, versucht die dunkle Seite seines Charakters jedoch zu unterdrücken. Immer mehr ergreift der Gedanke Besitz von ihm, dass beide Veranlagungen in verschiedenen Körpern untergebracht werden könnten. Jekyll beginnt zu experimentieren ... (Diogenes)
Buch bei amazon.de bestellen

Zweisprachige Ausgabe:
"The Strange Case of Dr. Jekyll and Mr. Hyde. Der seltsame Fall von Dr. Jekyll und Mr. Hyde"

"Der seltsame Fall von Dr. Jekyll und Mr. Hyde" - dieser etwas behäbig klingende Titel lässt kaum vermuten, dass sich dahinter eine der aufregendesten Erzählungen der Weltliteratur verbirgt. Auch der Ruhm des Autors Robert Louis Stevenson (1850-1894), dessen "Schatzinsel" zu den berühmtesten Abenteuerromanen der Weltliteratur gehört, steht dieser Erwartung eher im Wege. Aber wirklich: "Der seltsame Fall" gehört zu den Schlüsseltexten unseres Zeitalters.
Die Erzählung ist spannend wie ein Kriminalroman - und sie ist in gewisser Weise einer! Wesentlich zu erwähnen bleibt die Neuübersetzung, die sich ganz besonders dicht in Wortlaut und Atmosphäre am Original orientiert. (dtv)
Buch bei amazon.de bestellen