Gijs van Hensbergen: "Guernica"
Biografie eines Bildes
Politik
mit dem Pinsel
Dies ist die Geschichte einer Ikone des 20. Jahrhunderts - Picassos
'Guernica' ist wohl das berühmteste Gemälde der
Moderne, es ist das Antikriegsbild schlechthin und
gilt für die UN als ein Sinnbild für das Gewissen der
Welt. Am 26. April 1937 warfen 60 italienische und deutsche
Kampfflugzeuge drei Stunden lang Brandbomben auf Guernica und
verwandelten die baskische Stadt in ein Flammenmeer. Picasso nahm dies
als Thema für eine Auftragsarbeit der Spanischen Republik: ein
großformatiges Werk für den spanischen Pavillon auf
der Weltausstellung 1937 in Paris. Bereits am 12. Juli 1937 konnte die
Öffentlichkeit das Bild betrachten. Am 26. April 2007
jährt sich nun zum 70. Mal die Zerstörung von
Guernica. Das Buch schildert u.a. auch die Odyssee des Bildes von
Frankreich über Skandinavien nach England und Amerika und
schließlich nach Spanien, wo es seit 1981 im Reina Sofia
Museum Madrid hängt.
Es gibt eine makabre Anekdote: als im besetzten Paris ein deutscher
Offizier Picassos Studio betrat, ihm eine Fotografie des Bildes zeigte
und fragte: "Haben Sie das gemacht?", gab
Picasso
zur Antwort: "Nein, das waren Sie!" Der eigentliche
militärische Sinn der Bombardierung Guernicas konnte nie
eindeutig geklärt werden: gerade die angeblichen Ziele - die
Brücke über den Fluss Oca oder die Waffenfabrik in
der Nähe oder das Parlamentsgebäude - blieben
verschont! Jedenfalls wurde die Stadt zum Symbol für eine neue
Dimension der Kriegsführung in Bezug auf das Leiden der
Zivilbevölkerung.
Die Komposition des Bildes war eine echte Herausforderung: die
Maße 349 x 777 cm (ca. 27 m²!) waren vorgegeben.
Picasso teilte die friesartige Länge wie ein Triptychon auf:
in der Mitte aus seiner eigenen Ikonografie als Sinnbild des absoluten
Leidens: eine sterbende Stute. Ansonsten bediente sich Picasso etlicher
Motive christlicher Passionsikonografie: etwa im linken Teil eine Art
Pietà und im rechten Teil die Zahl 7 in Flammensymbolen.
Ebenso tauchen Elemente des Kubismus auf, wie etwa die
Hell-Dunkel-Kontraste. Hatte Picasso ursprünglich noch eine
farbige Darstellung im Sinn, entschied er sich schließlich
für die Grisaille-Technik: ausschließlich abgestufte
Grautöne.
Die Figuren als Ausdruck von Picassos eigener Ikonografie haben
teilweise eine mehrdeutige Symbolik. Taucht die Stute oft als
(sexuelles) Opfer des Stiers auf, so nimmt sie hier die zentrale
Position ein, die im traditionellen Triptychon Christus zukommt! Der
Stier erhält vielfältige Interpretationen: die einen
sehen ihn als Symbol für Franco bzw. den Faschismus, andere
wiederum erkennen in ihm die wütenden Gesichtszüge
Picassos. Letztendlich sind es gar nicht so viele Motive, aus denen das
Bild komponiert wurde - u.a. erkennbar ein Krieger, eine fliehende und
eine brennende Frau sowie eine Mutter mit Kind. Hier gibt es keine
Helden und keinen Sieg des Guten - nur die pure Apokalypse. Das Bild
ist die absolute Anklage gegen Krieg und Zerstörung, wobei
Picasso die Geschehnisse eben nicht dokumentiert, sondern
verallgemeinert.
Eine Kopie des Bildes hängt im Vorraum zum Sitzungssaal des
UN-Sicherheitsrats im Hauptgebäude der UNO in New York. Und
dazu gibt es sozusagen eine weitere Anekdote: Auf Wunsch der
US-Regierung wurde das Bild am 4. Februar 2003 verhängt, als
der damalige US-Außenminister Colin Powell mit CIA-Dias das
Vorhandensein von Massenvernichtungswaffen im Irak beweisen wollte, um
den US-Angriffskrieg
gegenüber der Restwelt zu rechtfertigen.
Dieser makabre Vorgang zeigte wohl die Angst vor der Aussagekraft von
Picassos Bild. Freilich hätte man auch einen anderen Raum
wählen können. In einem Interview am Ende des Zweiten
Weltkriegs hatte Picasso u.a. geäußert: "Die Malerei
ist nicht dazu erfunden, um Wohnungen auszuschmücken. Sie ist
ein Instrument des Angriffs- und Verteidigungskrieges gegen den Feind."
Das vorliegende Buch beschreibt den Verlauf des
Spanischen
Bürgerkriegs und dokumentiert den
fünfwöchigen Schaffensprozess Picassos, sowie die
Expo Paris. Danach war 'Guernica' Teil einer Wanderausstellung durch
Skandinavien, dann wurde es in England gezeigt und gelangte
schließlich in die USA, wo es neben politischen auch
künstlerische Auseinandersetzungen um das Gemälde
gab. Etliche von Picassos Anhängern wurden vor McCarthys
Ständigen Untersuchungsausschuss gegen Kommunistische Umtriebe
geladen. Picasso hatte übrigens 1944 eine Erklärung
mit dem Titel 'Warum ich Kommunist geworden bin'
veröffentlicht: "Mein Beitritt zur Kommunistischen Partei
ergibt sich logisch aus meinem Leben, meinem Werk und verleiht ihnen
einen Sinn." Die Ironie der Geschichte wollte es so, dass sich noch
während des Franco-Regimes eine regelrechte
Picasso-Begeisterung in Spanien entwickelte und in
Barcelona ein
Picasso-Museum eröffnet wurde. Und seit Beginn der 1960er
Jahre gab es nach Hensbergen folgendes Phänomen: "In immer
mehr spanischen Büros und Wohnungen hing Guernica an der Wand."
Quasi als Zugabe schildert Hensbergen noch die Existenzbedingungen
für Künstler
unter Franco allgemein: trotz Zensur
habe auch ein neuer, abstrakter Stil in der Malerei und generell sogar
kritische Kultur existiert. Zwar überlebte Franco Picasso um
sieben Monate, aber er war inzwischen bettlägrig und hatte die
Orientierung verloren. Nach vielfältigen Verhandlungen und
Initiativen gelangte 'Guernica' schließlich acht Jahre nach
Picassos Tod nach Spanien zurück. Hier hatten viele Leute das
Gefühl, damit sei dem Land die Würde wiedergegeben
worden - allerdings lehnte es die Regierung konsequent ab, das
Gemälde in die Stadt Guernica zu bringen und dort auf Dauer
auszustellen. Das vorliegende Buch beweist jedenfalls, dass auch Bilder
eine Biografie haben können - und dass diese so spannend sein
kann, wie eben Zeitgeschichte und Kunst sind.
(KS; 04/2007)
Gijs
van Hensbergen: "Guernica"
Siedler Verlag, 2007. 416 Seiten.
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