Hrsg. Andreas Exner, Werner Rätz, Brigitte Zenker: "Grundeinkommen"

Soziale Sicherheit ohne Arbeit


Eine Debatte über das Grundeinkommen ist die Antwort auf politische Untätigkeit. Dieser Satz ist nicht dem vorliegenden Buch entnommen, sondern so etwas wie eine Quintessenz aus dem Lesestoff. In der Aufsatz-Sammlung Losarbeiten. Arbeitslos. (erschienen im Jahr 2005) ist das Thema der Erwerbsarbeit im Fokus, und die damit zusammenhängende Tatsache, dass Erwerbsarbeitsplätze von Jahr zu Jahr zahlenmäßig im Rückgang begriffen sind. Politiker möchten den Bürgern zwar weismachen, dass die Arbeitslosigkeit sinkt, und gleichermaßen die Anzahl an Arbeitsplätzen steigt, doch wird hierbei - logischerweise aus Sicht der Politiker - nicht darauf hingewiesen, dass es bei den meisten neu geschaffenen Arbeitsplätzen entweder um prekäre "Arbeitsverhältnisse" geht oder aber um Niedrigstlohnerwerbsarbeit. Eine gute Konjunktur bzw. ausgezeichnete Wirtschaftslage ist keineswegs Garant dafür, dass existenzsichernde Arbeitsplätze entstehen, forciert bzw. gehalten werden können. Die Ausgangsposition für die Notwendigkeit der Diskussion über ein Grundeinkommen bzw. eine bedarfsgerechte (seriöse!) Grundsicherung fußt darauf, dass viele Menschen von ihrer Erwerbsarbeit nicht leben können ("working poor"), und auf der anderen Seite seit den 1980er Jahren das Phänomen der Massenarbeitslosigkeit in Europa (auch in Österreich) umgeht, ohne dass es die Verantwortlichen beim Namen nennen. Die "offiziellen" 250.000 bis 300.000 Erwerbsarbeitslosen in Österreich sind keine "kleine" Gruppe, sondern eine stetig wachsende Anzahl von Menschen, denen der Zutritt zum Erwerbsarbeitsmarkt aus verschiedensten Gründen verwehrt ist.

Die Idee des Grundeinkommens beruht darauf, Erwerbsarbeit und Einkommen zu entkoppeln. Es soll nicht länger sein, dass nur jener Staatsbürger zu einem Einkommen kommt, der irgendeiner Erwerbsarbeit nachgeht. Das ist ohnehin nicht der Fall, da es nicht wenige Menschen gibt, denen das Geld sozusagen "zufliegt", und die keinen Finger dafür zu rühren brauchen. Das Geld "arbeitet" in diesem Sinne für sich. Aus Solidaritätsgründen ein Grundeinkommen einzuführen ist also keineswegs eine undenkbare Vorstellung. Die versammelten Aufsätze sind allesamt kurz und prägnant. Es geht um die Krise der Erwerbsarbeit, die - wie erwähnt - schon in Losarbeiten. Arbeitslos. beschrieben ist. Die Situation vieler erwerbstätiger Menschen ist prekär. Einige Beispiele in diesem Buch gehen speziell auf die Realitäten der Frauen ein, welche sich in existenzgefährdeten Lebensrealitäten befinden.

Dass ein Grundeinkommen, auf welches jeder (Staats-)Bürger mit seiner Geburt ein Anrecht hat, die Kreativität der Menschen fördern würde und einen Freiraum ermöglichte, der zahlreiche jetzt existierende Pseudo-Arbeitsplätze reduzieren oder sogar auslöschen würde, ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anzunehmen. Sind die Menschen nicht auf irgendwelche Erwerbsarbeiten angewiesen, die ihre Existenz sichern und aufbauen helfen, dann fällt der unheimliche Druck weg, lieber irgendeine Schwachsinnserwerbsarbeit aufzunehmen als - scheinbar - gar nichts zu tun.

Der finanzielle Aspekt, also etwa Durchrechnungsprinzipien, wird nur angedeutet, da ohnehin längst schon von hochrangigen Wissenschaftern bewiesen wurde, dass ein Grundeinkommen monetär gesehen durchführbar wäre. Der Rezensent streut hier nur einmal kurz die Stichworte Negativsteuer und Vermögensteuer ein. Also, es soll im vorliegenden Buch um prinzipielle, dynamische Prozesse gehen, die mit der Einführung eines Grundeinkommens einsetzen würden. Die Förderung von individuellen Fähigkeiten ist hierbei besonders hervorzuheben. Erwerbsarbeit führt in vielen Fällen dazu, dass Menschen radikal in ihren Freiheiten beschnitten werden und ihre Fähigkeiten nicht einmal ansatzweise zum Tragen kommen. Die Notwendigkeit der Aufwertung von ehrenamtlicher Arbeit muss auch an dieser Stelle Erwähnung finden. Es gilt als erwiesen, dass das Aufhören von ehrenamtlichem Engagement eine große Wirtschaftskrise und eine eklatante Gefährdung der sozialen Strukturen im Lande Österreich (und wohl auch vielen anderen Ländern) zur Folge hätte. Ein völliges Ende der Erwerbsarbeit hätte zweifellos auch Auswirkungen; jedoch wären diese bei weitem nicht so eklatant wie im Falle ehrenamtlicher Ausscherungen.

Ein Grundeinkommen könnte also - wie hinreichend in den zahlreichen Beiträgen dieses Buches beschrieben wird - viele Probleme lösen; insbesondere könnte dadurch die Niedrigstlohnarbeit von der Bildfläche verschwinden, und prekäre Erwerbsarbeit nur mehr marginal ausgeübt werden. Andererseits wäre aufgrund des solidarischen Prinzips von jedem Menschen ein gewisser Anteil an gemeinnütziger oder "prekärer" Arbeit zu leisten. Durch die bessere Aufteilung dieser teilweise notwendigen Arbeiten käme es aber dazu, dass nur ein Bruchteil der derzeit aufgewendeten Zeit - gerechnet auf die einzelnen Erwerbstätigen - aufzuwenden wäre. Die wichtigste Frage in Bezug auf eine Etablierung eines Grundeinkommens ist freilich jene, wer ein Anrecht darauf hätte. Hierzu gibt es drei Ansätze: Zum Einen jeder Staatsbürger, zum Zweiten jeder Bürger, der sich auf einem bestimmten Hoheitsgebiet aufhält, und zum Dritten - hier sei auf die globalisierende Komponente Bedacht genommen - jeder Mensch auf der Welt. Letzteres scheint völlig ausgeschlossen zu sein, wenn daran gedacht wird, wie viele Irrungen und Wirrungen auf diesem Planeten Erde gerade in (wirtschafts)politischer Hinsicht existieren. Zwei der Beiträge sind in diesem Zusammenhang besonders interessant, weil sie tatsächlich den Aspekt einer weltweiten Etablierung eines Grundeinkommens als Vorstellung in sich implizieren.

Da wäre zunächst ein Projekt, welches in Namibia ab Beginn des Jahres 2008 propagiert werden soll. Es geht darum, dass - zunächst - für zwei Jahre jeder Bürger, der sich auf einem bestimmten Hoheitsgebiet in Namibia aufhält, ein Grundeinkommen erhält. Zwei Pastoren haben diesen Versuch aus der Taufe gehoben, wobei auf Spenden diesbezüglich nicht verzichtet werden kann. Dieser "Feldversuch" könnte ein Indikator dafür sein, was Menschen mit ihrem Leben - neu - anfangen, die definitiv über ein Grundeinkommen verfügen. Was mag sich verändern? Werden sie tatsächlich kreative Energie entfalten? Entsteht daraus ein völlig neues Gesellschaftsgefüge? Insofern dieses Projekt tatsächlich durchgezogen werden kann, ist Anfang bis Mitte des Jahres 2010 mit einem Ergebnis dieses "Feldversuches" zu rechnen. Daraus wiederum mag vielleicht eine globale Vorstellung eines Grundeinkommens abgeleitet werden.

Der für mich mit Abstand interessanteste Beitrag dieses Buches - abgesehen von den grundsätzlich kritischen Beiträgen in Bezug zur Krise der Erwerbsarbeit und damit zusammenhängenden Komponenten - ist jener von Corinna Milborn, die übrigens zusammen mit Waries Dirie für die Entstehung des Buches "Schmerzenskinder" verantwortlich zeichnete. Die Wiener Journalistin beschreibt nämlich in aller Deutlichkeit den großen Haken Migration. Es geht ihr hierbei nicht um jene Migration, die dazu führt, dass zahlreiche Asylsuchende unter (in Österreich) äußerst schwierigen Bedingungen ihr Leben fristen müssen. Die fragwürdige Asylpolitik wird also nunmehr außen vor gelassen. Nein, die Sache dreht sich rund um eine enorme Anzahl von Menschen, die sich sozusagen als "U-Boote", also illegal, im Staatsgebiet aufhalten, und bei keiner staatlichen Stelle registriert sind. Diese Menschen leben irgendwo unter uns, und es ist schwer vorstellbar, wie sie überhaupt von einem Tag zum anderen existieren mögen. Allein in Österreich sollen mindestens 300.000 sogenannte Illegale "beheimatet" sein. Die Zahl jener Menschen ohne Papiere mag in Deutschland mindestens eine Million betragen. Klammert man diese Menschen nicht von einem möglichen Grundeinkommen aus, so käme es - insofern das Grundeinkommen auf den Aufenthalt der Menschen in einem bestimmten Hoheitsgebiet bezogen wäre - zu einem radikalen Anwachsen der Migration, da Menschen dorthin emigrieren würden, wo sie ein garantiertes Grundeinkommen erwartete. Zwar wäre dadurch - möglicherweise - der illegale Status aufgehoben, dafür aber ein Chaos höchsten Ausmaßes garantiert. Denn die Schere zwischen armen und reichen Ländern wächst immer weiter, und wenn schon jetzt allein in Österreich geschätzte 300.000 Menschen illegal existieren, kann leicht vorstellbar sein, was die Einführung eines Grundeinkommens in der beschriebenen Prinzipialität zur Folge hätte.
Corinna Milborn leitet daraus im Endeffekt ab, dass nur ein globales Grundeinkommen tatsächlich eingeführt werden mag. Das wiederum ist nahezu unmöglich, also wie kann das Problem einer Lösung zugeführt werden?

Und hierbei komme ich wieder an den ersten Satz meiner Rezension zurück, der darauf hinzielt, dass eine Debatte über das Grundeinkommen nur aufgrund politischer Untätigkeit notwendig ist. Vielleicht wäre eine seriöse, bedarfsgerechte Grundsicherung sogar die bessere Option. Aber auch davon kann, wenn einmal nur allein auf Österreich Bezug genommen wird, derzeit und in näherer Zukunft keine Rede sein. Werden an eine Grundsicherung zahlreiche Voraussetzungen angehängt, die nur ein kleiner Anteil existenziell gefährdeter Menschen erfüllt, muss eine Einführung dieser angeblichen "Grundsicherung" von vornherein als sinnlos und extrem ungerecht beschrieben sein. Zweifellos wäre es aber mehr als nur ein Denkansatz, diesbezüglich die Debatte nicht abzubrechen, sondern eine politisch tragfähige Lösung zu suchen. Vielleicht ändern sich dann früher oder später tatsächlich die Verhältnisse - zumindest - in einem der reichsten Länder der Welt, wo jedoch gleichzeitig die Armut weiter anwächst. Global gesehen muss in diesem Zusammenhang ohnehin noch sehr, sehr viel geschehen, wovon zum jetzigen Zeitpunkt nicht einmal ein winziger Ansatzpunkt existiert.

Der Rezensent kann das nunmehr besprochene Buch nur empfehlen, da es in punkto Grundeinkommen viele interessante Aspekte einbezieht, die im Endeffekt auch das "enge" Feld der Thematik deutlich überwinden und Solidarität als Grundprinzip definieren. Und Solidarität gerade mit den Ärmsten innerhalb eines Staatsgebietes und weltweit sollte - eigentlich - eine Selbstverständlichkeit sein. Darüber gilt es nicht nur Diskussionen anzuregen, sondern seitens der politisch Verantwortlichen Taten zu setzen.

(Al Truis-Mus; 09/2007)


Hrsg. Andreas Exner, Werner Rätz, Brigitte Zenker: "Grundeinkommen. Soziale Sicherheit ohne Arbeit"
Deuticke, 2007. 288 Seiten.
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